Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau.» Eine Narrenweisheit, die «ziemlich überholt ist, weil sie genau die ausbeuterische Rolle romantisiert, die Frauen in der Vergangenheit zugedacht wurde», urteilt Leonie Schöler und kontert: «Hinter jedem erfolgreichen Mann steht ein System, das ihn bestärkt; vor allen anderen steht ein System, das sie aufhält.» Es stimmt zwar, dass viele erfolgreiche Männer der Geschichte Ruhm und Macht ihren Partnerinnen verdanken, die sich diese Rolle jedoch nicht ausgesucht haben und vielfach daran zerbrachen. Mit ihrem Buch «Beklaute Frauen» will die Journalistin, Jg. 1993, ihnen Aufmerksamkeit und Anerkennung verschaffen, die ihnen zu Lebzeiten nicht zuteil wurde.
Gewiss, das haben vor ihr schon andere Autoren getan, auch Männer. Einige der von Leonie Schöler vorgestellten Beispiele sind inzwischen bekannt, andere weniger oder gar nicht. Beeindruckend wie erschütternd die Fülle der Ungeheuerlichkeiten, des Unrechts an Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen über die Jahrhunderte, die die Autorin hier gebündelt hat.
Da ist Schwerenöter Albert Einstein, der seine erste Frau beim Studium in Zürich kennengelernt hat, durchaus die Selbstständigkeit der aus Serbien stammenden Mileva Marić bewunderte, die zu den ersten Frauen gehörte, die in der K.-u.-k.-Monarchie Mathematik und Physik studieren durfte, aber ihre wissenschaftliche Karriere abbrechen musste, bevor diese begann. Und von der man lange nicht wusste, wie stark sie an den Entdeckungen ihres Mannes beteiligt war. 1905 eröffnete Mileva Marić einer Freundin: «Vor kurzem haben wir ein sehr bedeutendes Werk vollendet, das meinen Mann weltberühmt machen wird.» Vier Jahre zuvor hatte Einstein selbst seiner Frau dankbar bekundet: «Wie stolz und glücklich werde ich sein, wenn wir beide zusammen unsere Arbeit über die Relativbewegung siegreich zu Ende geführt haben.» Doch den Nobelpreis für Physik bekam er 1922 allein.
Während er genüsslich sein Image als brillanter Geist und Exzentriker ausleben konnte, musste sich Mileva Marić mit der Rolle als Ehefrau und Mutter zufriedengeben. Und obendrein noch Hohn über sich ergehen lassen; sie wurde von ihm als unattraktiv, schlecht gelaunt und dümmlich diffamiert, was Einstein-Biografen bedenkenlos übernahmen. Als sie, nach der Trennung von ihm (Einstein hatte inzwischen als zweite Gattin an seiner Seite Cousine Elsa erwählt), aus finanzieller Not ihre Memoiren veröffentlichen wollte, drohte er ihr, wohl aus Angst, ein Quäntchen Ruhm zu verlieren: «Überlegst Du Dir denn gar nicht, dass keine Katze sich um solches Geschreibsel kümmern würde, wenn der Mann, mit dem Du es zu thun hast, nicht zufällig etwas Besonderes geleistet hätte? Wenn man eine Null ist, so ist nichts dagegen einzuwenden, aber man soll schön bescheiden sein und das Maul halten.»
Tragisch auch das Schicksal von Clara Immerwahr, der ersten Frau des Chemikers Fritz Haber und zugleich erste Frau im Deutschen Kaiserreich, die (1900) den Doktortitel erwarb. Mit Bravour. Vier Jahre zuvor hatte ihr ein Universitätsprofessor noch beschieden, er halte nichts «von geistigen Amazonen». Auch sie durfte ihre Berufung nicht ausleben, musste sich nach der Heirat um Haushalt und Kinder kümmern. Ihr waren lediglich noch gelegentliche Vorträge an der Volkshochschule vergönnt, wo sie jungen Frauen «Chemie in Küche und Haushalt» bebringen durfte. Dabei ging ihr Anteil an der Arbeit ihres Mannes weit über das Korrekturlesen von Manuskripten hinaus. Im Vorwort seines Lehrbuchs «Thermodynamik technischer Gasreaktionen» dankte Haber ihr für die «stille Mitarbeit», das war’s dann aber auch. Die überzeugte Pazifistin litt vor allem darunter, dass ihr Mann schließlich das im Ersten Weltkrieg eingesetzte mörderische Giftgas entwickelte. Ihre Appelle an seine Verantwortung als Wissenschaftler schlugen fehl. Kurz vor ihrem 45. Geburtstag beging sie am 2. Mai 1915 Suizid – nachdem der deutsche Gas-Sieg bei Ypern bejubelt und gefeiert wurde, der 1200 französische Soldaten hinweggerafft hatte.
