Weltfrauentag 2024: Gleichstellung von Frauen und Männern ist noch lange nicht erreicht
Freitag, 08.03.2024, 08:17
Seit Jahrtausenden kämpfen Frauen um Gleichberechtigung und Anerkennung. Trotz Fortschritten in Politik und Wirtschaft bleiben viele Potenziale ungenutzt. Expertin Kirsten Schrick beleuchtet anlässlich des Weltfrauentages den langen Weg zum Female Empowerment.
5.000 Jahre Female Empowerment – Wir müssen endlich mehr daraus machen
Ich springe zum heutigen Weltfrauentag ein Jahr zurück. Seinerzeit hat es eine Studie des Markt- und Meinungsforschungsinstitut Ipsos in Zusammenarbeit mit dem King’s College London gegeben. Das Ergebnis: 62 Prozent der Befragten waren damals der Meinung, dass eine Ungleichheit zwischen Frauen und Männern in Bezug auf soziale, politische und wirtschaftliche Rechte besteht. Allerdings sagten weitere 46 Prozent, dass in Deutschland hinsichtlich der Gleichstellung von Männern und Frauen schon genug getan wurde – ein Anstieg von 16 Prozentpunkten im Vergleich zur Studie aus dem Jahr 2019. Paradox, nicht wahr?
Ich lasse mal Fakten sprechen. Das Ergebnis der alljährlichen Studie der Allbright-Stiftung im vergangenen Herbst ergab: Die Vorstandsetagen der deutschen Großkonzerne sind allmählich auf den Weg in Richtung Parität. Aber bei genauem Hinsehen zeigt sich: Je höher und machtvoller die Position, desto seltener sind Frauen dort vertreten. Eine aktuelle Analyse der Weltbank kommt zu dem Ergebnis: Weltweit genießen Frauen nicht einmal zwei Drittel der Rechte von Männern. In der Praxis ist die Kluft zwischen den Geschlechtern dem Bericht zufolge sogar noch größer.
Der Grund dafür ist trivial: Es mangelt an Maßnahmen zur Umsetzung erlassener Gleichstellungsgesetze. Deutschland liegt im Ranking der Weltbank-Studie immerhin in der Top-Gruppe. Aber nach Ländern wie etwa Belgien, Dänemark oder Kanada. Vielleicht können wir uns auf folgende Formulierung einigen: In Deutschland ist hinsichtlich der Gleichstellung von Männern und Frauen einiges getan worden – aber noch nicht genug.
Über die Expertin Kirsten Schrick
Dr. Kirsten Schrick ist Beraterin, Coachin und Stifterin. Mit dem von ihr gegründeten Beratungsunternehmen POTENTIAL LEBEN begleitet sie Führungskräfte und Organisationen aus Wirtschaft, Kultur und dem gesellschaftlichen Bereich. Leidenschaft und Antrieb sind dabei immer Ausgangspunkt für die Fragestellung, wie der Einzelne, ebenso wie Organisationen ihre Kraft und Resilienz stärken. Mehr über Kirsten Schrick auf ihrer Homepage oder auf LinkedIn .
Frauen vernachlässigen ihre Selbstfürsorge
Mich interessiert etwas, was in vielen Diskussion zu kurz kommt: Wie geht es den Frauen in Deutschland? Oft genug müssen sie den Spagat zwischen Karriere und Familie schaffen. Das erzeugt Druck – von innen und von außen. Dabei beobachte ich, dass gerade bei jüngeren Frauen Selbstoptimierung oftmals vor Selbstfürsorge geht. Selbstfürsorge hat eben keine Bedingungen, muss kein – optimales – Ergebnis erzielen. Braucht keine Rechtfertigung vor anderen. Damit unterscheidet sie sich von der Selbstoptimierung, die eine „Verbesserung“ zum Ziel hat.
Der Esprit von Frauen droht verschüttet zu werden unter einem Berg von Ansprüchen. Damit erschöpft sich Female Empowerment sehr schnell. 2 Ich denke, es ist zu viel, was sich – insbesondere junge – Frauen in diesen Zeiten zumuten (müssen). Wie sie sich unter Druck setzen, ihre ärgsten Kritikerinnen sind, nach links und rechts vergleichend auf andere schauen – und sich selbst dabei oft aus den Augen verlieren.
Sie werden erdrückt von einer Flut gesellschaftlicher Bilder von Frauen, denen sie entsprechen sollen. Top gestylt – aber bitte nicht zu hipp, zu cool, zu elegant und – um Gottes Willen – nicht zu sexy. Die Figur und das Aussehen dem Zufall überlassen – geht gar nicht. Social Media ist in dieser Hinsicht ein Fluch! Dauernd bekommen wir dort virtuell vorgegaukelt, wie erfolgreiche Frauen aussehen, was sie tun und was sie sagen.
