In Deutschland wird zu wenig gebaut. Weder für Wohnungsbaugesellschaften noch für viele Familien lohnt sich der Hausbau finanziell. Ein oft genannter Grund: Ein Baurecht, welches bis auf die letzte Schraube alles reglementiert, seien es Brandschutzvorschriften, energetische Standards, oder die Dicke einer Wand.
Niedersachsen macht damit Schluss – mithilfe einer Novelle des Baurechts . Die Devise dabei: „Einfacher, schneller und günstiger“. Für manche überraschend: Der Vorstoß kommt von einer rot-grünen Landesregierung. Sonst gelten SPD und Grüne her als Parteien, die Regelungen auf- statt abbauen.
Der Vorschlag aus dem Ressort von SPD-Bauminister Olaf Lies sieht beispielsweise vor, dass unter Umständen der Einbau eines Aufzugs in Neubauten oder auch die Stellplatzpflicht wegfällt. Außerdem sollen Grundstücke enger bebaut werden dürfen. „Der Staat muss loslassen“, sagte Minister Lies, der in dem geplanten Gesetz ein bundesweites Vorbild sieht.
„Baukosten werden spürbar gesenkt“
Tatsächlich erntete die Landesregierung viel Lob für die Deregulierung. So erklärte Susanne Schmitt, Verbandsdirektorin der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Niedersachsen und Bremen, gegenüber dem NDR: „Durch die Absenkung der Standards bei Umbaumaßnahmen im Bestand sowie durch die Erleichterungen im Neubaubereich werden die Baukosten spürbar gesenkt“.
Das führe direkt zu geringeren Wohnkosten – und „somit einer Entlastung Tausender Mieterhaushalte“, so Schmitt. Auch die CDU-Opposition im Landtag begrüßte das Vorhaben. Nun sei entscheidend, dass die Behörden „die neuen Handlungsspielräume nutzen, um das Verfahren zu beschleunigen und Bauvorhaben nicht länger zu verzögern“, hieß es aus der Partei.
Noch weiter geht die Architektin Dilek Ruf. Seit 2022 ist die selbstständige Architektin aus Hannover Vorsitzende des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA). In einem ausführlichen Interview mit der „WirtschaftsWoche“ spricht Ruf von einer „Blaupause für ganz Deutschland“: In dem Gesetz stecke „ohne Übertreibung ein Paradigmenwechsel drin“.
Deutschland kann nicht billig bauen, weil überall das Maximum gefordert wird
Deutschland, sagt Ruf, habe sich bautechnisch in die Sackgasse manövriert – bei Brandschutz, Schallschutz, Statik und vielem mehr werde das Maximum eingefordert. „Während die Holländer und die Schweden in der Lage sind, zufrieden in preiswerteren und dennoch schönen Häusern zu leben, die allenfalls zu 50 Prozent die Standards des deutschen Baurechts erfüllen, sind wir in Deutschland nicht mehr in der Lage, kostengünstig zu bauen.“
Konkret nennt die Verbandschefin dabei einen leichteren Umbau. „Sobald der Bestandsbau aber etwa um eine Etage aufgestockt oder in seiner Nutzung verändert wird – ohne auch nur eine bauliche Änderung-, steht der Eigentümer mit dem Rücken zur Wand. Dann legen die Gesetze und auch die DIN-Normen und weiteren Regelungen an dieses Gebäude die Maßstäbe neuer Gebäude an“, erklärt Ruf.
Das hieße beispielsweise, Holz- durch Betontreppen zu ersetzen und Wände einzuziehen. Laut Ruf werde das „radikal anders“: „Künftig soll für Gebäude, die nicht höher als 22 Meter sind und bestimmten Gebäudeklassen angehören, gelten: Neue wie bestehende Decken, Wände, Treppen und Bauteile müssen nur noch dem Standard des Baujahres entsprechen – das kann auch 1920 oder 1885 sein.“
Der Bauherr könne sich weiter für eine hochwertigere Lösung entscheiden, habe aber eben selbst den Raum für Entscheidungen, so die Architektin zur „WirtschaftsWoche“. Ähnlich verhalte es sich beim Brand- und Schallschutz. Hier sei lange nichts gut genug gewesen, weshalb beim Aus-, Um- und Neubau wenig passiert sei.
