Lyon/München – Per Flieger zurück nach Frankfurt ging es am Sonntag für den Tross der deutschen Nationalmannschaft, für weitere drei Nächte an den DFB-Campus. Mit Frühlingsgefühlen im Gepäck sowie einer ungeahnten Euphorie nach dem souveränen und hochverdienten 2:0 in Lyon gegen Frankreich. Zur Erinnerung: Der Vize-Weltmeister und Top-Favorit der EM in diesem Sommer. Oh là là! Plötzlich sieht die Zukunft farbenfroh aus, rosarot bis pink wie das neue Auswärtstrikot, das am Dienstag im Heimspiel gegen die Niederlande (20.45 Uhr, RTL) seine Premiere feiert.

DFB-Präsident Neuendorf wünscht sich Verlängerung mit Julian Nagelsmann

Der Mann, der die lang ersehnte Zeitenwende eingeleitet hat, steht allerdings vor einer ungewissen Zukunft. Julian Nagelsmanns im September geschlossener Vertrag gilt lediglich bis zum Turnierende der Heim-EM, die in 81 Tagen (Stichtag Montag) beginnt – wann auch immer das sein wird. In den Tagen vor dem Frankreich-Länderspiel und speziell in Lyon war zu spüren, dass man es nun eilig hat beim DFB.

Eine Verlängerung mit dem 36-Jährigen wäre “von unserer Seite absolut wünschenswert”, bekräftigte Präsident Bernd Neuendorf in Lyon. Zeitnah will er mit Nagelsmann sprechen. Weil ihm die Zeit davonläuft? Weil man beim DFB Angst hat, Nagelsmann könnte bei einem passenden Angebot für die neue Saison (Borussia Dortmund, der FC Liverpool, der FC Barcelona, wer weiß?) wieder Gefallen daran finden, sich in die tägliche Arbeit bei einem Verein zu stürzen?

Nagelsmann hat noch kein Vertragsangebot vom DFB

“Wir sind ein gutes Team, verstehen uns gut, tauschen uns intensiv aus”, sagte der DFB-Boss. Das ist aber nicht alles. Es geht wie immer bei Verhandlungen natürlich auch ums liebe Geld. Eher beim klammen Verband, für den ein längerfristiger Vertrag selbstredend ein Risiko darstellt. Damit hat man schlechte Erfahrungen gemacht, siehe die vorzeitige Vertragsverlängerung mit Bundestrainer Joachim Löw im Mai 2018 bis ins Jahr 2022. Die WM in Russland (Vorrunden-Aus) und die EM 2021 (Achtelfinale) endeten für die deutsche Nationalelf viel zu früh. Den Vertrag von Löw löste man, vorab vereinbart, im Sommer 2021 auf.

“Es ist nicht ausgeschlossen, aber es ist auch nicht selbstverständlich”, sagte Nagelsmann nach dem 2:0 gegen Frankreich im ZDF auf die Frage, ob er bleibt. Es liege auch “ein bisschen am Angebot. Das ist ja klar.” Noch liegt keins auf dem Tisch. Nagelsmann macht durch seine Aussagen indirekt Druck, ganz direkt mit Ergebnissen und Erlebnissen wie dem 2:0 in Frankreich.

Auch Vertrag von Rudi Völler endet mit der EM 

Ein Angebot, so Nagelsmann, wäre “ein erster Schritt”, aber auch “keine Garantie”, dass er bleibe. Man habe eben noch “sehr viele Details” zu klären, die man intern bespreche. “Das hat nichts mit finanziellen Dingen zu tun, das möchte ich schon klarstellen”, betonte Nagelsmann. Eher mit Perspektiven und Personalien sowie mit dem rechten Zeitplan.

In die Heim-EM wolle er “mit der nötigen Ruhe reingehen”, betonte der frühere Bayern-Coach, und diese Ruhe habe man, wenn “alles geklärt ist”. Interessant, dass Nagelsmann in Lyon sein Schicksal mit der Rolle von Sportdirektor Völler verknüpfte. Auch der Vertrag des 63-jährigen Sportdirektors endet mit der EM.

Sitzen mit Julian Nagelsmann am Verhandlungstisch: Die DFB-Bosse um Rudi Völler und Bernd Neuendorf.

Karten für Julian Nagelsmann beim DFB stehen gut

“Ich verstehe mich außergewöhnlich gut mit Rudi auf menschlicher Ebene. Ein sehr, sehr guter Gesprächspartner, er hat immer eine gute Geschichte auf Lager”, erzählte Nagelsmann. “Er trägt auch immer zur Erheiterung der Gruppe bei, das ist auch wertvoll.” Der Bundestrainer gehört zur Abteilung pro Rudi – umgekehrt ist es genauso. Wer kann zu diesem Duo schon nein sagen? Der Poker ist längst eröffnet.

Clever von Nagelsmann, die Seelenverwandtschaft mit “Tante Käthe”, einer Art allseits beliebtem Maskottchen des DFB, zu betonen. Nagelsmanns Karten sind aktuell bestens, er kann nun gelassen abwarten, welches Angebot ihm der Verband unterbreitet. Und mit dem millionenschweren Nike-Deal, ab 2027 neuer Ausrüster anstelle von Adidas, ist der klamme DFB auch wieder etwas flüssiger.





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