Natürlich hat die Sache einen Haken. Das möblierte WG-Zimmer in München, das im Internet für knapp 500 Euro angeboten wird, misst gerade einmal sieben Quadratmeter. Und das Zimmer in Berlin, immerhin doppelt so groß und deutlich billiger, muss geteilt werden. Keine ungewöhnlichen Angebote in einem Land, in dem Wohnraum ein knappes Gut geworden ist und jeder Quadratmeter genutzt werden will. Wer in einer deutschen Großstadt auf der Suche nach einer Wohnung ist, braucht starke Nerven – oder das nötige Kleingeld.
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Die Lage auf dem deutschen Wohnungsmarkt ist weiter angespannt. Laut dem Bauforschungsinstitut Arge fehlen mittlerweile 800.000 Wohnungen – und somit 100.000 mehr als im vergangenen Jahr. Dabei hatte sich die Ampelregierung bei Amtsantritt eigentlich vorgenommen, jährlich 400.000 Wohnungen zu schaffen. Doch die Pläne wurden gemacht, bevor Russland im Februar 2022 die Ukraine angriff, die Energiepreise in die Höhe schossen, Material teurer wurde und die Europäische Zentralbank (EZB) im Kampf gegen die hohe Inflation die Leitzinsen schrittweise anhob. Bauen wurde immer teurer, Mieten oft unbezahlbar, die Suche nach einer neuen Wohnung besonders in den Städten und Speckgürteln der Republik zum Glücksspiel.
Viele Bauprojekte werden storniert
„Nicht nur in fast allen Großstädten, den Universitätsstädten und inzwischen auch in vielen Mittelstädten hat die Wohnkostenbelastung für Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen unzumutbare Ausmaße angenommen“, sagte Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes, dem RND. Um den toxischen Mix zu verschärfen, sorgte die Bundesregierung mit abrupten Förderstopps auch noch für zusätzliche Unsicherheit bei Investoren und privaten Hausbauern. Zwar wurden mittlerweile neue Programme aufgelegt und mehrere Pakete geschnürt, um den Wohnungsbau anzukurbeln, aber die Bau- und Immobilienbranche ächzt weiter unter der Krise.
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Noch immer werden viel zu viele Bauprojekte storniert und zu wenig neue angeschoben. Nach Angaben des Münchner Ifo-Instituts berichtete im März fast jedes fünfte Unternehmen von stornierten Aufträgen. „Die Lage im Wohnungsbau bleibt angespannt“, sagte Klaus Wohlrabe, Leiter der Ifo-Umfragen. Denn: Zu den Stornierungen kämen zu wenig neue Aufträge hinzu. Das zeigen auch die Zahlen des Statistischen Bundesamts: 2023 wurden deutlich weniger Wohnungen genehmigt als noch im Jahr davor. Die Zahl der Baugenehmigungen sank um fast 27 Prozent.
Geschäftserwartungen in der Bauindustrie auf Tiefpunkt
„Die Genehmigungen und Baufertigstellungen gehen im dritten Jahr drastisch zurück, die Geschäftserwartungen sind auf einem historischen Tiefpunkt, und der Preiskampf um neue Aufträge nimmt teils unwirtschaftliche Züge an“, sagte Tim-Oliver Müller, der Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbandes HDB. Alles deutet also darauf hin, dass die Bundesregierung ihr ehrgeiziges Wohnungsbauziel auch in diesem Jahr reißen wird. 2022 – im Jahr nach dem Amtsantritt – waren es gerade einmal 295.300 Wohnungen, die fertiggestellt wurden. Werden bald die Zahlen für 2023 veröffentlicht, wird es wohl nur noch darum gehen, um wie weit das Ziel erneut verfehlt wurde.
Und das hat Folgen: Schon jetzt trifft insbesondere in den Städten eine große Nachfrage nach Wohnraum auf ein viel zu kleines Angebot. Immer mehr Menschen ziehen in die Ballungszentren – auch ausgelöst durch Kriege wie den in der Ukraine. Und weil viele, die gern ein Haus bauen oder kaufen möchten, sich das nicht mehr leisten können, drängen sie auf den ohnehin schon überhitzten Mietmarkt oder bleiben ihm erhalten.
