AZ: Mister McEnroe, alle Welt spricht über die Erstrunden-Partie zwischen Rafael Nadal und Alexander Zverev. Was sagen Sie zu dieser Auslosung?

JOHN MCENROE: Es ist unglaublich, total bizarr! Das ist mit Sicherheit das härteste Erstunden-Match in der Geschichte des professionellen Tennis. Einfach unfassbar, dass der 14-malige Gewinner der French Open nicht gesetzt ist! Aber so sind sie, die Franzosen. Verrückt!

Vor zwei Jahren spielte Zverev in Paris gegen Nadal wohl das Spiel seines Lebens, knickt dann aber um und fiel lange Zeit aus. Wie sehen Sie seine Entwicklung in den letzten Jahren?

Er hat ein großes Comeback hingelegt, hatte viele Themen zu bewältigen, auch abseits des Platzes.

McEnroe über Zverev: “Bei den Buchmachern dürfte er zu den Favoriten gehören”

Trauen Sie ihm einen Grand-Slam-Sieg zu?

Er hätte ihn schon vier Jahren holen können, bei den US Open gegen Thiem! Er hat auch jetzt das Potenzial und eine große Chance in Paris den Titel zu holen – vorausgesetzt er hat den Kopf auch wirklich frei, um sich voll und ganz auf sein Tennis zu konzentrieren. Sein Aufschlag ist so gut wie noch nie. Bei den Buchmachern dürfte er zu den Favoriten gehören.

Wäre Nadal fit wie eh und je würde sich die Frage nach dem Favoriten kaum stellen. Was trauen Sie ihm in seinem jetzigen Zustand zu?

Wenn er das Spiel dominieren kann, wirkt er wie der Nadal, den wir kennen. Wenn er jedoch in die Defensive gerät, fehlt ihm die alte Explosivität. Wie lange hält sein Körper? Niemand weiß das. Er wird während des Turniers 38 Jahre alt! Es ist unfassbar, was er erreicht hat. Hätte man mich vor 15 Jahren gefragt, wie viele Grand Slams er oder Djokovic gewinnen können, hätte ich gesagt ‘Vielleicht fünf, sechs. Oder zehn.’ Aber 24? Come on! Wenn Nadal jetzt gewinnen würde, wäre das überraschend – und gleichzeitig auch nicht, als Seriensieger, der er ist. Aber: Es ist sehr unwahrscheinlich. Er hat ein paar Jahre lang kaum spielen können. Ein weiterer Nadal-Sieg in Paris? Wenn das passiert, steigt Muhamad Ali wieder aus dem Grab!

Nadal wird wohl nach Olympia in Paris aufhören

Was glauben Sie: Wird Nadal nach den French Open seine Karriere beenden?

Wenn er das Match gegen Zverev verliert, wird er nicht seinen Status als Legende verlieren. Ob er dann aufhört? Ich schätzte, dass er nach Olympia aufhört. Vielleicht nach einem Doppel mit Carlos Alcaraz. Aber was weiß ich schon! Er soll tun, was immer ihn glücklich macht.

Apropos glücklich: Die Nummer eins der Tennis-Welt sah zuletzt nicht sonderlich zufrieden aus. Was ist los mit Novak Djokovic?

Er wird auch nicht jünger, ist jetzt auch schon 37 Jahre alt. Physisch scheint er nicht mehr der Alte zu sein. Vor ein paar Monaten noch hätte man noch gedacht: ‘Der gewinnt noch fünf weitere Grand Slams!’ Aber jetzt? Jetzt wirkt er mit einem Mal sehr menschlich.

Wie lange wird seine Karriere wohl noch dauern?

Ich schätze mal: länger als die von Nadal. Vielleicht noch eineinhalb Jahre? Worüber ich mir allerdings sicher bin: Zehn oder vielleicht sogar nur fünf Jahre nach seinem Karriereende werden wir ihn und seine spezielle Art sich auf dem Platz zu geben vermissen.

 “Novak braucht niemandem, der sein Spiel verbessert”

Was hat es mit der Trennung von seinem langjährigen Trainer Goran Ivanisevic auf sich?

Goran ist ein Charakter, war auf dem Platz immer ein bisschen verrückt, so wie ich. Fast hätten wir mal in Wimbledon Doppel zusammen gespielt, was dann aber doch nichts wurde. Wie gut er zu Djokovic gepasst hat? Weiß ich nicht. Novak braucht niemandem, der sein Spiel verbessert. Er braucht jemanden, der seine Motivation hochhält. Er weiß, was er zu tun hat auf dem Platz. Ich weiß nicht, ob er überhaupt auf der Suche nach einem neuen Trainer ist, aber ich glaube schon, dass der bald wieder einen hat.

Im vorigen Jahr bestritt Djokovic in Roland Garros das denkwürdige Spiel gegen Alcaraz, bei dem der junge Spanier plötzlich mit Ganzkörperkrämpfen gehandicapt war. Tut es ihm vielleicht ganz gut, diesmal nicht so sehr im Rampenlicht zu stehen?

Dieser Bursche ist für das Tennis der größte Frischluftfaktor der vergangenen Jahre! Wir brauchen den Kerl! Ich bete, dass er gesund bleibt! Es ist so ein Spaß, ihm zuzusehen.

“Es sieht aus als hätten wir damals in Zeitlupe gespielt!”

Auch gerade bei den jüngeren Spielern häufen sich zuletzt die Verletzungen. Woran liegt’s?

Der Ball wird viel härter und schneller gespielt als früher. Es sieht aus als hätten wir damals in Zeitlupe gespielt! Es ist eine ganz andere Art zu spielen. Mir hat niemand gezeigt, wie man eine Vorhand wie Alcaraz spielt. Das hätte ich verdammt gern gelernt! Klar ist die Belastung für alle hoch, aber ob die Spieler es gut finden, dass manche 1000-er-Turniere auf zwei Wochen gestreckt werden? Ich weiß es nicht.

Australian-Open-Sieger Jannik Sinner sagte zuletzt auch mal Turniere ab. . .

Die Grand Slams werden immer wichtiger. Mir war früher die Bilanz des ganzen Jahres wichtig. Ich glaube nicht, dass Sinner bei hundert Prozent ist – und er selbst wird es auch nicht wissen.





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