Der Hamburger Hauptbahnhof hat einen schlechten Ruf. Schmale Bahnsteige garantieren gottloses Gedränge. In der Wandelhalle und davor: Drogenkonsum, Diebstähle, Obdachlosigkeit. Und dann sind da noch die Stadttauben. Hoch oben im stählernen Gebälk gurren sie und liefern eine Performance, die ausgezeichnet zum Gemütszustand von Reisenden nach dem fünften Bahnstreik passt: Sie sch… auf alles.

Nun sind die Vögel sicher nicht das drängendste Problem in der Hansestadt, aber das, was sich vergleichsweise einfach angehen lässt. In dieser Woche will die Bürgerschaft ein dreijähriges Pilotprojekt auf den Weg bringen, das Tierschutz und Sauberkeit vereint. An den Bahnhöfen in Altona und dem Zentrum sollen jeweils drei sogenannte betreute Taubenschläge entstehen. Die Tiere können dort nisten, werden regelmäßig gefüttert. Ein Teil der Eier soll durch Attrappen ersetzt und so der Bestand reguliert werden. Man erhofft sich dadurch weniger Schäden an den historischen Fassaden, weniger Beschwerden der Anwohner und weniger “Fußgängerschaft” der Tauben. So heißt es, wenn die hungrigen Vögel entgegen ihrer Natur am Boden auf Nahrungssuche gehen, Pommes und Erbrochenes finden, sich Magenverstimmungen und Verletzungen zuziehen – und den Ärger von Passanten.

350 000 Euro pro Jahr soll das Hamburger Projekt kosten, das sich am sogenannten Augsburger Modell orientiert. Dort und in anderen deutschen Städten hat man Erfahrungen mit Taubenlofts dieser Art, nicht ausnahmslos gute. Manchmal kommen die Tiere nur, um sich satt zu fressen, nisten aber doch lieber auf den Balkonen der Nachbarschaft. Wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit sind rar. Die nötigen Taubenzählungen sind aufwendig und teuer – und auch in Hamburg vorerst nicht geplant. Das Geld wolle man lieber in die Umsetzung stecken, sagt Lisa Maria Otte, Sprecherin für Tierschutz der grünen Bürgerschaftsfraktion. “Dass Bau, Betrieb und Fütterung nun komplett von der Stadt getragen werden, ist in dieser Größenordnung neu in Deutschland. Das alles darf nicht länger auf ehrenamtlichen Schultern ruhen.”

Denn auch in Hamburg gibt es schon Taubenschläge, bislang werden sie meist von Tierfreunden betreut und gesäubert – schwere körperliche Arbeit, für die sich immer seltener jemand findet. Marion Oechsle vom Verein “Hamburger Stadttauben” klärt seit elf Jahren über die “unverstandenen Tiere” auf. Sie und ihre Mitstreiter betreiben mehrere Domizile, darunter die “Casa Grimaud”, eine Station für Tauben, die ein Bein oder einen Flügel eingebüßt haben.

Einst als fliegende Briefboten verhätschelt, werden die frei lebenden Nachfahren heute oft als “Ratten der Lüfte” denunziert. Im Umgang mit dem ungeliebten Tier hat man lange auf Vergrämung gesetzt. Metallspitzen auf Fenstersimsen, eigens ausgesetzte Falken und Bussarde. In Limburg erwog man jüngst, die Vögel durch Genickbruch zu töten. Marion Oechsle ist sehr froh, dass ihre Stadt eine friedliche Lösung sucht. “Ich wünsche mir, dass mehr Politiker Verantwortung für die Tiere übernehmen”, sagt sie. Die Wohnungsnot in der Hansestadt – wenigstens für Tauben könnte sie bald gelindert sein.



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