Das knallig pinke Riesen-Molekül muss noch in die richtige Position gebracht werden. Das ist gar nicht so einfach, denn je größer der Raum, desto mehr Möglichkeiten gibt es – und im Bergson scheint der Raum unendlich. Das Atrium des ehemaligen Heizkraftwerks misst allein in der Höhe 25 Meter. Aber langsam pendelt sich das monströse “Kekulene” ein, und wenn Mona Al Qadiri im Laufe des Tages selbst einschwebt, müsste sie zufrieden sein.

So viel Platz war nie für ihre ausladenden Werke, die ums Thema Erdöl kreisen. Im Kunsthaus Bregenz, wo Al Qadiris Arbeiten vor einem Jahr zu sehen waren, stieß “Kekulene” an die Decke. Das Bergson könnte man mit unzähligen dieser Luftkissen füllen, da tun sich sagenhafte Möglichkeiten auf, das war für Johann König einer der Gründe, im neuen Kunstkraftwerk seine immerhin fünfte Galerie einzurichten – 2000 Quadratmeter warten auf Skulpturen, Flachware, Grafik, Installationen … Morgen ist große Vernissage (ausgebucht), und es gibt noch ziemlich viel zu organisieren und überhaupt zu wuseln, dass die Schatten für ein paar Tage vergessen sind.

König wurde einem breiten Publikum durch seine mutige wie freche Autobiografie “Blinder Galerist” ein Begriff. Beim Umfüllen der Munition einer Schreckschusspistole hat er im Alter von elf Jahren fast sein Augenlicht verloren. Eine grausige Geschichte. Doch der Sohn des Kurators Kasper König – bis 2012 Direktor des Museums Ludwig in Köln – hat sich mit einer Mischung aus Gespür und Biss in der Galerieszene ganz nach oben geschuftet.

Die Expansion nach München war lange schon im Visier

Zwei Stützpunkte werden in Berlin bespielt – Herzstück ist die Kreuzberger Sankt-Agnes-Kirche im brutalistischen Stil der 1960er Jahre, renoviert übrigens von Arno Brandlhuber. Dazu gibt es Dependancen in Mexiko City und Seoul. Messen wie die Art Basel haben früh schon zu den Selbstverständlichkeiten gehört. Dann wurde König im August 2022 in der Wochenzeitung “Die Zeit” mit Vorwürfen der sexuellen Belästigung konfrontiert.

Einige Künstlerinnen und Künstler haben sich daraufhin von seiner Galerie getrennt, darunter Katharina Grosse und Alicja Kwade. Oder Monica Bonvicini. So etwas hinterlässt freilich Schlaglöcher in der Bilanz, die Ansammlung bekannter Namen ist dagegen immer noch beträchtlich.

Auf die Auswirkungen der MeToo-Vorwürfe angesprochen, sagt König im Telefonat mit der AZ: “Gegen mich lag und liegt nichts vor, aber die Staatsanwaltschaft ermittelt aktuell immer noch wegen Falschaussage und Verleumdung”. Seine beim Deutschen Presserat eingereichte Beschwerde über den “Zeit”-Artikel ist kürzlich erst als “unbegründet” abgewiesen worden.

Insofern wirkt die Expansion nach München fast wie eine Gegenoffensive, dabei hatte König die Stadt schon lange auf seiner Wunschliste. Im Oktober 2019 gab es mit seinem Galerieprogramm sogar einen kurzen wie lukrativen Auftritt beim Auktionshaus Ketterer in Riem.

Die Gebrüder Amberger, die das Bergson betreiben, hatten insofern gute Karten und mussten nach dem Absprung der relativ kleinen Pulpo-Galerie aus Murnau nicht lange werben. Benedikt Müller, der im Kraftwerk für die Kunst und das Bildungsprogramm mit ambitionierten Diskussionsreihen zuständig ist, erzählt vom Besuch mit Michael und Silvia Amberger in Berlin und einem Johann König, der schon beim ersten Gespräch damit losgelegt habe, detaillierte Pläne zu skribbeln.

Wobei das Bergson auch eine Mischung bietet, die der Galerist schätzt, also das Aufeinandertreffen von Kunst und Konzerten, von Restaurant, offenem Café und Gesprächen, überhaupt dieses “ich schau da mal vorbei” und eben der immense Platz. “Uns geht es darum, Kunst im Raum erfahrbar zu machen, dazu braucht es auch eine gewisse Großzügigkeit”, betont König.

München mag vielleicht nicht so cool sein wie Berlin – das würde der 42-Jährige natürlich niemals so formulieren. An der Stadt schätzt König vielmehr das Interesse an der Kultur und nicht zuletzt eine potente Sammlerschaft. Und das Bergson könnte mit seiner “gediegenen Coolness, also einer Symbiose aus Berlin und München”, wie er zusammenfasst, einen Nerv treffen.

Langfristige Verträge sind noch nicht unterzeichnet, man muss sehen, wie München anläuft und wie sich das Programm mit dem Neubau entwickelt. Ab morgen werden Atrium und Silos bespielt, also die Bereiche, aus denen früher die Kohle in die Brennöfen geschüttet wurde. Und wenn auch noch nicht alles hängt und steht, wirken die farbstarken Arbeiten Monira Al Qadiris, als hätte sie genau hier zwischen anthrazitgetönten Betonwänden den idealen Platz gefunden.

Die 40-jährige Künstlerin aus Kuwait ist in München keine Unbekannte, 2019 hat ihr das Haus der Kunst eine Kapsel-Ausstellung gewidmet, die rundlichen schwarzen Glasskulpturen vor einer Wüstenaufnahme sind noch in guter Erinnerung. Wenn man so will, ist Al Qadiri eine sichere Bank (davon abgesehen bewegen sich die Preise im vier- bis oberen fünfstelligen Bereich).

Die 1600 Quadratmeter, die ab Mitte Juli im Neubau zur Verfügung stehen, sind dagegen eine echte Herausforderung. Dass die Galerie-Quereinsteiger Katherina und Nico Zeifang im Herbst letzten Jahres das Handtuch warfen, kann man nachvollziehen. Aber König ist ein Profi, auch im Aufhören, wenn es nicht läuft: “In Japan war es kaum möglich, Kontakte zu knüpfen, in London sind wir an der Brexit-Bürokratie und den absurden Zöllen gescheitert.” München macht da ganz sicher kein Gschiss.

König Galerie: Die Vernissage zu Monira Al Qadiris “Siloed Beings” morgen ist ausgebucht, dann täglich von 11 bis 19 Uhr im Bergson, Am Bergson Kunstkraftwerk 2 (ehem. Rupert-Bodner-Str. 3-5), S3 bis Langwied,zu Fuß oder mit Bus 143 bis Kronwinklerstraße





Source link www.abendzeitung-muenchen.de