Freilich gibt es auch andere Beispiele, die von gleichberechtigter Liaison in der Wissenschaft zeugen. Eines der berühmtesten Paare: Pierre und Marie Curie, die für die Entdeckung der Radioaktivität 1903 den Nobelpreis in Physik und 1911 in Chemie für die Auffindung der Elemente Polonium und Radium erhielten. Marie Curie ist bis dato die einzige Frau, die mehrfach die vom schwedischen Erfinder und Unternehmer Alfred Nobel gestiftete Auszeichnung erhielt. In diesen Genuss kamen ansonsten nur noch fünf Männer.
Auch die Neurologin Cécile Vogt hatte das Glück einer auf gegenseitigem Respekt beruhenden Beziehung. Im Gegensatz zu ihrem Mann aber, dem Arzt und Hirnforscher Oskar Vogt, bekannt unter anderem, weil er das Gehirn Lenins sezierte, erfuhr sie keinen Eintrag im Brockhaus, obwohl sie vielfach die Hauptautorin der gemeinsam verfassten Werke war. Cécile Vogt wurde 13-mal für den Nobelpreis nominiert, vergeblich.
Eigenständige Kapitel widmet Leonie Schöler der britischen Biochemikerin Rosalin Franklin, der österreichischen Kernphysikerin Lise Meitner und der britischen Radioastronomin Jocelyn Bell Burnell, die alle drei einen Nobelpreis verdient hätten, aber nicht bekamen. Für den Nachweis der Doppelhelix in unserer DNA bekam 1962 ein Männer-Trio den Nobelpreis für Medizin zugesprochen, James Watson, Francis Crick und Maurice Wilkins, die weder vor noch nach der Preisverleihung auch nur mit einem Wort erwähnten, dass sie eiskalt die Forschungsergebnisse iher Kollegin Rosalin Franklin geklaut haben. Erst 1968 deutete Watson die Urheberin in seiner Autobiografie an, jedoch bar jeden Unrechtsbewusstseins, obendrein diese als eine unattraktive, streitsüchtige Frau diskreditierend. Immer wieder war Lise Meitner für den Physik- wie auch den Chemie-Nobelpreis nominiert, den Lohn jahrzehntelanger gemeinsamer Forschung strich jedoch Otto Hahn ein. Zu einer öffentlichen Kontroverse kam es immerhin 1974 im Vereinigten Königreich im Fall Bell Burnell, die bei der Vergabe des damaligen Nobelpreises für Physik an ihre Mitstreiter Antony Hewish und Martin Ryle nicht berücksichtigt wurde.
Mittlerweile zu ihrem Recht gekommen sind die Frauen von Bertolt Brecht: Elisabeth Hauptmann, deren Mitarbeit an der «Dreigroschenoper» und der «Heiligen Johanna der Schlachthöfe» lange weitgehend unter den Tisch gekehrt wurde, deren eigenständiges Stück «Happy Hour» bis zur Wiederaufführung am New Yorker Broadway in New York 1977 sogar ganz seiner Feder zugeordnet; die Schauspielerin und Schriftstellerin Margarete Steffin, die an «Mutter Courage und ihre Kinder», «Der gute Mensch von Sezuan» und «Das Leben des Galilei» beteiligt war; die Schauspielerin Ruth Berlau, die unter anderem die Bühnenaufführungen für die Nachwelt festhielt und mit dem Aufbau des Brecht-Archivs begann. Mit der Emigration in die USA war aus der «Firma Brecht» die «Familie Brecht» geworden, schreibt Leonie Schöler, «ziemlich dysfunktional, aber hochproduktiv». Brechts Frau Helene Weigel wurde viel Toleranz abverlangt. Und seinen Geliebten viel Selbstaufgabe und Unterwerfung, was etwa in der leisen Klage von Ruth Berlau deutlich wird: «Ich schrieb an Brecht, daß ich in New York eine Möglichkeit zum Arbeiten habe. Mir war auch wichtig, daß ich unabhängig bin und meinen Lebensunterhalt selbst verdiene und nicht immer als Anhängsel Brechts behandelt werde.»
