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    In der Pflanze steckt keine Gentechnik

    Aber keine Sorge:
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    sind die

Sonntag, 26.05.2024, 07:00

Die Demokratie in Deutschland erscheint mehr denn je gefährdet. Zugleich verhindert die 5-Prozent-Hürde mehr parlamentarische Vielfalt und Teilhabe an politischen Prozessen. Warum eine Debatte über eine Reform der Sperrklausel dem zersplitterten Land guttun würde, erläutert Andreas Herteux.



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Was spricht dafür, dass die 5-Prozent-Hürde auf Bundesebene abgeschafft oder reduziert wird?

Vorab; dieser Gedanke ist nur ein Teil von mehreren Überlegungen, wie es gelingen kann, umsetzbare Möglichkeiten zu finden, die angeschlagene demokratische Grundordnung Deutschlands zu stärken und damit deren Rolle als identitätsstiftenden Rahmen für die Bürgerinnen und Bürger wieder zu festigen.

Oder einfacher ausgedrückt; an welchen Hebeln können wir auf welche Art und Weise drehen, um die Gesellschaft zu befrieden, freiheitlich in Konsensen zusammenzuführen und mehr politische Teilhabe zu ermöglichen? Es gibt dann zweifelhafte Vorschläge, wie die Idee zur Einführung eines Demokratiefördergesetzes oder aber man schraubt an den Mechanismen, die sowieso rechtlich und aus Gründen der reinen Vernunft sowie der praktischen Erfahrung reformbedürftig sind. Einer davon ist die Sperrklausel.

Über den Experten Andreas Herteux

Andreas Herteux ist ein deutscher Wirtschafts- und Sozialforscher, Publizist und der Leiter der Erich von Werner Gesellschaft. Herteux ist zugleich Herausgeber und Co-Autor des Standardwerks über die Geschichte der Freien Wähler (FW). Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt.

Zum Frage selbst; eine Absenkung der Hürde auf 3 Prozent im Bund dürfte zu einer größeren Vielfalt des politischen Spektrums im Parlament führen, da sich die Chancen für kleinere Parteien, Sitze zu gewinnen, deutlich erhöhen würden. Die etablierten Kräfte müssten sich in so einem Fall wiederum dem intensiveren Wettbewerb stellen und das Ringen um die besten Ideen für die Menschen erlebt damit womöglich eine Renaissance.  

Zugleich dürfte diese neue Vielfalt die verschiedenen Weltansichten, Bedürfnisse und Wünsche der in viele Milieus zersplitternden deutschen Gesellschaft, die sich mittlerweile teilweise unversöhnlich gegenüberstehen, weitaus besser abbilden können.

Die Dissonanzen, die teilweise zur Verbitterung und Unversöhnlichkeit geführt haben, könnten sich daher in das Parlament verlagern und dort versachlicht werden. Menschen, die sehen, dass ihr Votum etwas wert ist sowie Beachtung findet, sind in der Regel auch etwas kompromissbereiter, was andere Meinungen betrifft. 

Verlorene Stimmen

Im Moment ist es allerdings so, dass manche abgegebene Stimme schlicht verloren geht. Letzteres ist tatsächlich ein echter Systemmangel, denn nach Art. 38 Abs. 1 GG sowie der laufenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes muss jede Stimme den gleichen Wert haben.

Nur, war und ist dem auch so? Nein, denn bei der Bundestagswahl 2013 wurden 15,7 Prozent der Zweitstimmen, aufgrund der 5 Prozent-Hürde, nicht berücksichtigt, da diese Parteien erhielten, die den Einzug nicht schafften. 2017 waren es 4,9 Prozent und 2021 8,3 Prozent. Subjektiv mag man nun mit Zählstimmen argumentieren, objektiv ist das einzelne Votum aber verloren.

Dieses Dilemma droht auch zeitnah wieder, denn in vielen aktuellen Umfragen werden inzwischen mit AfD, BSW, Grüne, CDU, CSU, Die Linke, FDP, SPD, und den Freien Wähler bis zu neun Parteien ausgewiesen, die zumindest grundlegende Chancen haben könnten, den Einzug in den Bundestag zu schaffen. Die Sonderstellung des Südschleswigsche Wählerverband (SSW) soll dabei bewusst nicht berücksichtigt werden.

Laut aktuellen Umfragen, könnten fünf davon an der Sperrklausel scheitern, darunter auch, aufgrund der Reform des Wahlrechtes,  das die Zweitstimme noch weiter aufwertet, die CSU, die bislang niemals zittern musste. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass sich der Anteil der „Sonstigen“ 2025 deutlich erhöhen könnte.

5-Prozent-Hürde ist auch juristisch nicht in Stein gemeißelt

Die Frage ist, ob es unter befriedenden und demokratischen Gesichtspunkten förderlich ist, einen womöglich den Willen von Millionen, die aktiv am Prozess teilnehmen, nicht zu berücksichtigen.

Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ist im Übrigen an der Stelle nicht final, sondern weist explizit daraufhin, dass „die aktuellen Verhältnisse“ zu berücksichtigen seien und diese haben sich seit 1990 massiv gewandelt. Die 5-Prozent-Hürde ist auch juristisch nicht in Stein gemeißelt.

Gerade in dieser Hinsicht ist es wichtig auf die gesellschaftlichen Entwicklungen, die eingangs nur angerissen wurde, zu verweisen, die Deutschland massiv verändert haben. Besagte Gesellschaft zersplittert immer schneller in immer kleine Lebenswirklichkeiten, die ihre ureigene Vorstellungen vom richtigen Leben haben.

Das postmaterielle Milieu hat andere Vorstellungen als Hedonisten. Die Prekären interessieren sich wenig für Traditionalisten. Viele neue Lebenswirklichkeiten, die sich durch dynamische Einflüsse wie beispielsweise Individualisierung, Migration oder digitalen Einflüssen wie dem Verhaltenskapitalismus bilden, können teilweise gar nicht so schnell erfasst werden, wie sie entstehen. Der Wandel erfolgt so dynamisch, dass er sich faktisch nicht nur der Kontrolle, sondern auch der Beobachtung entziehen kann.

Diese Heterogenität, die sich immer weiter intensiviert, ist aber in der gegenwärtigen Struktur des Bundestages nicht abgebildet. Das führt dazu, dass sich viele Lebenswirklichkeiten nicht mehr repräsentiert fühlen und damit auch zu einer gewissen Politikverdrossenheit, die inzwischen messbar ist, sowie in Milieukämpfen mündet. Oder einfacher ausgedrückt; die Stimmung im Lande spricht für sich. Das wiederum fördert Unzufriedenheit und ermöglicht ein Protestverhalten, welches wiederum die Ränder stärkt.

Was sich bei einer 3-Prozent-Sperrklausel ändern würde

Diese Repräsentationslücke könnte eine Absenkung der Sperrklausel teilweise schließen. Bei einer 3-Prozent-Hürde würden vermutlich alle zehn, der in den Umfragen sowie weiter oben genannten Parteien, hier nehmen wir den SSW, für den die Klausel bekanntlich nicht gilt, mit ins Bord, in den Bundestag einziehen. Viele weitere, 2021 stellten sich 53 politische Organisationen zur Bundestagswahl, wären nun zumindest einen Blick wert.

Erwähnt sei auch, dass eine Reform auch einen Einfluss auf die Nichtwähler haben könnten. Die Wahlbeteiligung lag in Deutschland seit der Wiedervereinigung im Schnitt bei ca. 77 Prozent, d.h. fast ein Viertel der Wahlberechtigten scheut den Urnengang. Auch auf diese könnte eine erhöhter Wettbewerb aktivierend wirken.

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Würde eine Abschaffung oder Reduzierung nicht zu „Weimarer Verhältnissen“ führen?

Im Bundestag sind aktuell, was vielen vielleicht gar nicht bewusst ist, bereits neun Parteien vertreten: AfD, BSW, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, CSU, Die Linke, FDP, SPD und der SSW. Hinzu kommen einige parteilose Abgeordnete.

Die sechs größten Parteien, der SSW und die jüngste Spaltung im Bereich Linke/BSW werden bewusst außen vorgelassen, halten ca. 94 Prozent der Sitze. Für die Regierungsbildung ist seit 2005 immer ein Dreierbündnis notwendig, um stabile Mehrheiten zu erhalten.

Wie verhielt es sich denn vor gut 100 Jahren? Bei den Reichstagswahlen im Dezember 1924, bei der es keine 5 Prozent-Hürde gab, die sich nun auch nicht fiktiv ziehen lässt, da sie das taktische Wahlverhalten hätte ändern können, vereinigten die sechs größten politischen Vereinigungen ca. 87 Prozent der Stimmen auf sich. 1928 sank dies auf ca. 81 Prozent. Am 31.07.1932 waren es 97 Prozent und am 06.11.1932 96 Prozent. 1933 stieg die Zahl auf 98 Prozent. Die Tendenz ist daher deutlich.  Zwar waren im Parlament bis zu 15 Parteien vertreten, allerdings hatten nicht wenige davon kaum Sitze.

Damit soll nicht angedeutet werden, dass die Weimarer Republik sich stabil gestaltete, denn tatsächlich wirkten viele Faktoren negativ auf sie ein, sondern es geht primär um die Frage, ob die fehlende Sperrklausel wirklich eine relevante Größe für den Untergang darstellte. Bei genauerer Betrachtung vereinigten sich die große Mehrzahl der Stimmen aber auf eine übersichtliche Anzahl von politischen Organisationen.

