So trennen sich Lebenswege. Uli Hoeneß, Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic waren allesamt dabei im Estadio Santiago Bernabéu an jenem schicksalhaften Fußballabend von Madrid, als der FC Bayern München durch das 1:2 bei Real Madrid das Champions-League-Finale verpasste. Das Trio fieberte mit Herzblut auf der Tribüne mit. Sie waren sich so nah – und doch so fern.

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Während Vereinspatron und Ehrenpräsident Uli Hoeneß, der sich am Spieltag mit Real-Präsident Florentino Peréz zum Mittagessen der Delegationen getroffen hatte, auf der VIP-Tribüne inmitten der Bayern-Familie saß, feuerte Salihamidzic im Trikot die Mannschaft im Unterrang an. Kahn hatte noch andere Karten erhalten. Er war auf Einladung von Real nach Madrid geflogen. Im TV konnte man sehen, wie er sich mit einem Getränk in der Hand vorbei an den ehemaligen Vereinsgrößen der Königlichen, Roberto Carlos und Raúl, zu seinem Platz durchkämpfte. Große Schlachten hatte der ehemalige Bayern-Torhüter in diesem Stadion geschlagen, die gegen Hoeneß hatte er im Mai letzten Jahres verloren.

Kahn war als Nachfolger von Karl-Heinz Rummenigge auf der Position des Vorstandsbosses auserkoren worden. Ab Juli 2021 arbeitete er mit Sportvorstand Salihamidzic, seinem früheren Mitspieler, zusammen. Im Mai 2023, in den Tagen rund um die von Borussia Dortmund „geschenkte“ Meisterschaft, wurden Kahn und Brazzo, so Salihamidzic‘ Spitzname, entlassen. Der Bosnier im gegenseitigen Einvernehmen. Zwischen Hoeneß, der sich einst für Kahn stark gemacht hatte, und Kahn krachte es. Der einstige Titan wollte nicht wahrhaben, dass sein Nachfolger Jan-Christian Dreesen, zuvor Finanzvorstand, hieß. Doch die Bayern-Führung stellte sich neu auf. Hoeneß mischte sich wieder aktiver ein, Rummenigge wurde in den Aufsichtsrat berufen. Zurück in die Zukunft.

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Wie viel Offenheit ist gut?

In der Gegenwart sucht der FC Bayern einen neuen Trainer. Bei Ralf Rangnick war man rund um das Hinspiel gegen Real Madrid (2:2) in der Führungsetage zuversichtlich, dass er den Job übernehmen werde. Diesen Eindruck vermittelten die Bosse auch nach dem Schlusspfiff. Präsident Herbert Hainer gab bereitwillig Auskunft über den Stand der Dinge, ebenso Vorstandsboss Dreesen. Später ließen sich noch Sportvorstand Max Eberl, Hoeneß’ Wunschkandidat, und Sportdirektor Christoph Freund interviewen. Der Verein will sich offen und kommunikativ zeigen.

In den meisten Büros ist die Kantine der Ort für offenere, ehrlichere Gespräche als in Konferenzen. Tratsch in den Mixed Zones, dazu Telefonate der Bosse mit ihnen nahestehenden Reportern bilden die Küche an der Säbener Straße, wo der FC Bayern beheimatet ist. Hier möchte jeder seinen Anteil zum Menü beitragen. Das jedoch wird seit Jahrzehnten vom Chefkoch vorgegeben und in der Zubereitung überwacht. Von Hoeneß.

