Im Politikbetrieb ist es nicht ungewöhnlich, wenn der Inhalt einer politischen Ware nicht dem Aufdruck auf der Verpackung entspricht. „Verfassungsschutz“: Das klingt honorig und respektabel. Wer kann schon etwas dagegen haben, die Verfassung zu schützen? Was aber, wenn die Verfassungssschützer gar nicht die Verfassung schützen, sondern ganz andere Interessen – etwa die der jeweils Mächtigen? Wer schützt dann die Verfassung vor den Verfassungsschützern?
Der erste Etikettenschwindel besteht in dem bewußt gepflegten Mißverständnis, bei den Bundes- oder Landesämtern für Verfassungsschutz handele es sich um unabhängige, allein der objektiven Sacheinschätzung verpflichtete Institutionen. Das sind sie mitnichten. Es sind politische Behörden, den jeweiligen Innenministerien unterstellt. Ihre Chefs sind politische Beamte. Wenn sie nicht parieren, können sie von ihren Dienstherren, den Bundes- oder Landesinnenministern, gefeuert werden. Die Versuchung der politischen Instrumentalisierung ist damit systemimmanent angelegt. Daß die Mächtigen dieser Versuchung erliegen, ist eher die Regel als die Ausnahme.
Ein Fremdkörper im Verfassungsstaat
Staatsrechtlich und demokratietheoretisch ist der „Verfassungsschutz“ ein Fremdkörper im Verfassungsstaat – ein deutscher Sonderweg. Ein vergleichbares Konstrukt gibt es in keiner anderen westlichen Demokratie. Klassische Aufgaben eines Inlandsgeheimdienstes sind üblicherweise Spionage- oder Terrorabwehr. Daß ein Inlandsgeheimdienst die eigenen Bürger oder gar die Opposition ganz offiziell und legal ausspähen darf, ist in gewachsenen, gefestigten Demokratien undenkbar.
Der Sonderweg eines „Verfassungsschutz“ genannten Geheimdienstes, der über extremistische Umtriebe zu wachen hat, ist ein Produkt des Mißtrauens gegenüber den eigenen Bürgern, über das eingefleischte Demokraten wie die Schweizer immer wieder ungläubig den Kopf schütteln. Dieses Mißtrauen entspringt der spezifisch bundesrepublikanischen Philosophie, die „Konstruktionsfehler“, denen man das Scheitern der Weimarer Demokratie anlastet, um jeden Preis zu vermeiden. Das daraus abgeleitete Konzept der „wehrhaften Demokratie“ ist zwangsläufig auch eine bevormundende Demokratie.
Der Widerspruch war den Gründern der bundesrepublikanischen Institutionen durchaus noch bewußt. Ein Inlandsgeheimdienst, der sich mit der Bewertung der Gesinnungen und politischen Einstellungen von Bürgern und Parteien befassen darf, hat einen autoritären Beigeschmack. Um ihn von Geheimpolizeiapparaten totalitärer Machart abzugrenzen, sollte der Verfassungsschutz, zum latenten Mißvergnügen der Verfassungsschützer, ausdrücklich keine polizeilichen Befugnisse haben.
Herrschaftsinstrument des antifaschistischen Konsens
In dem Maße, in dem die etablierten Parteien sich den Staat zur Beute gemacht und sukzessive sämtliche relevanten Bereiche des Gemeinwesens parteipolitisch durchdrungen haben, haben sie sich auch den Verfassungsschutz als praktisches Herrschaftsinstrument zunutze gemacht. Der Verfassungsstaat wird zum Verfassungssschutzstaat, der Verfassungsschutz zum Instrument der Herrschaftsabsicherung, das rechtsstaatliche Strukturen durchlöchert und unterminiert.
Was der Verfassungsschutz ins Visier nimmt, ist Spiegel der Machtverhältnisse. Je erfolgreicher der linke Marsch durch die Institutionen voranschreitet, desto mehr verschiebt sich der Fokus von der Verfolgung linksextremistischer Bestrebungen zu solchen auf der Rechten. Unter dem Druck, beide mindestens gleich zu gewichten, weiteten die Verfassungsschützer die Kampfzone nach rechts aus. Die Berichte wurden mit harmlosen und unbedeutenden Gruppierungen aufgefüllt, oder man begann, rechtsextremistische Bestrebungen zu erfinden und mit V-Leuten und Einflußagenten selbst zu basteln. Ein reiches Betätigungsfeld für den Beschaffungsextremismus, der zugleich die Grenze zur geheimpolizeilichen Tätigkeit mehr und mehr verwässerte.
Die „bürgerlichen“ Parteien haben das Spiel gerne mitgespielt, erlaubte es ihnen doch, sich unliebsame Konkurrenz wie in den neunziger Jahren die Republikaner vom Hals zu schaffen. Als die Partei sich nach zwölf Jahren aus der unberechtigten Beobachtung herausgeklagt hatte, war sie politisch bereits tot, und mit ihr auch eine nicht-linke Machtoption für die Unionsparteien, die dieses Spiel bis heute nicht durchschaut haben. Als vergiftetes Erbe der DDR mit zeitverzögerter Wirkung hat das wiedervereinigte Deutschland den „antifaschistischen“ Grundkonsens der Sozialisten mitgenommen, der den antitotalitären Grundkonsens der alten Bundesrepublik verdrängt hat. Für linke und links beeinflußte Regierungen erwies sich der Verfassungsschutz als ideales Instrument, um dieses gesellschaftliche Machtinstrument durchzusetzen.
Der Verfassungsschutz ist unreformierbar
Der Amtsantritt des gegenwärtigen Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes Thomas Haldenwang markiert den Paradigmenwechsel. Amtsvorgänger Hans-Georg Maaßen wurde entlassen, weil er einer Extremismus-Markierung der Regierung widersprochen und sich zudem geweigert hatte, die neue Konkurrenzpartei AfD durch Beobachtung zu bekämpfen. Inzwischen ist er selbst zum Beobachtungsobjekt geworden.
Mit dem Amtsantritt der roten Bundesinnenministerin und bekennenden „Antifa“-Sympathisantin Nancy Faeser (SPD) gibt es bei der politischen Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes kein Halten mehr. Der Verfassungsschutz steht im Dienste des „Kampf gegen Rechts“ zur Absicherung linker Herrschaft trotz schwindender Zustimmung im Volk. Die Kriterien sind willkürlich; schon wer den Volksbegriff des Grundgesetzes vertritt, ist „völkischer Nationalist“ und Verfassungsfeind. Haldenwang weiß, was von ihm erwartet wird, wenn er seinen Posten behalten will. Um potentiell jeden Regierungskritiker ins Visier nehmen zu können, hat er die Kategorie „Delegitimierung des Staates“ erfunden. Die Parallele zum DDR-Straftatbestand der „staatsfeindlichen Hetze“ ist vielleicht nicht beabsichtigt, aber kaum zufällig.
Haldenwang agiert als Vollstrecker seiner Ministerin wie ein Meinungs- und Gedankenpolizist, der sich anmaßt, „verbale und mentale Grenzverschiebungen“ zu bekämpfen. Er macht es ungeniert zu seiner Aufgabe, die „Umfragewerte der AfD zu drücken“. Der „Aktionsplan“ seiner Ministerin soll ihm Befugnisse zuschanzen, die denen einer Geheimpolizei immer ähnlicher werden. Eine rechtsstaatliche Reform dieser politisierten Behörde ist kaum noch vorstellbar. Sie paßt nicht in eine liberale Demokratie und sollte aufgelöst werden – je schneller und gründlicher, desto besser.