Dass diese, mit dem verfassungsgemäßen Hebeln der Notverordnungen und Präsidialkabinette in der Hinterhand, nicht immer inhaltlich zueinander fanden, ist wiederum eine andere Geschichte.  Auch eine Sperrklauseln hätte aus Anti-Demokraten keine Befürworter der Volksherrschaft geformt. Für viele politische Kräfte im Parlament war die Weimarer Republik nur ein lästiges Übergangsphänomen in eine neue oder alte Ordnung.

Der Weg in Diktatur, Krieg und Leid führte daher augenscheinlich nicht primär oder sekundär über die Zersplitterung der Parteienlandschaft, sondern ist weitaus komplexer zu beurteilen.

Haben Sie schon mal vom Südschleswigsche Wählerverband gehört?

Die fehlende Sperrklausel mag daher in grauer Vergangenheit viele Parteien in den Reichstag gebracht haben, allerdings blieb deren Einfluss überwiegend begrenzt.  Man hat sie vermutlich in der breiten Öffentlichkeit ähnlich stark wahrgenommen wie heute den Südschleswigsche Wählerverband , von dem viele Menschen in unserem Land sicher noch nie etwas gehört haben dürften. Trotzdem ist er im Bundestag vertreten.

Die Weimarer Zeit, in denen die Demokratie für die viele häufig nur eine gleich- oder gar nachrangige Option zu beispielsweise Faschismus, Monarchie, Sozialismus oder einer kommunistischer Diktatur darstellte, mit der heutigen zu vergleichen, bleibt am Ende reizvoll und man neigt dazu, der Versuchung nachzugeben, aber relevant für eine Diskussion des Jahres 2024 wird sie dadurch nicht.

Heraklit, der griechische Philosoph fasst das vor über 2.500 Jahren sehr gut zusammen: „Niemand kann zweimal in denselben Fluss steigen, denn alles fließt und nichts bleibt.“

Wie argumentieren die Kritiker einer Änderung des aktuellen Standes?

Neben dem historischen Argument wird oft angemerkt, dass die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Parlaments in Gefahr geraten und die Regierungsbildung erschwert werden könnte. Das bleibt natürlich Spekulation ohne Empirie, denn auch mit der Hürde gab es in den letzten Jahren lange eine große Koalition als reines Zweckbündnis, die es nicht geschafft hat, dringende Probleme nachhaltig zu lösen.

Diese wiederum wurde von einem Ampel-Bündnis abgelöst, die schlicht inhaltlich nicht zusammenpasst und nur noch die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl überbrückt. Neue Vertreter im Parlament könnten an dieser Stelle weitaus passendere Koalitionen ermöglichen oder durch den Wählerwillen erst geformt werden.

Am Ende zählt aber nur eines: Eine Demokratie braucht am Ende Demokraten. Solange es diese gibt, finden sich auch Kompromisse und Mehrheiten. In der Weimarer Republik gab es sie nie im ausreichenden Maße. Heute sind sie noch vorhanden.

Bleibt am Ende das oft zitierte „Halb-Dogma,“ dass eine Absenkung die Tür für extremere Parteien öffnen würde. Ein Blick auf Europa und auch Deutschland sollte verdeutlichen, dass Sperrklauseln, in Zeiten der vielfältigen Informationsbeschaffungswege und der digitalen Ermächtigung, weder Populisten noch Extremisten von den Parlamenten fernhalten können. Was in einer historischen Konstellation wirken mag, und an dieser Stelle können wir tatsächlich eine Lehre aus der Geschichte ziehen, versagt nicht selten in einem anderen Rahmen.

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Sollten wir daher mehr Demokratie wagen und die Sperrklausel herabsetzen?

Aufgrund des aktuellen Zustand der deutschen Demokratie und des Landes sollte eine Absenkung der Sperrklausel auf 3 Prozent zumindest diskutiert werden. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass nur ein stabiles Land sich dauerhaft im globalen Wettbewerb bewähren kann.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Bestand der 5-Prozent-Hürde zudem an den Rahmen der allgemeinen Verhältnisse geknüpft. Diese haben sich zweifellos auf verschiedenen Ebenen gewandelt. Eine Debatte ist daher nicht nur geboten, sondern im Grunde genommen rechtlich zwingend.

Und wie man diese am Ende auflösen kann? Warum nicht maximal demokratisch und das Volk, jenen stets unterschätzten Souverän, über eine Absenkung in einer Abstimmung entscheiden lassen?

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Andreas Herteux

Wirtschafts- und Sozialforscher, Publizist und der Leiter der Erich von Werner Gesellschaft


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Andreas Herteux

Wirtschafts- und Sozialforscher, Publizist und der Leiter der Erich von Werner Gesellschaft


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Andreas Herteux

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Andreas Herteux

Wirtschafts- und Sozialforscher, Publizist und der Leiter der Erich von Werner Gesellschaft

Dieser Text stammt von einem Expert aus dem FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Themenbereich und sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.





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