Donald Duck wird 90, und man siehts ihm nicht an. Er wirkt für immer jung, wie aus dem Ei gepellt (wenn man mal von der indes nie wirklich empfundene Absenz einer Hose abseht). Bekleidungsmäßig versucht er schon immer den Eindruck zu erwecken, er mache irgendwas Maritimes. Aber ein richtiger Seemann ist er nicht. Und einem festen Beruf geht er auch nicht nach. Trotzdem reicht‘s für ein Häuschen und ein Auto. Er ist der gezeichnete Beweis dafür, dass man Lebensratgeber über charakterliche Veränderungen getrost in die Tonne treten kann. Donald ist gutmütig, neugierig, keck und forsch, eher arbeitsscheu, schadenfroh, manchmal (gegenüber Schwächeren – wie Ameisen oder Streifenhörnchen – auch mal hundsgemein) und ja eigentlich flugunfähig. Wobei er trotzdem alle naslang in die Luft geht – der König der Choleriker.

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Eigentlich ist Donald Duck schon älter als 90 Jahre

Wenn wir von seinem 90. sprechen, reden wir freilich von seinem ersten Filmauftritt, mit dem ihn die Welt kennenlernte und der am 9. Juni 1934 stattfand. Da war Donald schon gefühlt 20 Jahre alt und seinen Geburtstag (ohne Jahres- oder Monatsangabe) hatte Walt Disney ja höchstselbst auf einen Freitag, den 13., festgelegt. In Wilfried Jacksons Kurzfilm „The Wise Little Hen“ (der seltsame deutsche Titel lautete: „Der kluge kleine Gockel“) erscheint die Figur noch nicht ausgereift. Er ist eindimensional, dabei – mit Verlaub – ein kleines Arschloch.

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Der mit wiggeligem Jitterbug unterlegte Film spielt in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise. „Fällt der Winter wieder ein / die Not wird schrecklich sein“ singt der Hintergrundchor im Comedian-Harmonists-Stil, während die „kluge kleine Henne“, alleinerziehende Mutter von neun Küken, ihr schmuckes bescheidenes Häuschen verlässt, um ihre Freunde zu bitten, ihr doch bei der Getreideaussaat beizustehen: „Komm säe mit mir den Mais!“

Donald glaubt ernsthaft, das Kinopublikum liebt Drückeberger

Donald Duck tanzt da gerade quakvergnügt auf dem Deck seines Hausboots, und Peter Pig spielt Ziehharmonika vor seinen Schweinestall. Sozialschmarotzer, die sich später ebenso von Mama Huhns Maisernte fernhalten und dabei beide Male Bauchweh vorschützen. Die Henne und ihre Kindlein müssen allein aufs Feld, Donald, der mit seinem überlangen Schnabel auch noch nicht so sexy aussieht wie später, zwinkert hinter der Kajüte dem Publikum verschwörerisch zu – Durchbrechen der vierten Wand – wähnt es auf seiner, des Drückebergers, Seite. Fehlanzeige. Selbst Donalds Matrosenmütze ist unsympathisch, macht sie doch bei der bloßen Erwähnung von Arbeit schon einen Salto rückwärts.

Am Ende ist Erntedankfest, Mama und Küken feiern mit Maiskuchen, Butter tropft von den gebratenen Kolben. „Wer isst mit mir den Mais?“ ruft sie von der Veranda. Schwein und Ente sind sofort zur Stelle, aber in der überreichten Schüssel ist eine Rizinusölflasche – „for tummy ache“. Die Geschichte, die auf dem russischen Volksmärchen „Die kleine rote Henne“ gründet, endet damit, dass sich die beiden Hungerleider gegenseitig in den Hintern treten.

Räumungsbefehl für Donalds Haus, danach ging es bergauf

Der wirtschaftliche Niedergang war auch Thema von „Moving Day“ (1936). In dem Film, in dem Donald erstmals dem von heute ähnelt, können Micky Maus und Donald ihre Zahlungen fürs gemeinsame Häuschen nicht mehr leisten, ein Sheriff kommt mit einem Räumungsbescheid, und die von der Obdachlosigkeit Bedrohten versuchen, ihr Mobiliar vor einer Zwangsversteigerung zu retten. US-Realität in den damaligen Depressionszeiten. Am Ende bekommen die herzlosen Behörden höchst explosiv ihr Fett weg. In „Donald und Pluto“ (1936) ist das heutige Donald-Design dann vollendet, und ökonomisch geht es für ihn bergauf. Die Ente ist in Lohn und Brot – als Klempner, der in Mickys Haus Chaos anrichtet und dessen Hund Pluto mit einem Magneten an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringt.

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Knapp bei Kasse blieb Donald trotzdem all die Jahrzehnte. Sein Onkel Dagobert, mit mehreren Fantastilliarden von Talern an Vermögen reichster und knauserigster Erpel der Welt, engagierte ihn für abenteuerliche Schatzsuchen oder auch nur, um seine Taler auf Hochglanz zu wienern – und speiste ihn dann mit ein paar Kreuzern ab. Die selten ausreichten, um das durchaus anspruchsvolle Schatzi Daisy „auszuführen“. Donalds eigene Neffen Tick, Trick und Track erschienen mit der Ratio cooler Pfadfinder des Fähnchens Fieselschweif stets erwachsener als Onkel Donald, der infantile Unglücksvogel.

