Olga Naumov sitzt seit 2019 im Leipziger Stadtrat. 2024 kandidiert sie erneut.

Olga Naumov sitzt seit 2019 im Leipziger Stadtrat. 2024 kandidiert sie erneut.

Foto: Hendrik Lasch

Das Schild wirkt, als habe sich jemand in der Tür geirrt. »Hier ist die Linke« verkündet ein Aufsteller, der ausgerechnet im Hof der katholischen Kirche »Heilige Familie« im Leipziger Stadtteil Schönefeld steht. Tatsächlich aber sitzt im Gemeindesaal unter dem Gekreuzigten Steffen Wehmann, Stadtrat der Partei. Immerhin drei Pfarrer und eine Vertreterin eines Sozialverbandes hat er zu Gast bei einer Diskussion zum Thema »Leipzig sozial 2024?«, »mit Fragezeichen«, wie er betont.

Es ist eine Runde, die es anlässlich der Kommunalwahl 2019 schon einmal gab. Jetzt wird ein neuer Stadtrat gewählt – Zeit für eine Bilanz. Leipzig mit mittlerweile fast 630 000 Einwohnern sei »gewachsen wie keine andere Stadt der Bundesrepublik«, sagt Wehmann. Auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze sei gestiegen. Viele Leipziger leben aber noch immer von bescheidenen Einkommen. Die Kinderarmut im Stadtteil liegt bei 20 Prozent. Von einer »wachsenden Stadt mit vielen Problemen« spricht der Linke-Politiker. Die Kirchenvertreter stimmen zu. Angesichts steigender Mieten »explodiert die Wohnungslosigkeit«, sagt Gregor Giele, Probst der Nikolaikirche. Immer öfter gebe es Menschen in »multiplen Notsituationen«. Dass Wehmanns Partei sich des Themas annimmt, freut ihn. Noch mehr freut ihn, dass sie die Veranstaltung mit dem Gleichnis aus dem Matthäus-Evangelium überschrieb, wonach ein Kamel leichter durch ein Nadelöhr gehe, als ein Reicher in Gottes Reich gelange. Das Bibelwort zeige, sagt er, »dass Die Linke auf einem guten Weg ist«.

Adam Bednarsky würde den Satz mit Wohlwollen hören. Der Stadtchef der Partei sitzt ein paar Stunden früher in deren Zentrale, dem Liebknecht-Haus. Von dort aus orchestriert er eine Kampagne, die Die Linke auf gutem Weg halten soll – oder dorthin zurückbringen. Zuletzt schien es manchmal eher, als gerate sie ins Abseits. Die einstige Partei-Ikone Sahra Wagenknecht gründete ihre neue Partei BSW, die Bundestagsfraktion flog auseinander. In Prognosen für die Landtagswahl in Sachsen im Herbst rangiert Die Linke nahe der Fünf-Prozent-Marke. Manche Umfragen weisen sie gar nicht mehr gesondert aus.

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In Leipzig dagegen scheint die Welt noch halbwegs in Ordnung. »Wir sind der rote Leuchtturm«, sagt Bednarsky. Bei der Ratswahl 2019 wurde Die Linke mit 21,4 Prozent stärkste Kraft. Auch am 9. Juni wolle man das stärkste Ergebnis erzielen und so dazu beitragen, dass die Mitte-Links-Mehrheit im Stadtrat verteidigt werden kann. Die Partei stellt zwei Bürgermeister im Rathaus und konnte mit Jule Nagel und Sören Pellmann je einen Wahlkreis für Land- und Bundestag direkt gewinnen. Die Mitgliederzahl, zwischenzeitlich auf 1450 gesunken, hat inzwischen wieder die Marke von 1800 erreicht, mehr als bei jeder anderen Partei in der Stadt. Zur Ratswahl am 9. Juni biete man die maximal mögliche Zahl von 110 Bewerbern auf, noch einen mehr als 2019, sagt Bednarsky: »Das haben wir organisiert bekommen.« Die Grünen haben 109 Kandidaten, das BSW ganze elf. Einige von diesen sind Ex-Genossen. Insgesamt aber »gab es da kaum Abflüsse«, formuliert Bednarsky.