„Ich kann nur empfehlen, wieder etwas verschlossener zu werden“, sagte Rummenigge der spanischen Zeitung „AS“. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende nannte ein Beispiel: „Als wir Pep Guardiola verpflichtet haben, haben wir insgesamt sechs Monate an der Operation gearbeitet, und niemand hat davon erfahren.“ Die Ermahnung von „Kalle“, dem Aufsichtsratsmitglied, fand über die Medien statt. Lieber schweigen wie ein Philosoph und dann einer bleiben – ganz im Sinne des Ausspruches von Boethius, dem römischen Gelehrten und Politiker? Offenbar keine Option. Sportdirektor Freund meinte zur Informationsdurchlässigkeit des Vereins: „Der FC Bayern ist ein sehr großer Verein, da will jeder Bescheid wissen und recherchiert.“ Es gehören immer zwei Seiten dazu.

Hitzlsperger kritisiert Bayern-Präsident Hainer scharf

Es sei schwierig, in Fußballklubs zu arbeiten, „wenn Leute ihre Rolle nicht wahrhaben wollen“, sagte Ex-Profi Thomas Hitzlsperger jüngst. Hitzlsperger, früher selbst in der Rolle als Sportvorstand und Vorstandsvorsitzender beim VfB Stuttgart, kritisierte damit Bayern-Präsident Hainer: „In dem Moment, wo er bei Bayern durch die Tür geht, setzt der Verstand aus.“ Hitzlsperger habe den Eindruck, „jedes Mal, wenn ihm ein Mikro unter den Mund gehalten wird, dann sagt er etwas. Er sagt etwas zum Trainer, er sagt etwas zur Mannschaft, er äußert sich zu Dingen, zu denen er nichts sagen soll.“ Womit sich Hitzlsperger, ein gebürtiger Münchner, auf die nun schon recht lange Trainersuche der Bayern-Bosse bezog.

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Denn Hoeneß mischt sich ein, wenn er glaubt, der Zeitpunkt sei gekommen, die Ereignisse nach seinem Gusto zu lenken. Beispielhaft die Causa Tuchel. Nach vielen Krisen hatten sich der Trainer und die Mannschaft nach der Entscheidung der Führungsetage vom Februar, den Vertrag um ein Jahr zu verkürzen und auf das Saisonende zu datieren, zusammengerauft und das Champions-League-Halbfinale erreicht. Erste Stimmen wurden laut, auch innerhalb des Vereins, mit Tuchel noch einmal zu reden, ob man das Engagement nicht doch fortsetzen könne. Da intervenierte Hoeneß auf seine Art. Mit einem Gegenangriff, natürlich über die Medien.

Thomas Tuchel ist nur noch bis Saisonende Bayern-Trainer.

Thomas Tuchel ist nur noch bis Saisonende Bayern-Trainer.

Nach seinem Vorwurf bei einem „FAZ“-Talk, Tuchel fordere bei Misserfolgen lieber neue Spieler, als die eigenen zu verbessern, verzichtete der Ehrenpräsident auf eine Entschuldigung. Er stehe dazu, versicherte der 72-Jährige kurz darauf und kündigte an, „wild entschlossen zu sein, meine Meinung wieder deutlicher zu machen“. Die Renaissance der Abteilung Attacke. Tuchel fühlte sich in seiner „Trainerehre schwer gekränkt“, sah angesichts der Duelle mit Real Madrid „keinen schlechteren Zeitpunkt für irgendwelche Nebenschauplätze“ und sagte durch zig Querelen in seiner erst 13-monatigen Amtszeit zermürbt: „Wenn ich das herunterschlucken muss, dann schlucke ich das auch noch runter.“ Eine Aussprache mit Hoeneß? Nein, danke.

Kurz vor Ende von Tuchels Zeit in München ist das Tischtuch zu Hoeneß zerschnitten. Die spanische Zeitung „Marca“, Hausblatt von Real Madrid, hatte das Zerwürfnis genüsslich als „Krieg von München“ beschrieben. Dabei war es Tuchel, der als Nachfolger des im März 2023 entlassenen Julian Nagelsmann gleich zu Beginn seiner Amtszeit Hoeneß umgarnt und beteuert hatte, er wolle sein „Bestes geben, um gut auf seinen Klub aufzupassen“. Er weiß halt, wie der FC Hoeneß tickt. Das half ihm auch nicht.

