Berlin. „Ein guter Inder hier in Lübben?“ Pfarrer Anish Mathhew muss nicht lange überlegen. „Das ‚Gulshan‘ vom Ehepaar Kumar. Nette Leute, sehr gutes Essen und zu Fuß nur etwa fünf bis zehn Minuten von der Kirche entfernt. Bestellen Sie Grüße von mir!“

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Pfarrer Anish, wie der Seelsorger hier in der katholischen St.-Trinitas-Gemeinde der Einfachheit halber genannt wird, und auch das Ehepaar Kumar gehören zu den Menschen, die umgehend in ihr Herkunftsland ausgewiesen werden könnten – wenn es nach dem Willen rechtsextremer Vordenker und ihrer Verbindungsleute in der AfD ginge. Was macht das mit ihm?

Der aus dem südindischen Bundesstaat Kerala stammende Kirchenmann leitet die 1000 Katholiken zählende Gemeinde im Spreewald seit drei Jahren. Der 43-Jährige ist seit 2010 in Deutschland und kennt die Region recht gut. Das Bistum Görlitz hatte sich rechtzeitig um den indischen Gottesmann bemüht – auch in der Kirche herrscht Fachkräftemangel. Pfarrer Anishs Einzugsgebiet umfasst insgesamt 1200 Quadratkilometer. „Ich komme herum“, sagt er.

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AfD-Fraktionschef ist Katholik

Lübben zählt zu den AfD-Hochburgen in Brandenburg, wo dieses Jahr wie auch in Sachsen und Thüringen ein neuer Landtag gewählt wird. 2021 hat hier Hans-Christoph Berndt das Direktmandat gewonnen. Er ist AfD-Fraktionschef im Landtag in Potsdam. Der Verfassungsschutz hat ihn als erwiesenen Rechtsextremisten eingestuft. Sogenannte Remigration – zuletzt zum Unwort des Jahres gekürt – ist für den AfD-Funktionär „das Gebot der Stunde“. Berndt ist Katholik.

Pfarrer Anish Mathhew stammt aus dem indischen Bundesstaat Kerala und leitet seit 2021 die katholische Pfarrei St. Trinitat im brandenburgischen Lübben (Spreewald).

Pfarrer Anish Mathhew stammt aus dem indischen Bundesstaat Kerala und leitet seit 2021 die katholische Pfarrei St. Trinitat im brandenburgischen Lübben (Spreewald).

Pfarrer Anish hatte noch nie mit dem Politiker zu tun. Für ihn ist zwar klar, dass Gott die Menschen liebe und wer Gott wirklich liebe, auch alle Menschen lieben müsse. Gleichwohl fragen ihn Gemeindemitglieder nach den Veröffentlichungen über das Potsdamer Treffen rechtextremer Strategen durch Correctiv immer wieder, wie er und die Kirche es nun mit der AfD und ihren Vorstellungen hielten.

Die beiden großen christlichen Kirchen haben für ihre Verhältnisse ungewöhnlich schnell geantwortet. Die sechs für Ostdeutschland zuständigen katholischen Bischöfe warnten gleich zu Beginn des Wahljahres vor den „nicht zu akzeptierenden“ Positionen extremer Parteien wie Der III. Weg, der Partei Heimat oder auch der AfD.

AfD: Billige Wahlkampfmanöver

Im Februar verabschiedete die Deutsche Bischofskonferenz die Erklärung „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“, in der explizit auf die AfD abgehoben wird. Dazu heißt es vom katholischen Führungsgremium: „Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern, können für Christinnen und Christen kein Ort ihrer politischen Betätigung sein und sind auch nicht wählbar. Die Verbreitung rechtsextremer Parolen – dazu gehören insbesondere Rassismus und Antisemitismus – ist überdies mit einem haupt- oder ehrenamtlichen Dienst in der Kirche unvereinbar.“

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Die AfD wirft den deutschen Bischöfen „billige Wahlkampfmanöver“ vor. Der stellvertretende Bundessprecher Stephan Brandner, nach eigenen Angaben 2023 aus der katholischen Kirche ausgetreten, sprach von „Polithetze gegen die einzige Opposition“. Der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, erklärte, dass er sich von „Pfaffen“ nichts vorschreiben lasse.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), deren Synode bereits im Dezember 2023 das Positionspapier „Auseinandersetzung mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und extremer Rechter“ vorgelegt hatte, vollzog wenige Tage nach den katholischen Bischöfen den ökumenischen Schulterschluss in Sachen AfD.

Ein Coup, der die AfD kalt erwischt hat.