Mit Pablo Picasso und seinen «Musen» verhielt es sich ähnlich. Marie-Thérèse Walter war 17, als er sie zur Geliebten nahm (und der Grund der Scheidung von Ehefrau Olga); 29 Jahre zählte die Fotografin und Kommunistin Dora Maar, die Picasso 1937 in Paris mit führenden Intellektuellen bekannt machte und den Entstehungsprozess seines berühmten Antikriegsgemäldes «Guernica» dokumentierte. Beide wurden vorrangig als Objekt seiner Kunst angesehen. Erst nach ihrem Tod 1997 entdeckte man Dora Maar als eigenständige Künstlerin. Die einzige Frau an Picassos Seite, der eine öffentliche Wahrnehmung der eigenen Kunst zu Lebzeiten gelang, war die französische Malerin Françoise Gilot, die im vergangenen Jahr mit 101-jährig in New York verstorben ist. Schon bei ihrer ersten Begegnung, sie war 21 und hatte ihre erste Ausstellung kuratiert, meinte er: «Das ist das Witzigste, was ich heute gehört habe! Mädchen, die so gut aussehen, können keine Malerinnen sein!» Und als sie sich schließlich von Picasso in ihrer Selbstständigkeit als Künstlerin zu arg erdrückt fühlte und darauf beharrte, wieder als Künstlerin zu arbeiten, drohte er: «Keine Frau verlässt einen Mann wie mich!» Francoise Gilot trennte sich dennoch 1953 von diesem Macho.
Auch am avantgardistischen Bauhaus ging es nicht immer redlich zwischen den Geschlechtern zu. Lucia Moholy, verheiratet mit dem aus Ungarn stammenden Fotografen László Moholy-Nagy, bat 1933, als sie aus Nazideutschland fliehen musste, Walter Gropius, ihre Sammlung von 560 Fotonegativen zu retten. Dies tat jener – indem er diese in seinen Besitz brachte, heimlich Abzüge machte, verkaufte und gar in einer Ausstellung in New York präsentierte, ohne die Fotografin zu nennen. Währenddessen litt diese im Exil existenzielle Not. In den 50er Jahren kam es zu einem Rechtsstreit, Gropius gab widerwillig einen Teil der Negative zurück; 330 blieben «verschwunden». Und obwohl sie fast alle Bauhaus-Publikationen bebilderte und als Lektorin betreute, wurde sie darin von den Heraushebern, von Gropius und ihrem eigenen Mann, nicht namentlich gewürdigt, einzig in einer letzten Ausgabe bekam sie ein kleines Dankeschön von Lászlo. Lucia Moholy nutzte übrigens mitunter ein männliches Pseudonym: Ulrich Steffen, wie nicht wenige ihrer Zeitgenossinnen in einer männerbeherrschten, frauenverachtenden Welt. Auch mit dieser durch die gesellschaftlichen Missstände erzwungenen Aus- und Zuflucht befasst sich Leonie Schöler in einem speziellen Kapitel.
Karl Marx und seine Frauen fehlen in diesem Buch nicht. Schmunzeln muss man bei der Beweisführung der Autorin, dass selbst der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus, wie es einst hieß, seine Gattin Jenny und die drei Töchter Jenny, Laura und Eleanor als billige Familienangestellte ausgebeutet habe. Sehr wohl weiß die Autorin aber das liebevolle Verhältnis des Philosophen aus Trier zu den Seinen zu würdigen.
Leonie Schöler belässt es nicht bei der Erzählung über betrogene, ausgebeutete, entrechtete Frauen, sie ordnet deren Los historisch ein, beginnend mit dem bis heute fortwirkenden Narrativ vom Mann als Jäger und von der Frau als Sammlerin und Gebärende über die Große Französische Revolution, als Olympe de Gouges 1791 die berühmte «Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen» um eine «Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin» ergänzen wollte und dafür auf der Guillotine starb, die Frauen auf den Barrikaden während der europäischen Revolutionen 1848/49 und die britischen Suffragetten bis hin zu den Verteidigerinnen der spanischen Volksfrontrepublik gegen die Franco-Putschisten, die Résistance-Kämpferinnen, Partisaninnen und Rotarmistinnen im Zweiten Weltkrieg. Die Autorin diskutiert den Begriff Feminismus und bietet aktuelle Kommentare, darunter zu dem Paradoxon, dass gerade in islamischen, streng patriarchalischen Staaten die Mehrheit der Studenten in naturwissenschaftlichen Fächern weiblichen Geschlechts sind. Und, und, und …
Kurzum: Es ist der jungen Journalistin mit ihrem Debüt auf dem Buchmarkt ein großer Wurf gelungen. Ein Kompendium, das zu weiteren Debatten einlädt. Apropos: Es entsprang einem Podcast, der Leonie Schöler 230 000 Follower und Followerinnen beschert hatte.
Leonie Schöler: Beklaute Frauen. Denkerinnen, Forscherinnen, Pionierinnen: Die unsichtbaren Heldinnen der Geschichte. Penguin, 411 S., geb., 22 €.
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