Sein Verein, so betont der Ehrenpräsident gern, brauche auf der Trainerposition „mehr Kontinuität“. Der letzte, der mehr als zwei Spielzeiten durchhielt, war Guardiola von 2013 bis 2016. Carlo Ancelotti, Niko Kovac, Hansi Flick, Nagelsmann und Tuchel gelang dies im Anschluss nicht. „Wenn wir mal länger mit einem Trainer zusammengearbeitet haben, dann war das immer gut: mit Pep Guardiola, mit Jupp Heynckes, mit Ottmar Hitzfeld, mit Udo Lattek“, sagte Hoeneß, „diese Konstanz, diese Stabilität haben wir derzeit noch nicht.“ Dennoch zieht Hoeneß die Notbremse, wann er möchte.

Die Kritik an Hoeneß wird größer

„Uli achtet immer darauf, dass er die Kontrolle hat. Dafür sucht er einen sehr engen Draht zum Trainer und möchte mit ihm auch die sportlichen Belange besprechen“, sagt Trainer Felix Magath, von 2004 bis 2007 beim FC Bayern. Magath im „Stern“ weiter: „Ich dagegen hatte bei Uli einen anderen Stand, weil ich andere sportliche Vorstellungen hatte. Carlo Ancelotti oder Jürgen Klinsmann ging es ähnlich.“ Das habe Hoeneß so gestört, „dass er sich von solchen Trainern lieber getrennt hat, als sich mit ihnen auseinanderzusetzen“. Magaths Schlussfolgerung: „Das System Hoeneß ist an seine Grenzen gekommen. Der FC Bayern spürt jetzt die Folgen seines Umgangs mit Spitzentrainern.“

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Kritik kommt dieser Tage von verschiedenen Seiten. Hat Hoeneß sein Gespür, im richtigen Moment zu intervenieren, verloren? Ex-Bayern-Kapitän Lothar Matthäus sieht „ein Strukturproblem beim FC Bayern. Max Eberl ist doch jetzt der Entscheidungsträger, nicht Uli Hoeneß. Er sollte sich stark fühlen, eigene Entscheidungen treffen – und nicht das machen, was am Tegernsee gedacht und gewünscht wird.“ Hoeneß als Bremsklotz? „Uli hat eigentlich gar nicht die Position im Verein. Er nimmt sich das Recht heraus, weil er Ehrenpräsident ist“, so Matthäus bei „Sport1″. „Uli wird natürlich weiter gefragt. Die Journalisten wissen, wenn sie ihn fragen, bekommen sie Antworten. Und diese Antworten sind sehr häufig ein Gewitter in der deutschen Medienlandschaft.“

In den nächsten Jahren wird eine Frage den FC Bayern begleiten, die immer wieder neu auf die Tagesordnung kommt: Wie kann sich der Verein von Hoeneß schrittweise abnabeln? Oder muss es eher heißen: Wann kann Hoeneß loslassen?

Als Hoeneß wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis saß, war dies der größte Bruch in seinem Leben. „Ich habe einen riesigen Fehler gemacht, zu dem ich stehe. Ich war eindreiviertel Jahre weg und habe für meinen Fehler gebüßt“, erklärte er Anfang 2022. Die Selbstanzeige, der Verzicht auf eine Revision und die Schritte der Resozialisierung ließen einen demütigen Hoeneß erkennen. Der Selfmade-Man, der Autodidakt als Manager, der kurz nach Ende seiner aktiven Karriere 1979 begann, den FC Bayern umzukrempeln, sah sein Lebenswerk vor nicht einmal zweieinhalb Jahren als „vollbracht“ an. Zufrieden wollte er den Stab übergeben, bezeichnete sich als „Teamplayer“.

Doch das Team stellt Hoeneß weiter selbst zusammen, seinen Stab hält er fester denn je umklammert.



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