Andreas Püttmann,

Politikwissenschaftler, im „Kölner Stadt-Anzeiger“ über die Erklärung der katholischen Bischöfe

Die amtierende EKD-Ratsvorsitzende, Kirsten Fehrs, erklärte: „Wir ziehen die gemeinsame Konsequenz, vor der Wahl rechtsextremer Parteien einschließlich der AfD zu warnen, weil sie Minderheiten ausgrenzen und die Demokratie gefährden. Über diese Einmütigkeit der katholischen und evangelischen Kirche bin ich froh.“

Die einstimmige Erklärung der katholischen Bischöfe bezeichnete Politikwissenschaftler Andreas Püttmann im „Kölner Stadt-Anzeiger“ als einen „Coup, der die AfD kalt erwischt hat“. Jetzt „reißt ihr nun auch noch die konservative Institution schlechthin das Etikett ‚konservativ‘ herunter“, so Püttmann.

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Mehr Zustimmung im Westen

Doch so energisch die Worte der Kirchenoberen auch klingen und wie löblich sie im demokratischen Spektrum aufgenommen worden sind: Beide christlichen Kirchen haben ein Glaubwürdigkeitsproblem. Nicht allein die Missbrauchskandale waren daran schuld. Die fehlende Gleichberechtigung der Frauen, eine rigide Sexualmoral, der Umgang mit queeren Mitarbeitern und starre Hierarchien wirken – auch wenn sich inzwischen vieles verändert – für etliche Menschen wie von gestern.

Immerhin: Wie aus einer erst vor wenigen Tagen veröffentlichten YouGov-Umfrage von insgesamt 2191 Deutschen im Auftrag der Katholischen Nachrichten-Agentur hervorgeht, bewerten 44 Prozent die Positionen der beiden christlichen Kirchen zur AfD als positiv bis sehr positiv. 17 Prozent der Befragten halten den Standpunkt der Kirchen für negativ oder sehr negativ. 12 Prozent stehen dem gleichgültig gegenüber. Die kirchlichen Stimmen zur AfD werden in Westdeutschland mit 47 Prozent deutlich positiver aufgenommen als in den östlichen Ländern (36 Prozent).

Kritische Reaktionen

Der konservative Passauer Bischof Stefan Oster berichtete im Bayerischen Rundfunk von kritischen Reaktionen aus seinem Bistum auf die Abgrenzung von der AfD. Zu Überschneidungen von Positionen der katholischen Kirche und der AfD etwa beim Lebensschutz sagte Oster: „Dass wir für Lebensschutz stehen, dürfte klar sein. Aber wir waren das Original. Es wird gekapert und für die eigenen Interessen instrumentalisiert.“

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Wer die Partei wählt, wählt auch die Extremisten.

Anish Mathhew,

Katholischer Pfarrer in Lübben

Wie aber gehen nun die Seelsorger vor Ort, die täglich mit Christen aller Couleur in ihren Gemeinden zu tun haben und wo die AfD in jüngsten Sonntagsfragen auf 34 Prozent (Sachsen), 29 Prozent (Thüringen) und 28 Prozent in Brandenburg kommt, mit den Bischofsworten und der Stimmung um?

Pfarrer Anish spricht von „Erleichterung“, auch wegen der speziellen Erwähnung der AfD. Er findet es richtig, weil er nun klar sagen können, wie die Kirche zu der Partei stehe. „Es hilft nicht, wenn gesagt wird, bei der AfD würde es auch gemäßigte Leute geben. Wer die Partei wählt, wählt auch die Extremisten.“

„Es liegt einiges im Argen“

Dem Katholiken in der Diaspora ist bewusst, dass die Sendungskraft der Kirchen – zumal im Osten Deutschlands – eher begrenzt ist. 2022 waren hier weniger als 15 Prozent der Menschen evangelisch und weniger als 5 Prozent katholisch. Er hofft deshalb, dass Politiker aller Ebenen wieder mehr mit den Menschen reden – so wie er es tue. „Es liegt einiges im Argen“, so Pfarrer Anishs Befund.

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Er denkt dabei an fehlende Kita- oder Pflegeplätze, den Zustand von Schulen, lange Wege zu Fachärzten und ungeklärte Unterbringungen zugewiesener Geflüchteter. „Diese Dinge dürfen nicht länger wegdiskutiert werden. Besser wäre es, Lösungsmöglichkeiten zu offerieren und Menschen in einer Abstimmung aufzufordern, die beste zu wählen.“

Verfassungsschutz bereitet neue Einschätzung zur AfD vor

Bislang wird die AfD nur als sogenannter Verdachtsfall des Rechtsextremismus geführt.