Weitere Jubiläumstipps: Donald in Deutschland und Mexiko

Der zum Helden vieler Filme und zahlloser Comics wurde. Wer zu Donalds 90. in Feierlaune kommt, der sollte es vielleicht mit ein paar besonderen Kinoklassikern wagen. „Der Fuhrer‘s Face“ (1943), nur auf Youtube) versetzte Donald (im Traum) nach Nutsi-Land (bezogen auf „nuts“ – engl. für verrückt und ausgesprochen wie Naziland), wo alles im Hakenkreuzdesign erbracht ist und man permanent Hitlerbilder grüßen muss. Als Hitler-Gegner schaffte Donald es damals auf die Flugzeugnase von Bombern und Jagdfliegern. Der Film bekam den Oscar.

Und weil Disney im Zweiten Weltkrieg Deutschland als Kunde wegbrach und die europäischen Geschäfte schwierig wurden, versuchte das Studio mit Donald Duck in Südamerika zu reüssieren: So reiste der quietschfidele Erpel nach Mexiko, erlebt dort allerhand mit seinen Kumpanen José und Panchito. Was den Machern von „Drei Caballeros“ (1944) dazu an Bildern eingefallen ist, reicht von possierlich bis halluzinogen. Disney schmeißt einen Farbtrip und der gute Donald wirkt zuweilen – vermutlich unbeabsichtigt – wie ein Konsument bewusstseinserweiternder Substanzen. Eine Fiesta der Fantasie, ein Pionierstück in der Verbindung von Zeichentrick- und Realfilm.

Donald wird vom Robot-Butler genervt und wieder zum Ei

Dann wäre da noch der Sci-fi-Streifen „Modern Inventions“ (1937) zu empfehlen, wo Donald im „Museum of Modern Marvels“ einem penetranten Butler-Roboter Widerstand leistet, der ihn auffordert, seine Mütze – bei Donald im Rang eines Körperteils – in der Garderobe abzulegen. Oder der Kurzfilm „Der Jungbrunnen“ (1953), in dem er vor den Augen seiner drei Neffen wundersamerweise wieder zum Entenei wird. Oder. Oder. Oder. Legendär ist Robert Zemeckis‘ „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“ (1988), in dem Donald sich ein Klavier-Duell mit Daffy Duck (einer Figur von Warner Brothers) liefert. Um sich den Sieg zu sichern, schießt der Pianovogel sogar mit Kanonen auf die Konkurr-Ente.

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Donald Duck ist unser gefiederter Freund. Dass wir den endlos wieder aufstehenden Underdog aus Entenhausen lieber mögen als seinen biederen und erfolgreichen Kumpel Micky hat damit zu tun, dass man sich immer in dem spiegelt, dem – wie einem selbst – der Wind der Zeiten stärker ins Gesicht bläst. So wie Superman, der Alleskönner langweilig ist gegenüber Batman, der nur gut trainiert ist und an den man darob besser andocken kann.

Er ist alles, er ist jeder – er macht dieselben Fehler, die wir alle machen.

Carl Barks, Erfinder von Dagobert Duck, Autor und Zeichner zahlreicher Donald-Duck-Comics (1901 – 2000)

Der Verlierer gewinnt Herzen. Donald-Erzähler (und Dagobert-Erfinder) Carl Barks beschrieb die Magie der Ente sehr persönlich. „Ich selbst habe mich immer als einen Pechvogel gesehen, wie Donald, der ein Opfer aller möglichen Umstände ist. Aber es gibt wohl niemanden in den Vereinigten Staaten, der sich nicht mit ihm identifizieren könnte. Er ist alles, er ist jeder – er macht dieselben Fehler, die wir alle machen. Er ist manchmal ein Schurke, oft ist er wirklich ein feiner Kerl, immer aber hat er, wie ein jeder von uns, mit den Tücken des Alltags zu kämpfen, und ich glaube, dass das einer der Gründe ist, warum die Leute die Ente mögen.“

In Deutschland war Donald Duck gebildeter – dank Erika Fuchs

Dass Donald auch mal aus der deutschen Literatur zitiert und sich in philosophischen Betrachtungen des Lebens ergeht, ist eine deutsche Erscheinung – ein Verdienst der 2005 gestorbenen Kunsthistorikerin Dr. Erika Fuchs, die von 1951 bis1988 Chefredakteurin des Comicmagazins „Micky Maus“ war und die, indem sie Donald Ducks Abenteuer (auch die von Barks) ins Deutsche übertrug, eine feinere, gewitztere Sprache anwandte.

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Die Inflektivform im Comic, die Reduktion eines Verbs auf den Wortstamm wird in Bezug auf Fuchs auch Erikativ genannt. Wenn Donald entsetzt ist, sieht man ein „kreisch!“ in seiner Sprechblase, ein „grübel“, wenn er auf Erleuchtung hofft oder ein „bibber-zitter-klapper-schnatter-frier!“, wenn ihm kalt am Bürzel ist. Aus den Sprechblasen heraus ist der Erikativ in den Alltag gewandert.

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Die Brit-Band Kinks forderte höchsten Beistand für Donald

Nicht erst mit 90 Jahren (oder 110) hat sich die Papierente mit ihrer Endlichkeit befasst. „Und lieg ich dereinst auf der Bahre“, sang Donald schon Anfang der Fünfzigerjahre unter Tränen sein selbstgeschriebenes Countrylied „Der rührselige Cowboy“, „dann denkt an meine Gu-i-tah-re! Und gebt sie mir mit in mein Grab!“ Woher soll er auch wissen, dass die Existenz eines Cartoon- & Comicwesens wie ihm besonderen Gesetzen unterliegt und potenziell unendlich währt. Ente ohne Ende.

Er wird den Schnabel also nicht halten. Soll‘s auch gar nicht. Und so stimmen wir zum heutigen Jubiläum ein in den Song „The Village Green Preservation Society“, in dem Donalds Sangeskollegen, die britischen Kinks, schon 1968 allerhöchsten Beistand für ihn forderten:

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„God save Donald Duck!“



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