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Die hohe Nachfrage treibt wiederum die Preise. Wer Ende 2023 eine Wohnung neu mietete, musste im Schnitt 5,3 Prozent mehr Miete zahlen als ein Jahr zuvor, wie aus einer Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervorgeht. „Die Mietbelastung ist besonders bei einkommensärmeren Haushalten dramatisch hoch“, sagte Mieterbund-Präsident Siebenkotten.
Insgesamt jeder dritte Mieterhaushalt und damit mehr als sieben Millionen Haushalte seien durch Wohnkosten überlastet. Bei 3,1 Millionen Haushalten gingen für die Kaltmiete inklusive Heizkosten sogar mehr als 40 Prozent des Einkommens drauf. „Für viele ist Wohnen zum Armutsrisiko geworden“, warnt Siebenkotten.
Protest: Eine Demonstration unter dem Motto „Gegen den Mietenwahnsinn – jetzt erst recht“ in Berlin.
Quelle: IMAGO/snapshot
Neues Förderprogramm ab Sommer
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) kennt die Probleme. Sie hat die Mittel für den Sozialwohnungsbau erhöht und das Wohngeld ausgeweitet. Lockerere energetische Standards sollen die Baukosten senken und eine Novelle des Baugesetzbuches soll dafür sorgen, dass zusätzliches Bauland entsteht. Auf einer Art Krisengipfel im Kanzleramt schnürte die Regierung im vergangenen Herbst zudem ein 14-Punkte-Paket, um den Wohnungsbau anzuschieben. Ein Versprechen waren steuerliche Erleichterungen für Investoren und Bauherren, die kürzlich mit dem Wachstumschancengesetz auf den Weg gebracht wurden.
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Außerdem sollen mehrere Förderprogramme dafür sorgen, dass sowohl Familien als auch Unternehmen wieder Geschmack daran finden, selbst zu bauen. Gerade wurden die Fördertöpfe für das Programm „Klimafreundlicher Neubau“ aufgefüllt und für das Programm „Wohneigentum für Familien“ die Zinsbindung auf 20 Jahre erhöht. In der Planung sind außerdem weitere Förderungen wie etwa das „Jung kauft Alt“-Programm, das Familien ermuntern soll, bestehende Immobilien zu kaufen.
16 Bauordnungen und viel Bürokratie
Doch das reicht nicht aus. HDB-Hauptgeschäftsführer Müller fürchtet, dass die Neubauförderung leerzulaufen droht. Außerdem: „Die neuen Programme sollen erst spät in der zweiten Jahreshälfte an den Start gehen, wenn das Baujahr eigentlich schon vorbei“, kritisiert er. Was es brauche, sei eine langfristige und verlässliche Förderkulisse für den Wohnungsbau. Müller hat noch weitere Punkte, die aus seiner Sicht anders laufen könnten. Er pocht etwa auf eine Absenkung oder zumindest temporäre Aussetzung der Grunderwerbsteuer. Sie gehört zu den wichtigsten Nebenkosten beim Hausbau und kann je nach Bundesland bis zu 6,5 Prozent betragen.
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Da kämen allerdings die Länder ins Spiel. Dass es 16 Bauordnungen gibt und vieles beim Wohnungsbau in Zuständigkeit der Länder oder der Kommunen liegt, macht die Gemengelage noch ein Stück komplizierter. Und dann wäre da noch die Bürokratie, die nicht nur Müller, sondern viele in der Branche beklagen.
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Wann kommt die Wohngemeinnützigkeit?
Die Ampel wäre nicht die Ampel, würde sie nicht auch noch mit etwas Koalitionszwist dafür sorgen, dass manches in Stocken gerät. Die Wohnungsgemeinnützigkeit etwa, die es in der Bundesrepublik schon einmal bis 1990 gab, sollte eigentlich wiederbelebt werden. Hinter dem Konzept versteckt sich die Idee, dass Wohnungsunternehmen, die Wohnungen dauerhaft preiswert halten, gefördert werden und sich Steuerbefreiungen sichern können. Auch soll damit erreicht werden, dass Wohnungen nicht mehr nach beispielsweise 20 Jahren aus der Sozialbindung herausfallen. Versprochen ist die Wohnungsgemeinnützigkeit zwar im Koalitionsvertrag, allerdings lässt sie noch auf sich warten.
