Berlin. An diesem Montag wäre Uwe Barschel 80 Jahre alt geworden, und wenn die Geschichte nur ein wenig anders verlaufen wäre, dann stünde sein Name heute nicht für einen der spektakulärsten deutschen Kriminalfälle und einen Skandal, der 1987 die gesamte Republik erschütterte. Dann würde man heute vielleicht einem ehemaligen Bundeskanzler Barschel gratulieren, so wie er es Helmut Kohl einst selbst prophezeit hatte. Zumindest aber wäre Barschel nicht unter Umständen gestorben, die bis heute ungeklärt sind.

Der ganze Fall & das Gespräch mit Sebastian Knauer im Podcast:

Heute weiß man: Nach seinem steilen Aufstieg zum jüngsten deutschen Ministerpräsidenten, 1982 mit 38 Jahren in Schleswih-Holstein, wuchs Barschel nach und nach sein undurchsichtiges Privatleben – inklusive regelmäßiger, teils heimlicher DDR-Reisen – sowie sein übersteigerter Ehrgeiz und der Druck im Landtagswahlkampf 1987 über den Kopf.

Als der „Spiegel“ enthüllte, er habe seinen aussichtsreichen SPD-Herausforderer Björn Engholm bespitzeln, belästigen und verleumden lassen, verlor er erst die Wahl, verstrickte sich dann in Lügen und lag am Ende mit nur 43 Jahren tot in der Badewanne eines Genfer Hotelzimmers: vollständig bekleidet, den Kopf auf ein Handtuch gebettet, mit einer tödlichen Dosis Beruhigungsmittel im Blut. Am Folgetag hätte er vor einem Untersuchungsausschuss im Landtag aussagen sollen.

Aus dem Archiv von Sebastian Knauer: Ein Bild von einer der Reisen Barschels in die DDR zeigt ihn in einer Bar in Warnemünde nahe dem Neptun-Hotel. Dort hatte er auch am 13. Mai 1984  seinen 40. Geburtstag im Kreis von Fraktionskollegen gefeiert.

Aus dem Archiv von Sebastian Knauer: Ein Bild von einer der Reisen Barschels in die DDR zeigt ihn in einer Bar in Warnemünde nahe dem Neptun-Hotel. Dort hatte er auch am 13. Mai 1984 seinen 40. Geburtstag im Kreis von Fraktionskollegen gefeiert.

Heute weiß man aber auch, dass Engholm und die SPD selbst viel tiefer in der Affäre steckten als sie zugaben und dass der „Spiegel“-Kronzeuge und Handlanger Barschels, der Ex-Boulevardjournalist Reiner Pfeiffer, selbst viel gelogen und Geld kassiert hatte. Mit diesem Wissen wäre der Skandal anders verlaufen.

Doch es kam anders. Die letzte Chance, Barschels Leben zu retten, verpassten ein Reporter und ein Fotograf des „Stern“ nur knapp: Sie wollten den frisch zurückgetretenen Ministerpräsidenten vor seiner Ausschussanhörung unabgesprochen in Genf treffen, verzichteten aber auf einen Kontaktversuch am Abend, an dem er – wie inzwischen klar ist – starb.

Am Morgen vor seiner geplanten Abreise nach Kiel am 11. Oktober 1987 fanden sie nur noch seinen leblosen Körper in der Badewanne des Hotelzimmers. Einen Abschiedsbrief hatte Barschel nicht hinterlassen – stattdessen Notizen, die eine Spur zu einem Entlastungszeugen nahelegten. Oder zu noch größeren Skandalen?

Todesumstände wurden nie ganz geklärt

„Die Notizen waren so hingelegt, als hätte er eine Absprache mit mir gehabt: Das muss verbreitet werden“, sagt heute Sebastian Knauer im RND-Podcast „True Crime Politik“. Knauer ist der damalige „Stern“-Journalist, der Barschel in der Wanne entdeckte und das Foto aufnahm, das danach um die Welt ging und Teil des bundesrepublikanischen Geschichtsgut wurde. Der Fall Barschel lässt den heutigen Autoren, der einen Tag nach Barschel Geburtstag feiert und in diesem Jahr 75 Jahre alt wird, bis heute nicht los.

Das liegt vor allem daran, dass seitdem verschiedenste Ermittler und Gutachter teilweise jahrelang die Todesumstände untersuchten – am Ende aber nur Theorien aufstellen könnten, die sich nicht mehr endgültig beweisen ließen. Klar ist: Barschel starb an den Medikamenten, die man in seinem Blut und Magen fand. Sah er seine Karriere und deshalb sein Leben gescheitert? Oder fürchtete jemand seine Enthüllungen? Oder gab es gänzlich andere Motive?

Barschels Familie hat Suizid stets ausgeschlossen: „Ich bin mir tausendprozentig sicher, dass es ein Mord war“, schreibt auch jetzt einer der Söhne dem RND. „Wer sich mit Logik und gesundem Menschenverstand mit dem Fall befasst, kann aus meiner Sicht nicht zu einem anderen Schluss kommen.“

Bestimmte Spuren konnten „von Barschel allein nicht verursacht werden“, sagt auch der seinerzeit leitende Staatsanwalt, Heinrich Wille in Lübeck. Er verfolgte unzählige Hinweise: zu Waffenhändlern, mit denen Barschel Kontakte gepflegt hatte; zur Stasi, die ihn bei seinen DDR-Reisen auffällig geschont hatte; zu anderen Geheimdienstlern aller Coleur. Zahlreiche Verschwörungstheorien und Legenden entstanden. Doch Willes Vorgesetzter schrieb in seinen Abschlussbericht, am Ende blieb ein Suizid am wahrscheinlichsten.

So sieht es auch Ex-Reporter Knauer. Und die anderen Spuren? „Barschel war immer ein Mann, der die Nähe von Journalisten suchte, wenn es ihm nutzte“, sagt er heute. „So tragisch es ist: Er hat seinen Tod womöglich benutzt, um eine Legende zu schaffen. Und rückblickend ist es ihm gelungen: Er hat es geschafft, dass es in diesem Ermittlungsverfahren keinen Endbericht gibt, der eindeutig Antwort gibt.“



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