Christian Herrgott, Landrat des Saale-Orla-Kreises in Thüringen, hat mit einer migrationspolitischen Maßnahme bundesweit für Aufsehen gesorgt. Denn der CDU-Politiker will Asylbewerber, die in Sammelunterkünften leben, zu vier Stunden gemeinnütziger Arbeit pro Tag verpflichten.

Das Konzept ist nicht neu, wird aber seit einigen Tagen intensiv diskutiert. Auch in Zusammenhang mit einer Forderung, die der Deutsche Landkreistag im Herbst vergangenen Jahres vorbrachte.

Asylbewerber sollen zur Arbeit verpflichtet und dafür gesorgt werden, dass Flüchtlinge früher sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten ausüben dürfen, meinte Präsident Reinhard Sager im Oktober. Doch klar ist schon jetzt: Ein Wundermittel ist eine solche Arbeitspflicht wohl nicht.

“Die Menschen erwarten, dass Verantwortungsträger Verantwortung übernehmen”

Für 80 Cent Entlohnung pro Stunde sollen Asylbewerber im Saale-Orla-Kreis einfache Arbeiten erledigen. Weigern sich die Betroffenen, müssen sie mit Kürzungen von bis zu 180 Euro im Monat rechnen, erklärte Landrat Herrgot der “Welt”.

Das ist erlaubt, schließlich heißt es im Asylbewerberleistungsgesetz, Paragraf 5: „Arbeitsfähige, nicht erwerbstätige Leistungsberechtigte, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind, sind zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet.“

Herrgott setzt die Regelung, die schon seit vielen Jahren existiert, nun in die Tat um. Im Gespräch mit der „Welt“ begründete er den Schritt so : „Nach den Erfahrungen der Flüchtlingskrise 2015/16 und der neuen Flüchtlingskrise, in der sich Probleme wiederholt haben, wo es teils wenig Lerneffekte zu geben schien, erwarten die Menschen jetzt einfach, dass Verantwortungsträger Verantwortung übernehmen und handeln.“

Arbeitspflicht für Herrgott Maßnahme zur Akzeptanz und Integration

In der Arbeitspflicht für Asylbewerber sieht er sowohl einen Baustein zur Integration als auch ein Mittel, um die gesellschaftliche Akzeptanz Geflüchteter zu steigern. „Wir schaffen eine Situation, in der die, die nicht arbeiten dürfen, weil sie keine Bleibeperspektive haben, der Gesellschaft etwas zurückgeben können“, sagte Herrgott.

Förderlich findet er etwa, wenn sich Asylbewerber selbst um die Sauberkeit ihrer Unterkünfte kümmern. „Dass ich eben keine Reinigungsfirma in die Asylbewerberunterkunft schicke, sondern dass diejenigen, die dort wohnen und den gesamten Tag zur Verfügung haben, entsprechend mit anpacken.“

So wird dem deutschen Steuerzahler, der das Ganze bezahlt, etwas zurückgegeben, sagt der CDU-Politiker. Im Saale-Orla-Kreis leben laut Herrgot rund 300 erwachsene Asylbewerber. „Von diesen 300 sind inzwischen schon 89 im regulären Arbeitsmarkt. “Mir zeigt das, dass sehr viele derjenigen, die zu uns kommen, auch arbeiten wollen.“

Auch Malu Dreyer befürwortet Konzept zur Arbeitspflicht

Tatsächlich stößt Herrgotts Handeln auf viel Zuspruch. Andere Landkreise – zum Beispiel in Sachsen-Anhalt – überlegen inzwischen ebenfalls, Flüchtlinge zu gemeinnütziger Arbeit heranzuziehen.

Auch einige Politiker befürworten das Konzept, etwa Thorsten Frei (CDU), parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag. Asylbewerber bekämen ein faires Verfahren, menschenwürdige Sozialleistungen und Unterstützung bei Krankheit, sagte er der „Rheinischen Post“.

„Wenn wir sie im Gegenzug auffordern, der Gesellschaft in Form eines gemeinnützigen Dienstes etwas zurückzugeben, ist das nicht zu viel verlangt. Ganz im Gegenteil.“ Die rechtlichen Grundlagen sollten konsequent angewandt werden.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer hält gemeinnützige Arbeit für Asylbewerber auf freiwilliger Basis für eine gute Sache. „Die Leute kommen an und haben einfach etwas Sinnvolles zu tun und können sich nebenher noch ein bisschen Geld verdienen“, sagte die SPD-Politikerin am Dienstag in Mainz. „Deshalb ist das eigentlich attraktiv.“

Arbeitspflicht „wichtiger Integrationsbaustein“

Trotzdem sei es wichtig, Betroffene schnellstmöglich in Sprach- und Integrationskurse einzubinden. Es müsse darauf geachtet werden, dass sich diejenigen, die perspektivisch bleiben dürften, weiter qualifizierten und zu richtigen regulären Jobs kämen.