Was nicht heißen soll, dass es den Streit zwischen Strömungen und um die programmatische Ausrichtung, der zum Bruch führte, nicht auch in Leipzig gäbe. Bednarsky sieht Die Linke in einer »Phase, in der sie sich immer weiter in die urbanen Zentren zurückzieht« – was er, obwohl er einen großstädtischen Verband führt, augenscheinlich nicht gutheißt. In Teilen der Stadt konkurriert Die Linke erfolgreich mit den Grünen. Die offenen Büros, die Jule Nagel oder ihr Landtagskollege Marco Böhme betreiben, sind Anlauf- und Vernetzungspunkte für vielfältigste Initiativen, die sich gegen Gentrifizierung wehren, Protest gegen rechts oder gegen den Kohleabbau im Leipziger Süden organisieren. In anderen Vierteln, deren Bewohner in prekäreren Verhältnissen leben und eher unter den Schattenseiten des Leipziger Booms leiden, ist Die Linke nicht mehr unbedingt erste Adresse für sozialen Protest. Im Plattenbauviertel Leipzig-Grünau stimmte bei der Landtagswahl 2004 noch jeder dritte Wähler für Sören Pellmanns Vater Dietmar. 2019 erhielt Bednarsky ein Fünftel der Stimmen, die AfD aber mehr als ein Viertel.

Die Leipziger Linke versucht weiterhin, Menschen in schwieriger sozialer Lage ebenso ein politisches Angebot zu machen wie gelernten DDR-Bürgern oder den Bewohnern der Szeneviertel. Gerade hat sie ein Bürgerbegehren für ein kostenloses Mittagessen in Schulen und Kitas gestartet. Wehmanns Sozialforum gemeinsam mit den Pfarrern ist Beleg dafür, dass man sich dafür auch Verbündete jenseits des eigenen Milieus sucht, was einst zu den Stärken der Partei gehörte. Mit Volker Külow knüpft ein anderer Stadtrat an das Image der Vorgängerpartei PDS als »Kümmerer« an und engagiert sich für Pächter in den typisch ostdeutschen Garagenhöfen, die von Verdrängung bedroht sind, weil Flächen für den Bau von Schulen und Kitas benötigt werden. Man versuche, sich dem Auseinanderdriften der Stadtgesellschaft entgegenzustellen, sagt Bednarsky. Auf den Wahlplakaten der Partei prangt deshalb der Slogan »Solidarität statt Spaltung«.

Der liest sich freilich auch wie ein Appell an die eigenen Reihen. Bisher, sagt Bednarsky, habe man es »vermocht, die Generationen und Milieus zusammenzuhalten«. Er hoffe, dass das auch weiterhin gelingt: in Zeiten, in denen magerere Wahlergebnisse womöglich interne Konflikte noch einmal anheizen und in denen sich auch ein personeller Umbruch vollzieht. Bednarsky, der im Herbst als Stadtchef abtritt, führt heute eine andere Partei als bei seinem Amtsantritt vor acht Jahren. Altgediente und engagierte Genossen, die schon Mitgliedsbücher von SED und PDS hatten, gibt es immer weniger. Die neuen Mitglieder, die sich zu Hunderten melden, entstammen anderen Generationen. Sie seien zwar für »punktuelle Events« gut zu mobilisieren, sagt Bednarsky: Fast alle der 11 000 Wahlplakate wurden in einer einzigen Nacht angebracht. Wochenlang an Wahlständen stehen, sei aber weniger ihr Fall: »In die strukturierte Regelarbeit müssen sie sich erst reinfinden.«

Anders als in manchen ländlichen Regionen steht Die Linke in Leipzig aber auf einem soliden Fundament. »Hier ist etwas gewachsen, was auch eine Zeit der Dürre überdauern kann«, sagt Bednarsky. Und bei der Stadtratswahl habe der »rote Leuchtturm« Leipzig das Zeug, ein »Signal der Hoffnung« in die Partei zu senden. Den Segen mindestens eines Pfarrers gab es in der Kirche zur »Heiligen Familie« ja gewissermaßen schon einmal.

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