Die Berichterstattung über Russland bleibt im Inland und Ausland stark zentralisiert. Das Medium Republik_spricht kämpft mit dekolonialem Narrativ dagegen an.

Die Pagode der 7 Tage, eine Herz mit

Auf dem Leninplatz von Elista, der Haupstadt von Kalmückien Foto: Romanenko/itar-tass/imago

Der Geschichte der asiatischen Republiken Russlands wird relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Noch weniger Aufmerksamkeit wird der Vermittlung ihrer Geschichte an die breite Bevölkerung gewidmet. Dies trägt dazu bei, dass der Zugang zu ihr und das Wissen über sie erschwert wird. Historisches Wissen kann zum Verständnis der eigenen Identität beitragen. Das ist für uns besonders wichtig. Wir sind Vertreter der „kleinen“ Völker Russlands, unsere Kulturen wurden und werden systematisch „russifiziert“, und wir selbst sind regelmäßig rassistischer und nationaler Diskriminierung ausgesetzt.

Der Podcast Republik_spricht ist Russlands erstes Audioprojekt, das sechs asiatischen Republiken eine eigene Stimme gibt: Kalmückien, Burjatien, der Tuwinischen Volksrepublik, der Republik Sacha, Chakassien und Altai. Der Name ist eine Anspielung auf den staatsnahen russischen Radiosender Moskau_spricht. Jede unserer Podcastfolgen ist einer der asiatischen Republiken gewidmet. Es gibt Experteninterviews und Gespräche mit Menschen aus diesen Republiken. Auf Russisch oder in ihrer Muttersprache berichten sie über ihre Heimat, ihr Zuhause, die Familie, über Traditionen und Rituale und vor allem auch über ihre Geschichte. Denn über diese zu sprechen und sich an sie zu erinnern, ist heute wichtiger denn je.

Die Medienplattform Republik_spricht hat als unabhängiges Medium Ende Dezember 2022 in Deutschland begonnen. Aufgrund der Arbeit meines Mannes hatten wir lange Zeit überlegt, nach Deutschland zu ziehen. Dann brach der Krieg in der Ukraine aus. Im März 2022 zogen wir dann nach Berlin und ich habe mich in den ersten Monaten auf die Unterstützung und Hilfe von Geflüchteten aus der Ukraine am Berliner Hauptbahnhof fokussiert.

Das Ziel: antikoloniale und humanistische Werte verbreiten

Irgendwann bin ich in Kontakt mit Antikriegsinitiativen aus Russland gekommen und mir wurde klar, wie wichtig es ist, die Menschen aus den asiatischen Republiken mit Informationen zu versorgen und auch antikoloniale, humanistische Werte zu verbreiten, die uns selbst, den Menschen aus diesen Republiken, besonders wichtig sind. Denn nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gab es viele Narrative in den Medien, die vorrangig rassistische Perspektiven auf die asiatischen Republiken verbreiteten, falsche Vorstellungen und verfestigte Stereotype.

Klar ist es schwierig, die Menschen zu erreichen und sie dazu zu bewegen, sich zu engagieren, wenn das Hauptproblem das Überleben ist

Das ist natürlich nichts Neues. Bereits vor dem Angriffskrieg war Russland extrem rassistisch gegenüber diesen Republiken im asiatischen Teil des Landes eingestellt. Ich habe selbst acht Jahre in Moskau gelebt, und es kam vor, dass die Leute mich fragten, ob ich ein Messer dabei hätte. Sie halten uns für Barbaren, während unsere Stimmen in den Medien kaum auftauchen. Stattdessen bekommen wir immer nur die Perspektive der in Moskau ansässigen Jour­na­lis­t*in­nen geboten – nicht nur in den russischen Medien, sondern auch in den westlichen. Das zentralisierte russische Narrativ wird im Ausland in der Regel einfach übernommen, manchmal unbewusst, und weiter verbreitet – dabei ist es ein koloniales Narrativ.

Der Podcast Republik_spricht ist ein besonderes Medienformat. Unsere Zielgruppe sind ganz bewusst die Be­woh­ne­r*in­nen der asiatischen Republiken. Wir wollen sie daran erinnern, wer sie sind. Denn die russische Geschichte wird gerade umgeschrieben. Offiziell steht in den Schulbüchern, was auch die russischen Medien berichten: dass diese Republiken angeblich freiwillig entschieden haben, Teil der Russischen Föderation zu werden. Wir dagegen verteidigen ein dekoloniales Narrativ, wir wollen unsere Geschichte zurück.