Mehr vom EXPERTS Circle
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat ihre Ernährungsempfehlungen aktualisiert und legt nun mehr Wert auf pflanzliche Lebensmittel. Ernährungswissenschaftler Uwe Knop hat sich die neuen Regeln angeschaut – und eine klare Meinung dazu.
Narzissmus ist ein komplexes Phänomen, das in verschiedenen Formen auftritt. Eine Expertin erklärt, wie sich verdeckter, grandios-maligner und exhibitionistischer Narzissmus äußern – und warum verdeckter Narzissmus manchmal mit einer Depression verwechselt wird.
Rollenverteilung wie vor tausend Jahren
Dabei lauert zusätzlich die Gen-Falle. Seit Tausenden von Jahren sind Frauen auf eines gepolt: die Fürsorge für andere. Vom Beginn der Steinzeit an, dienten sie dem Erhalt der Sippe, zogen Kinder groß, pflegten Alte und Gebrechliche, kümmerten sich um die verletzten Krieger und Soldaten, verteilten als Nonnen Almosen an die Armen. Sie mussten das Feuer entfachen und halten. Kurz gesagt: Sie hielten den Laden am Laufen.
Daran hat sich bis heute im Kern nicht viel geändert. Frauen und Mädchen leisten täglich nach einer Studie von Oxfam aus dem Jahr 2020 über 12 Milliarden Stunden unbezahlte(!) Hausarbeit, Pflege und Fürsorge. Und dies meist ohne gesellschaftliche Anerkennung. Die jedoch lässt sich mit keinem Gleichstellungsgesetz erzwingen. Und erst im Job: Druck, Druck, Druck! Was alles von Frauen erwartet wird, damit sie ihren Weg an die Spitze machen, ist fast schon übermenschlich. Sei tough! Zeig Dich! Vor allem: Zeig es den Männern in Deinem Job! Lass Dich nicht unterkriegen! Setz Dich durch! Denn das hast Du Dir verdient mit Deinen Begabungen! Frauen von heute müssen mindestens „Superwomen“ sein.
Ich musste mich vor 30 Jahren nach außen rechtfertigen, weil ich Karriere machte, statt Kinder zu bekommen. Heute musst Du erklären, wenn Karriere nicht Dein oberstes Ziel ist. Und wenn Du Dich entscheidest, Karriere und Kinder gleichzeitig zu wuppen, ist es auch nicht richtig.
Ja, es ist sehr wichtig, dass Frauen ihre Potentiale entdecken, ernst nehmen und ins Leben bringen. Auch Karriere zu machen und ganz oben mitzugestalten, ist ok. Aber muss das mit diesem Druck und mit dieser Anspannung sein? Ich denke: Nein! Insbesondere jüngeren Frauen rufe ich daher zu: Euch gehört die Zukunft! Erschöpft Euch nicht, bevor Ihr sie gestalten könnt!
Meine Vision: Ebenbürtigkeit im Miteinander
Ich beziehe die Diskussion des Female Empowerments nicht nur auf ein Geschlecht. Mir geht es um das umfassende Mensch-Sein, das durch Vielfalt, Offenheit und Zusammengehörigkeit in unserer haltlosen Welt gestärkt wird. Es geht mir um das „sowohl-als-auch“ von männlichen und weiblichen Qualitäten in der (Arbeits)Welt. Wir brauchen beide Energien in einem respektvollen Austausch auf Augenhöhe.
Meine Vision ist ein ebenbürtiges Miteinander, das die Dominanz des Patriarchats überwindet und die Qualitäten des Weiblichen im Aufbau einer neuen Gemeinschaftsverabredung beachtet und integriert. Im englischen Wort „fe-male“ ist diese Integration schon formuliert. Und insofern baut „Female Empowerment“ genau diese Brücke zum jeweils anderen Pol.
Deshalb geht es aus meiner Sicht in dieser Diskussion ganz stark um Human Empowerment. Denn das Mensch-Sein umfasst beide Energien. Female Empowerment stärkt Gegenseitigkeit und Verbundenheit. Es setzt auf natürliche Autorität statt auf traditionelle Macht. Es ist offen für Vielfalt. Es stärkt die Ebenbürtigkeit, weil es die Würde in jedem Menschen achtet – sich selbst eingeschlossen. Female Empowerment mehrt Reichtum nicht auf Kosten anderer, sondern zum Wohl aller.
Häufig gestellte Fragen zu diesem Thema
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Dieser Text stammt von einem Expert aus dem FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Themenbereich und sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.