Nicht schon wieder ein Fenstersturz, um das
Publikum in den Schwitzkasten des Mitleidens zu nehmen, möchte man den
Bildschirm nach gut einer Stunde anseufzen. Aber Diesmal ist es anders
(WDR-Redaktion: Götz Bolten). Das ist nicht nur der Titel der neuen Kölner
Folge, sondern auch die Wahrheit beim Fenstersturz. Hier springt niemand so
überflüssig in den Tod wie vergangene Woche im Hallenser
Polizeiruf Lehrer “Jesus” Krein
, weil gewisse Auskünfte,
helfende Worte es einfach nicht in Drehbuch geschafft haben.

Das stammt in Köln von Wolfgang Stauch, einem Routinier der
Reihe, der mit seinem 13. Fall den Sprung unter die Top 15 schafft, unter denen
sich mit Dorothee Schön (Platz 11, 17 Drehbücher) genau eine Frau befindet.

Der Tatort fängt ein bisschen an wie Wien
vor ein paar Wochen
: Geburtstag, Getanze, Geturtel, und Ballauf (Klaus J. Behrendt), der alte Borderliner, der wegen seines nicht gelingenden
Liebeslebens von den Kollegen “Streuner” genannt wird – Ballauf ist in
love
. Mit Nicola Koch (Jenny Schily), die für ein Stadtmagazin-ähnliches
Printprodukt mit dem etwas mühsamen Titel Cologne Alive arbeitet, das
defizitär ist und öfter die Schlagersängerin und Jugendhilfe-Unterstützerin
Mariella Rosanelli (Leslie Malton) featurt. Über Schlagermusik muss sich
Kommissar Schenk (Dietmar Bär) abfällig äußern, denn wer was auf sich hält in
der deutschen Hochkultur, muss sich fortwährend schämen für die populärste
hiesige Popmusik.

Mit der Rosanelli ist Nicola wiederum dicke seit Langem, was
aber erst später rauskommt. Beide teilen ein Geheimnis. Die Reise in die
Vergangenheit löst der gewaltsame Tod von Peer Schwarz aus.
Alleinstehend und arbeitslos, finanzierte sich der gewesene Journalist sein
ansprechendes Apartment durch Erpressungen. Etwa durch kompromittierendes
Material aus der Vergangenheit der Rosanelli, das deren Image als Wohltäterin
der Jugendhilfe zu beschädigen droht. 

Die Schlagersängerin war wie Ballaufs
Liebe Nicola Koch 25 Jahre früher Betreuerin in einem Chorlager, bei dem der
charismatische und “manipulative” (Rosanelli) Chorleiter Philipp Pohl
Schutzbefohlene missbrauchte. Die beiden Betreuerinnen halfen damals, das
Verbrechen zu bemänteln, das etwa Sandra Jürgens (Brigitte Zeh) völlig aus der
Bahn geworfen hat.

Schlagersängerin und Jugendhilfe-Unterstützerin: Mariella Rosanelli (Leslie Malton) © WDR/​Bavaria Fiction GmbH/​Martin Valentin Menke

Diesmal ist es anders rekonstruiert die alte
Geschichte durch parallel geschnittene Befragungen der damals Beteiligten
(Montage: Kai Minierski). Spannung entsteht zuerst im privaten Umfeld des
verliebten Kommissars. Denn Ballauf findet heraus, dass der Carsharingwagen,
mit dem Peer Schwarz umgefahren wurde, zur Tatzeit von Nicola gemietet worden
war. Das tut Ballauf nicht auf offiziellem Wege, sondern mit Unterstützung von
Langzeitfreundin Lydia Rosenberg (Juliane Köhler).

Was ja immer so eine Sache ist, dass der verwickelte
Polizist auf eigene Rechnung ermittelt. Einerseits gibt es im echten Leben
Leute bei der Polizei, die
nicht nur machen, was der Dienst vorschreibt
, andererseits gelingt es dem ARD-Sonntagabendkrimi
fast nie, die Ambivalenz der Privatinvestigation so gut darzustellen, wie das
etwa die britische
Serie Criminal Record
auf Apple TV+ kürzlich geschafft hat. Da
checkt die Protagonistin, die Polizistin June Lenker, gleich zu Beginn
Kennzeichen von Autos, die vorm Haus ihrer nervenden, paranoiden Mutter
herumstehen, was der Ermittlerin bei einer internen Untersuchung später
Probleme bereiten wird. So einfach lässt sich das plausibel erzählen, die
Komplexität der Figur erhöhen und Spannung verschärfen.

In Diesmal ist es anders wird Ballaufs Solonummer immerhin
durch Liebe motiviert. Dafür hat sich der Tatort ein markantes Mittel
einfallen lassen – in Szenen zwischen Kommissar und Journalistin sind auch
Gedanken zu hören, die vor allem er sich macht. Eine gute Form, um Zweifel zur
Sprache zu bringen, das Ungesagte mitzubekommen. Wenn nun aber die Liebe
zwischen den beiden so groß, das Reden so gut ist, dann bleibt am Ende doch die
Frage, warum sich Nicola dem neuen Freund und Ermittler so gar nicht anvertrauen
kann, bevor sie in den Tod stürzt.

Die Umstände dieses Falls sind dann Beschäftigung fürs lange
Finale. Es gilt, die Rosanelli zu überführen: als Frau am Steuer des Wagens,
der Peer Schwarz umgefahren hat, und als diejenige, die in einer Gemengelage
aus Streit und Sorge die angetrunkene Nicola Koch über die Balkonbrüstung
geschubst hatte. In der Verlosung für die zweite Tat befindet sich nämlich auch
noch Larissa Krüger (Katja Hutko), eine der missbrauchten jungen Frauen, denen
die Rosanelli mit ihrem Projekt geholfen hat.

Für den psychologischen Stress von Larissa, die Abhängigkeit
von der Rosanelli, die hier zum Ausdruck kommen soll, ist die Figur allerdings
zu oberflächlich entworfen – ähnlich wie Nicola Kochs Schweigen gegenüber
Ballauf. Routine regiert, auch auf Ebene der Regie (Torsten C. Fischer): Die
Charaktere haben Funktionen für die Geschichte, aus denen sie nicht rauskommen
– so richtig nah geht einem da niemand.

Das liegt im Falle der Schauplatz-Hauptdarsteller auch am
Spiel – Klaus J. Behrendt und Dietmar Schenk tragen sympathische Gesichter, die
jene Vertrautheit vermitteln, von der der Kölner Tatort lebt. Die
Darstellung von Schmerz, Schock, Verlust bei Behrendt oder das Sorgen um den
Kollegen bei Schenk gelingt derweil nicht sonderlich differenziert oder
eigensinnig.

Immerhin: Assistent Jütte (Roland Riebeling) trägt das Haar
pietätvollerweise schwarz in dieser Folge.



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