Berlin. In einer der jüngsten Nachrichten aus dem Kanzleramt ersetzt Olaf Scholz einen Waschbär. Zehn Sekunden dauert das Video, das der TikTok-Star Younes Zarou mit dem Kanzler aufgenommen und auf seinem Kanal veröffentlicht hat. Beide beugen sich ins Bild, der Ausschnitt ist rund und dreht sich. Younes Zarou wedelt mit beiden Händen, der Kanzler winkt kurz. Im Hintergrund läuft der mit Technoklängen versetzte italienische 1980er-Jahre-Disco-Hit „Pedro“. In einem Musikvideo dreht sich zum Pedro-Techno in dem Kreis ein wippender Waschbär.
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Techno und Disco, Tiktok und Kanzler – auf dem neuen TikTok-Kanal des Kanzlers hat ein Clip zu den Dreharbeiten mit dem als „Younes“ bekannten Influencer mittlerweile mehr Zuspruch gefunden als Scholz‘ Aktentaschen-Präsentation. „Profis bei der Arbeit“, hat das Kanzleramt den Clip betitelt. Die sieht so aus: Tiktoker und Kanzler gehen im Gleichschritt auf ein Tischchen zu, blicken von oben in ein Handy, Hände nach oben, Zarou – T-Shirt und Turnschuhe – federt in den Knien, der Kanzler – Anzug, keine Krawatte – steht ihm bewegungslos gegenüber, fast zumindest: ein wenig zuckt der linke Fuß. Der Regierungssprecher hatte zum Start des TikTok-Kanals verkündet, der Kanzler werde nicht tanzen.
Der Frankfurter Younes Zarou ist Deutschland beliebtester TikToker, er hat rund 55 Millionen Followern – etwa 290 Mal mehr als der Kanzler auf diesem Kanal. Der 26-Jährige postet Videos, in denen er zeigt, wie man mit Essig Duschköpfe reinigt, Granatapfelkerne mit Hilfe einer großen Spritze in Saft verwandelt oder mit Rauch und Wasser Fotoeffekte produziert. Er radelt auf dem Meeresboden, tanzt in U-Bahnhöfen und filmt auch mal sein Essen. Und jetzt also den Kanzler.
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US-Regierung denkt über Tiktok-Verbot nach, Ampel entdeckt Tiktok
„Es handelt sich nicht um eine institutionalisierte Zusammenarbeit“; lässt dazu ein Regierungssprecher auf RND-Anfrage wissen. Die Videos seien spontan entstanden, Younes Zarou sei da gerade im Kanzleramt gewesen. Im Auftrag der Integrationsbeauftragten drehte er mit anderen Influencern und Influencerinnen einen Antirassismus-Clip für die Fußball-Europameisterschaft. Praktisch für den Kanzler, wenn er da zufällig vorbeikommt. Man freue sich über die hohen Reichweiten der Kurzclips, sagt der Regierungssprecher. Für den Antirassismus-Clip gab es ein Honorar, für den Dreh mit dem Kanzler sei kein Geld gezahlt worden. Gegenwärtig gebe es auch „keine Pläne für weitere Videos mit Younes Zarou“. Kein Coaching also in Punkto Öffentlichkeitswirksamkeit von dieser Seite. Und ob die Klicks zu Scholz‘ Gunsten ausfallen, ist offen.
Seit etwa drei Wochen hat das Kanzleramt seinen TikTok-Kanal – der Start kam zu einem interessanten Zeitpunkt. Die US-Regierung will die Internetplattform verbieten, wenn das chinesische Unternehmen ByteDance es nicht verkauft – wegen Bedenken, der chinesische Staat könne auf die Daten zugreifen. Die EU hat ein Verfahren wegen Suchtgefahren für Minderjährige eingeleitet. Die Bundesregierung begegnet den Datenschutzbedenken so: Der Kanal wird nicht über die Diensthandys der Mitarbeiter betrieben, sondern über ein extra dafür gedachtes Gerät. Mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber, der schon die Präsenz der Regierung auf Facebook skeptisch sieht, hat man bisher lieber mal nicht gesprochen.
