Eine Telefonkonferenz von Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz mit Bundeswehroffizieren zu einem möglichen Einsatz von deutschen Taurus-Marschflugkörpern in der Ukraine ist offenbar von Russland abgehört worden. Ein von der Chefredakteurin des russischen Staatssenders RT, Margarita Simonjan, am Freitag veröffentlichter Mitschnitt des 38-minütigen Gesprächs ist nach Informationen des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) authentisch. In der Telefonkonferenz geht es unter anderem darum, wie die Ukraine mit Taurus-Marschflugkörpern die Kertsch-Brücke zu der von Russland völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel Krim angreifen und zerstören könnte – ohne deutsche Beteiligung.

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Das Bundesverteidigungsministerium prüft nach eigenen Angaben, ob Kommunikation der Luftwaffe abgehört wurde. Das russische Außenministerium forderte nach dem abgehörten Gespräch zum möglichen Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern eine Erklärung der Bundesregierung. „Versuche, um Antworten herumzukommen, werden als Schuldeingeständnis gewertet“, schrieb Moskaus Außenamtssprecherin Maria Sacharowa auf ihrem Telegram-Kanal. Scholz hatte einer von der Ukraine seit Monaten erbetenen Taurus-Lieferung zuletzt am Montag eine Absage erteilt.

Das abgehörte Gespräch ist davor erfolgt – dort geht es noch um die Möglichkeit einer Lieferung. Gerhartz sagt der Aufnahme zufolge, womöglich könnten 50 Marschflugkörper in einer ersten und dieselbe Anzahl in einer zweiten Tranche geliefert werden. „Dann wäre aber auch Ende Gelände, das ist völlig klar.“ Klar müsse auch sein: „Das wird nicht den Krieg ändern.“ Die Offiziere diskutieren in der Schalte darüber, wie ukrainische Soldaten an dem Waffensystem ausgebildet werden und wie ihnen Zieldaten übermittelt werden könnten. Besprochen wird auch, dass eine direkte deutsche Beteiligung an einem Taurus-Einsatz in der Ukraine für die Bundesregierung eine „rote Linie“ sei.

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Angebliches Gespräch über Taurus-Raketen

Gerhartz sagt mit Blick auf die Ukrainer und die Kertsch-Brücke auf die Krim: „Wir alle wissen ja, dass sie die Brücke rausnehmen wollen.“ Ein anderer Bundeswehroffizier meint, interessante Ziele seien „die Brücke im Osten“ – gemeint ist die Kertsch-Brücke – und Munitionsdepots. In beiden Fällen sei Taurus besser geeignet als die Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp aus Großbritannien und Frankreich. Ein weiterer Bundeswehroffizier sagt: „Die Brücke ist leider aufgrund ihrer Größe wie ein Flugplatz. Das heißt, es kann durchaus sein, dass ich dafür zehn oder 20 Flugkörper brauche.“

Krisen-Radar

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Die Nachricht von der abgehörten Telefonkonferenz wurde bereits am frühen Freitagmorgen von Margarita Simonjan veröffentlicht. Kurz danach verbreitete das russische Außenministerium sie auf Englisch. „Mich interessiert die Sichtweise von (der deutschen Außenministerin) Annalena Baerbock zu diesem Thema“, wird Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa zitiert.

Im Tagesverlauf verbreitete sich die Nachricht, zunächst noch ohne den Audiomitschnitt der abgehörten Telefonkonferenz, sowohl in russischen Staatsmedien als auch in den Kanälen deutscher prorussischer Propagandisten. Der in Russland lebende kremlnahe Medienaktivist Thomas Röper, der auch für den deutschsprachigen RT-Ableger arbeitet, veröffentlichte gleich mehrere Beiträge auf seiner Website. Einer der Beiträge wurde am Nachmittag auch vom rechtsextremen „Compact-Magazin“ veröffentlicht.

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Folgen noch nicht abzusehen

In dem später veröffentlichten Audiomitschnitt ist auch ein Vorgespräch der drei weiteren Gesprächsteilnehmer zu hören, bevor Luftwaffeninspekteur Gerhartz dazugeschaltet wird. Darin berichtet ein Luftwaffengeneral, dass er gerade aus Singapur zugeschaltet sei. Nach Angaben Simonjans soll der Mitschnitt vom 19. Februar stammen. Offenbar hielt sich der Offizier zu diesem Zeitpunkt tatsächlich in dem asiatischen Stadtstaat auf. Dort fand vom 20. bis 23. Februar die Singapore Air Show statt.

Die Veröffentlichung des Audiomitschnitts wirft die Frage auf, wie viele weitere Gespräche der Bundeswehr oder anderer deutscher Sicherheitseinrichtungen russische Geheimdienste mitgehört haben könnten. Wenn es ihnen gelang, eine Telefonkonferenz mitzuhören, muss zumindest angenommen werden, dass dies auch zuvor schon passiert ist. Ein erfolgreicher Hackerangriff auf eine verwendete Video- oder Telefonkonferenzsoftware könnte deshalb weitreichendere Folgen haben, als bislang abzusehen ist.

Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, Konstantin von Notz (Grüne), forderte unterdessen Aufklärung. „Sollte sich diese Geschichte bewahrheiten, wäre das ein hochproblematischer Vorgang“, sagte er dem RND. „Es stellt sich die Frage, ob es sich hier um einen einmaligen Vorgang oder ein strukturelles Sicherheitsproblem handelt. Ich erwarte umgehende Aufklärung aller Hintergründe.“



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