Jetzt startet die große Konferenz der Innenminister . Zweieinhalb Tage lang geht es um Deutschlands Sicherheit. Um die ist es nicht gut bestellt. Es wäre eine gute Gelegenheit, zu demonstrieren, dass die Regierenden aus dem Ergebnis der Europawahl gelernt haben. Allein – danach sieht es nun gerade nicht aus. Im Gegenteil. 

Am Tag nach der Europawahl konnte der Bundeskanzler auf eine ganz besondere Deutschlandkarte schauen. Die politischen Realitäten sehen nun so aus: Westdeutschland ist schwarz. Ostdeutschland ist blau. Sozialdemokraten, Grüne und Liberale zahlten einen hohen Preis für die Regierung in Berlin. Besonders für ihre Migrationspolitik – bei der das Gegenteil von dem geschieht, was sich eine Mehrheit der Bevölkerung wünscht. Leichte und kaum kontrollierte Einreise, kaum Abschiebungen, immer schnellere Einbürgerungen.

Faeser feiert sich, doch Abschiebungen allein sind nicht die Lösung

Dass es bei den drei Wahlen im Osten für die Ampel besser ausgeht, ist nicht zu erwarten. Konsequenzen bislang – Fehlanzeige. Nicht nur, dass die Wahlverlierer keine personellen Schlussfolgerungen zogen aus diesem drastischen Vertrauensverlust bei der Bevölkerung, sie ließen auch – mit Ausnahme der Liberalen – keine sachlichen Konsequenzen erkennen. Bei der Migrationspolitik gilt vielmehr ein: Weiter so. 

Bundeskanzler Olaf Scholz hat „Abschiebungen im großen Stil“ versprochen. Dazu einige Zahlen. 2021 wurden 11.982 abgelehnte Asylbewerber in ihre Heimatländer abgeschoben. 2022 waren es dann 12.945. 2023 konnte Bundesinnenministerin Nancy Faeser eine spektakuläre Steigerung vermelden: plus 27 Prozent. Klingt großartig. In Zahlen: 16.430.

Faeser verspricht auch für dieses Jahr ein Abschiebe-Plus von 20 Prozent. Im ersten Quartal dieses Jahres wurden aus Deutschland 4791 Menschen abgeschoben, nach Angaben des Mediendienstes Integration ein Plus von 30 Prozent. Was sich in absoluten Zahlen allerdings mehr als bescheiden ausnimmt und kaum etwas ändert an der irregulären Einwanderungsbilanz:

Nach Deutschland migrieren rund 20-mal so viele Menschen, wie aufgrund eines abgelehnten Asylbescheids oder aus anderen Gründen wieder abgeschoben werden. Die Zahlen zeigen nur, was Experten schon seit Jahren klar ist: Abschiebung ist nicht die Lösung. Zumal in Deutschland nicht einmal darüber Einigkeit herrscht.

Baerbock lehnt Abschiebe-Deal mit Taliban ab

Ein Teil der Innenminister fordert die grüne Außenministerin Annalena Baerbock inzwischen auf, auch mit der afghanischen Regierung direkt über Abschiebungen zu verhandeln. Nötig wäre am Ende ein Abschiebeabkommen – die Grüne lehnt das ab. Denn der Preis dafür wäre eine Aufwertung des islamistischen Taliban-Regimes. 

Um nicht mit den Taliban direkt ins Geschäft kommen zu müssen, spricht die Bundesregierung mit der Regierung von Usbekistan, einer ehemaligen Sowjetrepublik, die im Süden an Afghanistan angrenzt. Allerdings gibt es wohl auch unter der Präsidentschaft von Shavkat Mirziyoyev schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen – eine Karte, die im Fall drohender Abschiebungen von Afghanen deren Anwälte mit Sicherheit ziehen werden.

Ob Abschiebungen von abgelehnten afghanischen Asylbewerbern nach Usbekistan überhaupt funktionieren, liegt am Ende in der Hand deutscher Richter. Jedenfalls drohen hier die nächsten enttäuschten Erwartungen. 

Sprechen wollen die Innenminister an diesem Donnerstag über Asylverfahren in Drittstaaten, das sogenannte Ruanda-Modell. Parteipolitisch sieht es so aus: Die Grünen haben Asylverfahren in Drittstaaten für nicht möglich erklärt, und mit dieser Einschätzung sind sie nicht allein. Bei der Europawahl blieb auf der schwarz-blauen Polit-Karte ein winziger Flecken rot.

Die Grünen bremsen auch eine andere Abschreckungsidee

In Bremen regiert der Bürgermeister Jürgen Bovenschulte. Der SPD-Mann, der Deutschlands kleinste politische Einheit anführt, erklärt das Konzept, Asylverfahren nicht in Deutschland, sondern in Drittstaaten wie Ruanda zu veranstalten, rundheraus für „eine Schnapsidee“. Angesichts der Ankündigung des Bundeskanzlers und seiner sozialdemokratischen Innenministerin, diese – ursprünglich britische – Idee unvoreingenommen prüfen zu wollen, sollte man mit deren Verwirklichung besser nicht mehr rechnen. 