Bei allen Bedenken sei TikTok eben eine „sinnvolle und notwendige Erweiterung unseres Informationsangeboten“, sagt Scholz‘ Sprecher Steffen Hebestreit. Um die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen, müsse die Regierung „dahin gehen, wo sie sich aufhalten und informieren“. Und bei jüngeren Leuten sei das eben sehr oft TikTok.
Dort hat sich über lange Zeit vor allem die AfD getummelt.
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Omid Nouripour auf Tiktok: Karateschlag vom Grünen-Chef
Auch die Grünen haben daher nun ihre Zurückhaltung gegenüber der Social-Media-Plattform aufgegeben. „Hier sind definitv zu viele Nazis“, begründet das der Grünen-Abgeordnete Julian Pahlke auf dem TikTok-Kanal der Bundestagsfraktion. Man dürfe den Rechtsextremen nicht das Feld überlassen. Es sei ein großes Problem, dass die TikTok-Algorithmen, die über Platzierung von Beiträgen entscheiden, so intransparent seien, sagt Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sagt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Dennoch sei es wichtig, „dass demokratische Parteien auf allen sozialen Netzwerken über ihre Arbeit informieren“.
Und Grünen-Chef Omid Nouripour zeigt auf dem Partei-Kanal ein paar Karateschläge – die virtuell ein AfD-Logo zertrümmern. „Reclaim TikTok“ gibt er als Motto vor –TikTok zurückholen – eine Anlehnung an den Slogan „Reclaim the Streets“, der die Rückeroberung von öffentlichen Lebensräumen durch die Zivilgesellschaft bezeichnet.
Nouripour sagt nach seinen Karateschlägen, man müsse „gegen Hatz und Hetze good Vibes und Positives stellen“. Man müsse auch mal Gutes „highlighten und nicht nur immer erzählen wie doof alles ist“.
Gerade eben erst hat eine neue Studie des Jugendforschers Klaus Hurrelmann über „Jugend in Deutschland 2024″ konstatiert, bei den 14- bis 29-Jährigen herrsche „bröckelnder Zukunftsoptimismus“. Außerdem lasse sich in dieser Altersstufe ein deutlicher Rechtsruck konstatieren – jeder fünfte Befragte gab als Parteipräferenz die AfD an. In der Koalition wird dies mit Kriegen, Krisen und Klimawandel erklärt – aber auch mit der Corona-Pandemie, in die Welt von Kindern und Jugendlichen über Monate auf Wohnzimmer und Handy zusammenschmolz.
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Lauterbach spielt mit Younes Uno
Nun lässt sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach für ein Tiktok-Video mit Younes Zarou beim Kartenspiel Uno filmen, diebisch lächelnd. Und Wirtschaftsminister Robert Habeck, der vor einer Weile Twitter/X wegen dessen Aufregungsdynamik verlassen hat und sich dafür aber mit Erklärvideos und Fotos unter anderem auf Instagram präsentiert, ist nun auch dabei. Man müsse den „jungen Menschen da begegnen, wo sie sind“, so hat er es begründet. Bei seinem ersten TikTok-Live-Gespräch sitzt er in Hemd und Weste am Schreibtisch. Er beantwortet Fragen nach Kriegsgefahr, erneuerbaren Energien und auch nach den im Hintergrund drapierten neuen Trikots der Fußball-Nationalmannschaft. Er finde das pinkfarbene besser als das weiße, weil es „frecher“ sei, sagt er. Aber eigentlich gehe es vor allem darum, dass die Mannschaft gewinne, sagt Habeck.
Younes Zarou hat von seinem Besuch im Kanzleramt noch ein Video gepostet. Scholz ist darin beim Ausstieg aus dem Hubschrauber zu sehen. „El Padron“, betitelt Zarou das – der Chef. Zum Techno-Dreh bescheinigt Younes Zazou dem Kanzler. „Hat er suppa gemacht.“ Es ist davon auszugehen, dass der Bundeskanzler findet, dass man das öfters über ihn sagen könnte.