Noch nicht von der Zensur betroffen

Im Vergleich zu anderen Teilen Russlands sind die asiatischen Regionen relativ arm, der antikoloniale Aktivismus bleibt hier extrem wichtig. Klar ist es schwierig, die Menschen zu erreichen und sie dazu zu bewegen, sich zu engagieren, wenn das Hauptproblem das Überleben ist.

In meiner Republik, in Tuwa, beispielsweise ist die Wirtschaft traditionell fast ausschließlich eine Nomadenwirtschaft, und nach jedem kalten Winter kommt es zu hohen Verlusten an Nutztieren. Doch trotz dieser Schwierigkeiten bleiben wir handlungsfähig – und das kann uns auch keiner wegnehmen.

Bisher wurden wir von der russischen Regierung weder als ausländische Agenten noch als unerwünschte Organisation eingestuft, wie andere russische Exilmedien, zum Beispiel Meduza, Novaya Gazeta oder Doxa. Um nicht verboten zu werden, meiden wir Inhalte über den Krieg. Nach etwa 20 Episoden betrachtet Moskau uns als eine Plattform, die weniger politisch ist als vielmehr Menschen miteinander vernetzt. Trotzdem bleibt unser Projekt ein aktivistisches und führt zu Veränderungen. Einmal im Monat gibt es einen Online-Kinoclub von uns, und wir zeigen Filme, die in Russland teilweise verboten sind. Demnächst wird es auch einen Online-Leserclub geben – denn seit Kriegsbeginn werden kritische Bücher in Russland verboten. Die Menschen suchen nach sicheren Umgebungen, in denen sie offen diskutieren können.

Finanzierung bleibt die Herausforderung des Exilmediums

Der Podcast Republik_spricht wird hauptsächlich in Berlin produziert, unterstützt von einem Netzwerk an Kor­re­spon­den­t*in­nen aus den asiatischen Regionen. Darüber hinaus schicken uns die Menschen Sprachnachrichten, auf Russisch oder in ihrer Muttersprache wie Kalmückisch. Unsere Hö­re­r*in­nen erreichen uns über Telegram, YouTube, Spotify, Apple Podcast, Google Podcasts, Yandex, Instagram, VKonatkte und Odnoklasniki. Wir bieten ihnen auch die Möglichkeit an, an kostenlosen Schulungen zur Erstellung von Podcasts teilzunehmen. Ich habe gemerkt, wie groß das Interesse an einem solchen Angebot ist. Relativ schnell wurde unsere Reichweite dann größer, weil die Menschen den Podcast mit Freunden und Familien teilen.

Wie für viele Exilmedien ist die Finanzierung eines unserer größten Probleme. Denn es gibt nur wenig Möglichkeiten der Förderung für Exilmedien. Darüber hinaus ist unser Projekt im Vergleich zu großen und bekannten russischen Exilmedien wie Meduza und Doschd viel kleiner. Gleichzeitig ist die Thematik, über die wir schreiben, unpopulär. Wer interessiert sich überhaupt für die Perspektive der Dekolonialisierung und weiß, was das ist? Geldgeber und die Medienwelt verhalten sich extrem zurückhaltend, wenn es darum geht, solche dekolonialen Projekte zu unterstützen.

Nun gibt es ein bisschen Bewegung und Hoffnung. Ende Februar wurde im Europaparlament eine Resolution verabschiedet, nach der Entimperialisierung, Dekolonisierung und Reföderalisierung notwendige Voraussetzungen für die Errichtung einer Demokratie in Russland sind. Doch kaum ein Medium hat darüber berichtet. Das passiert immer wieder: die dekoloniale Perspektive wird einfach ignoriert. Auch andere große russische Exilmedien haben das ignoriert, obwohl wir alle im selben Boot sitzen. Unser Projekt bleibt deshalb so wichtig, weil sonst keiner über uns berichtet.

Die Autorin ist eine freie Journalistin und dekoloniale Aktivistin aus der Tuwinischen Volksrepublik, die jetzt in Berlin wohnt. Sie ist die Gründerin und Moderatorin des Podcasts Republik_spricht

Russland: Rangliste der Pressefreiheit: Platz 162



Source link www.taz.de