Ein weiteres Versprechen wurde nun immerhin teilweise eingelöst: Die Mietpreisbremse soll verlängert werden. Darauf hat sich die Regierung Anfang April geeinigt. Zum Schutz von Mieterinnen und Mietern vor höheren Kosten hatte sie allerdings auch eine Absenkung der Kappungsgrenze in angespannten Märkten und eine Stärkung der qualifizierten Mietspiegel in Aussicht gestellt.
Geywitz will Mietrecht stärken – Mieterbund reicht das nicht
Während Geywitz und die SPD weiter darauf pochen, ließ Finanzminister Christian Lindner (FDP) in den sozialen Medien wissen, was er davon hält: Die Einigung über die Mietpreisbremse sei zwar wegweisend, schrieb er auf X. Allerdings: „Verschärfungen über die bestehende Mietpreisbremse hinaus würden angesichts gestiegener Baupreise und Zinskosten eine Erholung der Baukonjunktur beschädigen“, schrieb Lindner.
Der Mieterbund hält hingegen nicht nur die Einigung, sondern auch die noch nicht umgesetzten Vorhaben des Koalitionsvertrags für zu wenig. „Wir brauchen jetzt weitere Reformen, darunter eine effektive Ahndung von Wuchermieten, eine Verschärfung der Mietpreisbremse und eine Offensive für bezahlbares Bauen und Wohnen, ansonsten drohen uns massive soziale Verwerfungen“, fordert Siebenkotten.
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Und dann wäre da noch eine große Unbekannte in Frankfurt: die EZB. Zwar rechnen Volkswirte damit, dass es ab Mitte des Jahres zu ersten Zinssenkungen kommen könnte. Doch wann das passiert, hängt eng damit zusammen, wie sich die Inflationsrate entwickelt. „Es ist eine bleierne Zeit an den Wohnungsmärkten“, sagt Thomas Beyerle, Immobilienanalyst und Professor an der Hochschule Biberach. Das klinge vielleicht träge – aber aus Perspektive von Mietern und Häuslebauern sei nun das große Abwarten angesagt, sagt Beyerle mit Blick auf die mögliche Zinssenkung und die damit verbundene Erwartung, dass die Bauzinsen wieder sinken. Die Gesuche nähmen schon wieder zu.
Hier wird gebaut: Mehrfamilienhäuser mit Tausenden Wohnungen entstehen. Aber insgesamt gibt es viel zu wenig Wohnraum in Deutschland.
Quelle: Julian Stratenschulte/dpa
Auch Banken berichten sein einiger Zeit wieder von einem gestiegenen Interesse nach Baufinanzierungen. Und aus dem Bauministerium kamen zuletzt wieder zuversichtlichere Töne. „Wir sehen schon jetzt eine deutliche Belebung, etwa bei dem Interesse an Hypotheken“, sagte Geywitz kürzlich im RND-Interview. Die Bauzinsen seien bereits gesunken, und sie sei optimistisch, dass sie noch weiter nach unten gehen.
Wann senkt die EZB die Leitzinsen wieder?
Passend dazu gibt es auch Silberstreifen am Horizont: Nach Angaben des Statistischen Bundesamts gingen die Preise für viele Baumaterialien – allem voran Holz – 2023 wieder zurück. Allerdings ist das Niveau insgesamt noch höher als 2021. In der Branche ist man auch deshalb noch weit davon entfernt, Entwarnung zu geben. „Einige Politiker reden bereits von Signalen einer Belebung des Wohnungsbaus, dabei ist die Talfahrt noch im vollen Gang“, sagt Tom-Oliver Müller.
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Auch Thomas Beyerle verweist auf die wachsende Zahl von Insolvenzen am Bau. Die „Projektpipeline“ der kommenden Jahre sei am Austrocknen, warnt der Immobilienexperte. Der Höhepunkt bei den Baukosten – allem voran, was Material und Inflationsentwicklung angeht – sei bereits Mitte vergangenen Jahres erreicht worden. Nun sei die Inflation rückgängig und höhere Lohnabschlüsse sollten dazu beitragen, dass es für Bau- und Umbauwillige wieder bessere Konditionen gebe. Von der finanziellen Seite her sei 2024 zweifelsfrei ein Wendejahr, sagt Beyerle. „Bis die Maschinerie von Genehmigung über Bau und Umsetzung wieder in Gang kommt, reden wir aber frühestens von 2026.“