Nicht jeder protestiere oder wähle AfD, weil er Geflüchtete hasse, meint der Seelsorger aus Lübben. „Viele fürchten, dass Hinzukommende die ohnehin vorhandenen Probleme verschärfen. Auf diese Ängste reagiert zumeist allein die AfD.“

Ressentiments in den eigenen Reihen

Doch es geht nicht allein um Wähler. Die Plattform „Christen in der AfD“, wo sich wertkonservative Christen beider Konfessionen sammeln, weist inhaltliche Schnittmengen etwa mit katholischem Gedankengut auf. Dabei geht es ums Festhalten an der Ehe zwischen Mann und Frau, die Ablehnung von Abtreibungen und assistiertem Suizid oder die Forderung nach konfessionellem Religionsunterricht. Auch die amtierende EKD-Ratsvorsitzende Fehrs appelliert, „gegen diskriminierende Ressentiments in unseren eigenen Reihen“ vorzugehen.

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Etwa 93 Kilometer Luftlinie südöstlich von Lübben sammelte der Pfarramtsleiter im evangelisch-lutherischen Kirchspiel Bautzen, Christian Tiede, solche Erfahrungen. Vor wenigen Jahren entzweite sich die Gemeinde mit einem Kirchenvorstand, der zu den Organisatoren einer montäglichen Mahnwache immer radikaler werdender „besorgter“ Bautzener Bürger gehörte. Im Streit ging es zum Schluss um eine mögliche Andacht Rechter im Dom – was Tiede ablehnte.

„Viele Gemeinden stehen schon lange vor einer Zerreißprobe“, erzählt der Dompfarrer. „Sie sind Spiegelbild einer Gesellschaft, in der etliche Menschen seit Jahren politisch abdriften oder Verschwörungstheorien anhängen.“ Viele Protestanten in Sachsen hätten auf die klare Positionierung der EKD gegen die menschenverachtende Politik der AfD gewartet. „Etliche Gemeindemitglieder haben aufgeatmet.“

Wie politisch darf die Kirche sein?

Christian Tiede, evangelischer Pfarrer in Bautzen, nimmt im Schloss Bellevue an einer Diskussionsrunde von Bundespräsident Steinmeier mit Gästen aus Medizin, Kommunalpolitik, Polizei und Zivilgesellschaft zum Thema „Hass und Gewalt in Zeiten der Pandemie – Erfahrungen und Reaktionen“ teil.

Christian Tiede, evangelischer Pfarrer in Bautzen, nimmt im Schloss Bellevue an einer Diskussionsrunde von Bundespräsident Steinmeier mit Gästen aus Medizin, Kommunalpolitik, Polizei und Zivilgesellschaft zum Thema „Hass und Gewalt in Zeiten der Pandemie – Erfahrungen und Reaktionen“ teil.

Tiede ist in Bautzen über die Kirche hinaus aktiv, spricht auf Demokratie-Demonstrationen und gehört zu den Organisatoren der seit 2022 monatlich im Dom stattfindenen „Bautzener Reden“ über den Zustand der Gesellschaft. „Als Seelsorger sehe ich erst einmal nur den Menschen. Dabei dürfen dessen politische Ansichten keine Rolle spielen.“ Er räumt jedoch ein, dass dieses Verhältnis durch die Politik von AfD oder anderer extremer Parteien wie den Freien Sachsen an seine Grenzen gelange.

Wir alle haben zu lange gedacht, die Demokratie sei sicher.

Christian Tiede,

evangelischer Pfarrer in Bautzen

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Wie politisch darf oder sollte Kirche sein? Tiede sagt, er scheue die inhaltliche Auseinandersetzung mit Positionen der Rechten nicht. „Die Kirche muss in der verfahrenen kommunikativen Situation ihr christliches Profil, zu dem Menschenfreundlichkeit und Schutz von Minderheiten gehören, herausstellen“, fordert der Pfarrer. Das hätte dann auch Konsequenzen: „Wir können nicht über gegensätzliche Positionen hinwegsehen, wir müssen uns dazu äußern.“

Christian Tiede macht mit seiner Offenheit ähnliche Erfahrungen wie Anish Mathhew in Lübben. Anfeindungen im Alltag hat er noch nicht erlebt. Und in der Gemeinde? „Wer weiß, wie Pfarrer Tiede tickt und nicht damit einverstanden ist, der kommt nicht, wenn er predigt, oder geht in die konservativere Nachbargemeinde. Interne Auseinandersetzungen über politische Positionen, die gibt es bei uns nicht.“

„Wenn Gottes Tugenden nicht überzeugen“

Tiede plädiert für mehr Auseinandersetzung. „Wir alle haben zu lange gedacht, die Demokratie sei sicher. Dass wir sie selbst verteidigen müssen und nicht allein von Berufpolitikern verteidigen lassen müssen, das ist eine neue Erfahrung. Wir müssen es wieder lernen. Die Zeit drängt.“

Pfarrer Anish aus Lübben meint, es sei nicht seine Aufgabe, Christen, die rechte Parteien wählen, zu outen oder zu bekehren. „Ich höre zu und rede mit ihnen über Barmherzigkeit, Solidarität und Menschlichkeit. Wenn Gottes Tugenden nicht überzeugen, dann kann ich es auch nicht.“



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