Eigentlich ist es ein gewöhnlicher Neubau, teils umgeben von backsteinernen Altbauten und unweit des Kanals an der Chaussée de Ninove im Brüsseler Stadtteil Molenbeek. Für die Menschen, die in den neun Wohnungen des Hauses wohnen, ist der Neubau viel mehr. Er ist ihr sicheres Zuhause.
Fragt man Geert De Pauw, dann ist das Haus sogar Teil von etwas Größerem, eine Art Grundstein der Bewegung für sogenannte Community Land Trusts auf dem europäischen Kontinent. Dieses Solidarmodell, das sich wortwörtlich als Treuhand für Gemeinschaftsland übersetzen lässt, bietet nicht nur Geringverdienern und Transferleistungsempfängern eine Wohnung. Mithilfe des Community Land Trusts wird auch sichergestellt, dass mit Haus und Grundstück nicht spekuliert wird.
Die Grundidee ist, dass der Boden, auf dem die Häuser gebaut sind, in der Hand des Trusts bleibt, obwohl die Wohnungen an die Bewohner verkauft werden. Dieses Modell der Trennung von Haus und Boden blickt auf eine mittlerweile über 50-jährige Geschichte zurück und hat seine Wurzeln in der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, als sich schwarze Farmer gegen eine diskriminierende Bodenpolitik zur Wehr setzten.
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Im belgischen Brüssel ist der Community Land Trust noch vergleichsweise jung. Die Fertigstellung des ersten Hauses wurde 2015 gefeiert. Entstanden ist der Trust aus einer Krisensituation. Die Wohnungspolitik setzt in Belgien mit Steuervergünstigungen und Förderprogrammen traditionell auf das Wohneigentum. Sozialer Mietwohnungsbau hingegen gehörte lange nicht zu den Prioritäten. Mit sich verdoppelnden Hauspreisen in Brüssel allein in den Jahren von 2000 bis 2010 kommt der Weg der Eigentumsförderung an seine Grenzen.
»Aktivisten, die sich einerseits für mehr Sozialwohnungen einsetzten, hielten andererseits auch nach partizipativeren Alternativen zum traditionellen sozialen Wohnungsbau Ausschau. Das führte uns nach Burlington, von wo wir die Idee des Community Land Trust zurück nach Brüssel brachten«, blickt De Pauw zurück.
In der Kleinstadt des US-Bundesstaats Vermont half der spätere US-Senator und damalige Bürgermeister Bernie Sanders in den 1980ern den heutigen Champlain Housing Trust aufzubauen. Gestartet mit einem Zuschuss von 200 000 US-Dollar vermietet der Trust heute rund 2400 Mietwohnungen, hat mehrere Hundert Häuser an ihre Bewohner verkauft und bewirtschaftet darüber hinaus auch Gewerbeflächen. Somit ist der Champlain Housing Trust einer der größten der weltweit circa 500 Community Land Trusts.
In Brüssel hat der Trust knapp über 100 Wohnungen in fünf Häusern in den vergangenen zehn Jahren gebaut. Berechtigt, diese zu kaufen sind Menschen, deren Einkommen gering genug ist, um auch eine Sozialwohnung anmieten zu können. Unterschieden wird in vier Kategorien. So kostet eine Zwei-Zimmer Wohnung mit 73 Quadratmetern je nach Einkommen zwischen rund 92 000 und 166 000 Euro. Im Durchschnitt ist eine Wohnung so 40 Prozent günstiger als auf dem freien Markt.
»Unsere Regel ist, dass die Wohnung bezahlbar sein muss. Über 25 Jahre sollen nur 30 Prozent des Haushaltseinkommens zur Tilgung bezahlt werden«, sagt De Pauw. Der Community Land Trust arbeitet dabei mit einem Fonds zusammen, der den Wohnungskäufern preiswerte Kredite anbietet. Der Preis bei einem Weiterverkauf ist gedeckelt, auf den ursprünglichen Kaufpreis und zusätzlich 25 Prozent der Wertsteigerung. Sechs Prozent der Wertsteigerung gehen in das Vermögen des Community Land Trusts. Der Rest wird sozusagen »neutralisiert«.
Auch in Berlin hatte sich 2021 eine Stadtbodenstiftung nach dem Vorbild der Community Land Trusts gegründet. Selbst neu bauen will man hier nicht, die Stadtbodenstiftung sucht stattdessen nach Eigentümern, die ihre Grundstücke in guten Händen wissen und nicht zum Höchstpreis verkaufen wollen, erklärt die Architektin Sabine Horlitz. Die Grundstücke würden dann bei der Stadtbodenstiftung und Häuser beispielsweise von Genossenschaften verwaltet werden.
Noch befinde sich die Stadtbodenstiftung aber im Aufbau. »Der Prozess gestaltet sich ein bisschen schwieriger, als wir es uns anfangs erhofft haben. Wir sind aber in Verhandlungen über drei Mehrfamilienhäuser und sind optimistisch, bald das erste Projekt zu realisieren«, sagt Horlitz. Die Stadtbodenstiftung in Berlin ist dabei auf Spendengelder angewiesen, mit öffentlichen Mitteln kann die Stiftung nicht arbeiten, weil beispielsweise Genossenschaftsförderung auch an diese Rechtsform gebunden ist.
In Brüssel kommt das Geld, um den Boden zu kaufen, die Häuser zu errichten und diese letztendlich unter Marktwert an Geringverdiener verkaufen zu können, fast vollständig aus staatlichen Mitteln. »Auch wenn es nach viel Geld aussieht, bin ich der festen Überzeugung, dass das Modell des Community Land Trust langfristig eine kostengünstigere Lösung für die öffentliche Hand darstellt«, sagt De Pauw. In Belgien gebe es viele Bundesprogramme zur Förderung von Wohneigentum. Diese böten jedoch keine Garantie dafür, dass die Erschwinglichkeit einer Wohnung oder eines Hauses auch nach dem Wiederverkauf erhalten bleibt. »Der Community Land Trust bietet diese Sicherheit«, sagt De Pauw. »Wenn wir es Menschen mit geringem Einkommen ermöglichen wollen, in der Stadt zu bleiben, dann braucht es staatliche Unterstützung«, ist er überzeugt.
Doch auch in Brüssel machen die explodierten Baupreise dem Community Land Trust zu schaffen. Während früher über die Fördermittel 35 bis 40 Prozent der Gesamtbaukosten getragen wurden, müssen heute davon über 50 Prozent abgedeckt werden, um die Wohnungen bezahlbar zu halten. »Im vergangenen Jahr mussten wir laufende Projekte mit zusätzlichen Fördermitteln ergänzen, um die Kostensteigerungen aufzufangen«, sagt De Pauw.
Über die vergangenen Jahre hat sich der Community Land Trust einen guten Ruf in der Politik erarbeitet. De Pauw hofft deshalb auf das belgische Superwahljahr. Neben Europaparlament wird im Juni auch das Bundesparlament und das Parlament der Region Brüssel gewählt. Zwar hält De Pauw es vor dem Hintergrund der Baukostensteigerung nicht mehr für möglich, dass sie bis 2030 1000 »Zuhause« gebaut haben, wie es auf der Website des Community Land Trusts steht. »Ich bin aber nach wie vor optimistisch, dass wir mit der Unterstützung der Regionalregierung in Zukunft größere Projekte in Angriff nehmen können.«
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