Transnistrien, eine international nicht anerkannte Region, die formell Teil der Republik Moldau ist, hat offiziell um den Schutz der Russischen Föderation gebeten. Dieses Vorgehen weckt Erinnerungen an die Ereignisse, die dem Konflikt in der Ukraine vorausgingen. Im Februar 2022 hatten die Volksrepubliken Luhansk und Donezk offiziell um den Schutz Moskaus gebeten. Wenige Stunden später rückten bereits russische Truppen in die Ukraine unter dem Vorwand des Schutzes dieser Separatistengebiete ein. Daß es sich hier um eine ähnliche Blaupause handeln könnte, ist also naheliegend. Immerhin hatte der weißrussische Präsident Lukaschenko 2022 in einem Video an einer militärischen Karte gezeigt, daß bei einem erfolgreichen Niederwerfen der Ukraine wohl auch die Region Transnistrien eingenommen werden sollte. Aber ganz so einfach liegen die Dinge nicht.

Die Bevölkerung Transnistriens beläuft sich auf knapp unter 400.000 Menschen. Von diesen identifizieren sich rund 30 Prozent als ethnische Russen, während ein signifikanter Anteil der Bevölkerung, etwa 70 Prozent, Russisch als Kommunikationssprache nutzt. Diese Zahlen unterstreichen die tief verwurzelten kulturellen und sprachlichen Verbindungen zur Russischen Föderation, was Moskau in den letzten Jahrzehnten auch immer wieder betonte. Für Rußland sind die dortigen Einwohner Russen außerhalb ihres eigenen Staatsgebietes und damit ein möglicher Casus Belli, sofern der Kreml zu der Ansicht gelangt, daß diese von der dortigen Regierung „diskriminiert“ werden.

Zwischen altem Kitsch und Verfall

Die Streitkräfte von Transnistrien umfassen etwa 7.500 Soldaten mit etwa 15.000 unmittelbar mobilisierbaren Reservisten. Hinzu kommen etwa 1.000 bis 1.500 russische Soldaten, die seit dem Ende des Krieges um Transnistrien in den 1990ern dort stationiert sind. Versorgt und rotiert werden können diese seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges jedoch nicht mehr. Der Fuhrpark der transnistrischen Kräfte hat sich seit dem Ende der Sowjetunion nahezu nicht verändert. Im Konfliktfall würden sich die pro-russischen Kräfte Transnistriens auf ältere Panzer verschiedenster T-Varianten und BMP-Schützenpanzer stützen.

Substantiell unterstützen kann die russische Militärpräsenz jedoch durch den Einsatz ballistischer Raketen und mehrerer motorisierter Schützenkompanien. Die Militärparaden sind voll mit sowjetischem Kitsch, alten Uniformen, Waffen und Symbolen der untergegangenen kommunistischen Diktatur. Alte T-64-Panzer rollen asphaltierte Alleen hinab, flankiert von Soldaten in Ural-LKWs mit geschulterter Kalaschnikow. Bilder aus der kleinen Separatistenrepublik lassen den Eindruck entstehen, als wenn die UdSSR dort nie aufgehört hätte zu existieren. Die sowjetischen Fahnen sind überall, die Symbolik von Hammer und Sichel allgegenwärtig. Zumeist rüstige Rentner und wenige junge Soldaten sind diejenigen, die rote Sowjetfahnen präsentieren und den Blick gen Osten richten. Alles nicht weltbewegend, aber womöglich genug, um abzuschrecken.

Moldau mit Vorteil gegenüber Transnistrien

Denn beim Blick auf die moldauische Seite zeigt sich, daß die Situation in diesem armen europäischen Staat, der nicht Teil der EU ist, aber werden soll, kaum rosiger ist. Die Streitkräfte Moldaus sind unterfinanziert, leiden an niedriger Moral und sind in der gleichen Art und Weise größtenteils darauf angewiesen, altes sowjetisches Kriegsmaterial im Krisenfall wieder in den Einsatz zu bringen. Zwar gibt es hier und dort einige westliche Waffen und Fahrzeuge. Jedoch nichts, was einen beachtlichen Fähigkeitsgewinn und Vorteil für Moldau darstellen würde.

Trotz viel größerer Bevölkerung unterhält Moldau in etwa dieselbe Anzahl an Soldaten im aktiven Dienst, wenngleich zumindest nominell ein größerer Pool von Reservisten angegeben wird. Wahrscheinlich ist, daß die vielfach größere Bevölkerung Moldau in einem Kriegsfall mit Transnistrien einen Vorteil verschafft.  Der Wille zum Waffengang scheint in Chișinău jedoch ohnehin nicht vorhanden zu sein. Zu groß ist das Risiko, zu gering der Nutzen.

Im Kriegsfall stünde das Land allein da

Die Region Transnistrien liegt derzeit eingeschlossen zwischen Karpaten inmitten von Ukraine, Moldau und ist ansonsten in unmittelbarer Nähe von EU-Staaten und ohne Anschluß zum Meer. Sollte es zu einem Krieg um die Region kommen, wären die Streitkräfte der Separatistenrepublik auf sich gestellt und könnten sich nur auf die wenigen russischen Soldaten im Notfall stützen, die noch vor Ort sind. Sollte Moskau intervenieren, müßte sie via Luftlandung über die Ukraine oder das Schwarze Meer und damit über den von der Ukraine zumindest teilweise überwachten Luftraum Truppen hineinschicken, deren weitere Versorgung ohne Landweg mehr als fraglich ist.

Das alles unter der Voraussetzung, daß die Lage in der Ukraine sich nicht für Kiew dramatisch verschlechtert und Odessa, die große Hafenstadt am Schwarzen Meer, doch noch in russische Hände fällt. In diesem Fall wäre es durchaus möglich, daß Transnistrien ein realistisches zweites Etappenziel für Moskau wäre, das ab Eroberung Odessas seine Truppen in der Region verstärken könnte und mit Luftunterstützung auch die lokalen Kräfte unterstützen würde.

Das Schicksal Moldaus hängt an der Ukraine

Gemäß dem Fall, daß Rußland angreift, hat Rumänien, das sich als Schutzherr der Republik Moldau sieht, bereits signalisiert, daß man Moldau nicht im Stich lassen und militärisch unterstützen würde. Die Implikationen, die hier aufgemacht werden, sind eindeutig. Der Krieg hätte dann endgültig an die Tür des Nato-Gebiets und an das der EU angeklopft.  Zwar ist auch Rumänien kein militärischer Riese, wohl aber in der Lage, entscheidend zum Vorteil der Regierung in Chișinău zu intervenieren. In diesen Szenarien der vielen „Wenn, dann“ ist festzuhalten, daß eine militärische Eskalation zwar unwahrscheinlich scheint, aber ihre Wahrscheinlichkeit deutlich über null Prozent liegen dürfte. Der konventionelle Krieg ist nach Europa zurückgekehrt und die Europäische Union und die Nato-Staaten Europas scheinen nur unzureichend darauf vorbereitet.

Gleichzeitig hängt das Schicksal der Republik Moldau augenscheinlich am Schicksal der Ukraine. Ohne einen russischen Durchbruch bis Odessa und ein großflächiges Aufrollen der Front in Richtung Westen durch Moskaus Truppen bleibt eine Intervention in Transnistrien unwahrscheinlich.





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