Gordon Schnieder, CDU-Landtagsfraktionschef in Rheinland-Pfalz, nannte es einen „wichtigen Integrationsbaustein, Asylbewerber gemeinnützig arbeiten zu lassen“. Im Asylbewerberleistungsgesetz sei das schließlich in begrenztem Umfang vorgesehen.

„Allerdings gilt diese Verpflichtung nur für Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften.“ Dies greife zu kurz „und muss auf Einzelunterkünfte ausgeweitet werden“, forderte er.

Und ergänzte: „Wirklich Sinn macht eine solche Arbeitspflicht aber natürlich nur, und das ist für mich die Grundvoraussetzung, wenn sie die Kommunen und die ehrenamtlichen Strukturen der Flüchtlingshilfe vor Ort nicht zusätzlich belastet.“

Es gibt auch Kritik an Arbeitspflicht

Genau dieses Problem sprechen Kritiker der Maßnahme immer wieder an – unter anderem der frühere Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele (SPD).

„Grundsätzlich hat Arbeit eine elementare Funktion: Sie gibt Menschen eine Struktur im Alltag, ermöglicht Teilhabe, stiftet oft auch einen Nutzen“, sagte er der „Zeit“ in einem aktuellen Interview. Auch für die Integration in eine Gesellschaft sei sie ein wichtiges Instrument.

„Eine pauschale Arbeitspflicht aber, so wie sie nun von einigen populistisch gefordert wird, wäre ein teures, aufwendiges und bürokratisches Zuschussgeschäft, das wohl keines der genannten Ziele erreichen dürfte.“

Zum einen lägen gemeinnützige Jobs nicht „einfach auf der Straße“. Zum anderen seien Flüchtlinge nicht sofort einsatzbereit, jemand müsste ihnen die Arbeitsaufgaben erklären.

„Wer eine Arbeitspflicht fordert, ohne zu berücksichtigen was das kostet, hat nicht nachgedacht“

„Auch bei einfachen Tätigkeiten muss eine Einweisung erfolgen. Die Menschen brauchen für viele Tätigkeiten eine Arbeitskleidung, die eine Kommune dann erst einmal anschaffen muss. Und die Flüchtlinge müssen an ihre Arbeitsorte gebracht werden“, so Scheele.

Vor allem auf dem Land, wo mancherorts nur zweimal am Tag ein Bus fährt, ist das in seinen Augen schwierig. Er befürchtet eine Überlastung der Kommunen, weil die Vermittlung von Flüchtlingsjobs Personal bindet und Zeit und Geld kostet.

„Wer sich hinstellt und eine Arbeitspflicht für Asylbewerber fordert, ohne zu berücksichtigen, was das kostet und wie komplex das Ganze ist, hat einfach nicht nachgedacht“, sagte Scheele der „Zeit“.

Scheele: Arbeitspflicht könnte sogar Pull-Effekt haben

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sprach sich auch gegen das Konzept aus, Asylbewerber zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten. „Ich halte davon nichts“, sagte sie der „Thüringer Allgemeinen“ Ende Februar.

Ähnliche Maßnahmen seien in der Vergangenheit erfolglos bei Langzeitarbeitslosen versucht worden. „Angesichts des Fachkräftemangels ist es heute viel besser, die Geflüchteten schneller und unkomplizierter in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bringen.“

Interessant ist daher, was Sager, der Präsident des Deutschen Landkreistages, bereits im Herbst 2023 forderte. Seiner Ansicht nach sollten Flüchtlinge nicht nur gemeinnützige Arbeiten, sondern auch Tätigkeiten in privaten Unternehmen ausüben dürfen.

Scheele reagierte im Gespräch mit der „Zeit“ nüchtern auf die Forderung. „Im Moment fehlen dafür die rechtlichen Grundlagen. In den ersten drei Monaten haben Asylbewerberinnen und Asylbewerber generell keinen Arbeitsmarktzugang“, sagte der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit.

Anreiz für Deutschland als Fluchtzielland

Wenn es sofort um sozialversicherungspflichtige Jobs ginge, könnte das in seinen Augen außerdem einen Pull-Effekt auf Flüchtlinge haben. „Deutschland sendet damit das Signal: Kommt zu uns – als Asylbewerber, und eine Arbeit gibt es auch gleich dazu.“

Mit diesen Bedenken ist er nicht allein. Thomas Karmasin (CSU), der Präsident des Bayerischen Landkreistags und Landrat von Fürstenfeldbruck, befürchtete im Gespräch mit dem „Bayerischen Rundfunk“ (BR), dass durch die von Sager geforderte Arbeitspflicht Menschen zusätzlich motiviert würden, nach Deutschland zu kommen. Sie könnten dann schließlich auch schneller Geld nach Hause schicken.

Martin Sailer (CSU), Landrat aus Augsburg, äußerte sich gegenüber dem Sender ganz ähnlich: „Der Zugang zum regulären Arbeitsmarkt für alle Geflüchteten wäre aus meiner Sicht ein weiterer Anreiz dafür, dass sich Fliehende Deutschland als Fluchtzielland aussuchen.“





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