Nach allem, was im Vorfeld der Innenministerkonferenz zu hören ist, bremsen die Grünen auf Landesebene auch eine andere Idee – die Einführung einer Bezahlkarte, mit der Asylbewerber die Güter des täglichen Bedarfs begleichen sollen. Die Idee dahinter hat seinerzeit der Bundesfinanzminister Christian Lindner formuliert: Es gehe darum, Geldüberweisungen von Asylbewerbern zu deren Familien in den Herkunftsländern zu verhindern. Es ist de facto eine Abschreckungsidee. 

Bei der Umsetzung dieser Idee ist das CSU-regierte Bayern Vorreiter. Der Grund dafür ist, dass der Ministerpräsident Markus Söder nicht mit den Grünen regieren muss und sein Koalitionspartner, die von Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger geführten Freien Wähler, in der Migrationspolitik dieselbe Haltung haben wie die CSU.

Die nächste Belastungsprobe droht in Nordrhein-Westfalen

Ganz anders in Schleswig-Holstein. Dort findet die grüne Integrationsministerin Aminata Touré in der Regierung mit dem CDU-Ministerpräsidenten Günther offenbar immer neue kleinteilige Hindernisse für die Einführung der Bezahlkarte. Dort, wo sie, wie in ostdeutschen Landkreisen, bereits eingeführt wurde, berichten Landräte, Migranten hätten sich von der Umstellung von Geldleistungen auf die Bezahlkarte bereits von der Einreise abhalten lassen.

Die nächste Belastungsprobe für eine schwarz-grüne Koalition droht in Nordrhein-Westfalen, wo der Christdemokrat Hendrik Wüst bislang so gut wie reibungslos mit seiner Vize Mona Neubaur regiert. Nun hat allerdings die neue niederländische Regierung eine Regierungsvereinbarung geschlossen, die aus grüner Sicht mehr als brisant ist. 

Denn die Niederländer haben sich vorgenommen zu tun, was die deutsche Bundesregierung und auch die nordrhein-westfälische Landesregierung ebenfalls machen könnten, aber eben um keinen Preis machen wollen. So heißt es in der Regierungsvereinbarung der niederländischen Regierung, in der der Rechtspopulist Geert Wilders den Ton angibt: 

„Irreguläre Migranten, die bei Landesgrenzkontrollen angetroffen werden, werden sofort nach Deutschland und Belgien zurückgeschickt.“ Das mag auf den ersten Blick nachbarschaftsunfreundlich aussehen, aber: Es ist rechtskonform. Denn jeder Asylbewerber, der es bis in die Niederlande geschafft hat, ist zuvor durch ein sicheres Drittland gereist.

Söder will die „Zeitenwende in der Migrationspolitik“

So wie die Niederlande, könnte es auch Deutschland halten. Gerade hat der CSU-Ministerpräsident Markus Söder einen Fünf-Punkte-Plan für eine „Zeitenwende in der Migrationspolitik“ veröffentlicht. Punkt fünf lautet: „Unberechtigte Asylbewerber an den Binnengrenzen zurückweisen.“ Bei enger Gesetzesauslegung ist allerdings nach dem Grundgesetzartikel 16 jeder Migrant „unberechtigter Asylbewerber“ – es sei denn er wäre auf dem Flughafen Frankfurt gelandet. 

Gerade hat die Bundesinnenministerin selbst veröffentlicht, welche Ergebnisse stationäre Grenzkontrollen haben können – die die deutsche Bundespolizei zur Fußball-Europameisterschaft eingeführt hat: 

Es konnten 173 offene Haftbefehle vollstreckt werden. Es gab 19 „Fahndungstreffer“ aus dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität. Es wurden 900 Menschen an der Einreise nach Deutschland gehindert – oder zurückgeführt. Schließlich wurden 34 Schleuser festgenommen. Und das alles zwischen dem siebten und dem 13. Juni. Also binnen nur einer Woche.

Hochgerechnet auf ein Jahr würde das bedeuten, rund 45.000 Menschen an der Einreise nach Deutschland zu hindern – und 1700 kriminelle Schleuser – Menschenhändler – an der deutschen Grenze dingfest zu machen.

Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg

Dies macht deutlich: Nicht die komplizierte Ausreise, nicht die Abschiebungen, sind der Schlüssel für einen durchgreifenden Erfolg der deutschen Asylpolitik. Sondern die Kontrolle der Einreise durch die Bundespolizei – in Kombination mit Verfahren, wo sie geboten sind, in Drittstaaten, was die Union will, aber nicht Rot-Grün. 

Schon die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat behauptet, es sei unmöglich, die deutsche Grenze für Migranten dichtzumachen. Die Bundespolizei hat dies nun – vor aller Augen – zum zweiten Mal widerlegt. Das erste Mal während eines Gipfels der Staats- und Regierungschefs auf Schloss Elmau. Und nun das zweite Mal – während der Fußball-EM. 

Damit wissen alle Beteiligten, von den Landesinnenministern bis zum Bundeskanzler: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.    





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