Die gleichen Lösungen sind schon vor gut einem Jahrzehnt vorgeschlagen worden
Gleichzeitig aber komme der Staat bei der Wohnungsförderung nicht mehr hinterher, viele Haushalte müssten unverhältnismäßig viel Einkommen nur für Mieten zahlen. Die Baupreise seien seit 2020 um 65 Prozent gestiegen, Kaufpreise fast um 100 Prozent. Sanierungen seien aufgrund der Vorschriften so kostspielig, dass lieber abgerissen werden. Ruf spricht von „gesellschaftlichem und auch volkswirtschaftlichem Sprengstoff.“
Schuld daran sind eben auch die unzähligen Maßnahmen. Gegenüber der „ Tagesschau “ etwa beklagte eine Architektin kürzlich die im Grunde sinnvolle Barrierefreiheit. Ein ebenerdiger Eingang beispielsweise riskiere, dass Wasser ins Gebäude laufe. Abhilfe könne eine Regenrinne schaffen – doch die müsse dann an die Kanalisation angeschlossen werden, optimalerweise sogar noch beheizt werden.
So verursachen die über 3900 Normen für das Bauwesen, dass alles aufwändiger und damit teurer wird. Schon 2015, vor gut einem Jahrzehnt also, kritisierte die sogenannte „Baukostensenkungskommission“ eine „Normenflut“, welche die Kosten treibt. Nicht selten widersprächen sich nationale, europäische und internationale Normen sogar.
Rufs Aussagen spiegeln die damaligen Erkenntnisse wider. Umso richtiger sei deshalb Niedersachsens Vorstoß. „Das Gesetz ermöglicht erstmals eine wirkliche Kehrtwende.“ Mehr Schall- oder Brandschutz, erklärt Ruf, sei ja weiterhin möglich. Nur dürfe nun der Bauherr darüber entscheiden.
„Überdimensionierte Tiefgaragen“ machen Großteil der Kosten aus
Auch beim Neubau könnte einiges wieder leichter werden. Ein zentrales Element dabei ist ein einfacheres Genehmigungsverfahren. Entscheidet die Behörde nicht innerhalb von drei Monaten, gilt der Antrag, sofern vollständig und mängelfrei, als genehmigt.
Darüber hinaus erlaubt das geplante Gesetz eine engere Bebauung sowie das Weglassen von Kfz-Parkplätzen. Gerade die Stellplatzpflicht, sagt die Architektin Ruf, schraube die Kosten bei vielen Projekten enorm hoch. „Heute scheitern dringend benötigte Wohn-Projekte, weil überdimensionierte Tiefgaragen gebaut werden müssen.“
Das habe Ruf schon selbst erlebt. Mit ihrem Architekturbüro habe sie für einen öffentlichen Auftraggeber ein Projekt für 100 Wohnungen entworfen und geplant. „40 Prozent der Investitionskosten hat dabei die Tiefgarage verschlungen. Zwei Fünftel! Das macht zugunsten großzügig dimensionierter Parkflächen das Wohnen teurer – oder es wird eben gar nicht.“
Im Juni stimmt der Landtag über die Reform ab
Natürlich sind nicht nur Vorschriften allein schuld für das Wohnungsbau-Debakel in Deutschland. Das sieht auch Ruf so: „Manche Bedingungen werden schwierig bleiben.“ Trotzdem sei eine Wende möglich. „Die Baubürokratie so konsequent abzubauen wie jetzt in Niedersachsen, das ist dabei ein entscheidender Faktor“, sagt Ruf.
Dabei verweist die Verbandschefin auch darauf, dass zwei Drittel der 20 Millionen Wohngebäude in Deutschland Eigentümergemeinschaften und Privatleuten gehöre. „Wenn ein Teil dieser Eigentümer in einem kalkulierbaren Rahmen Wohnraum schaffen kann, wird er die Chance nutzen“, so Ruf.
Wie viele das in Niedersachsen sein werden, könnte sich bald zeigen. Im Juni stimmt der Landtag über das Gesetz ab. Nur in einem Punkt wird die geplante Novelle nichts bewirken, merkt Ruf an – nämlich beim Thema Energieeffizienz. Denn Klimaschutz ist nicht Sache der Bundesländer, sondern durch die Bundesregierung oder die EU geregelt.