Es klingt wie eine Geschichte aus Hollywood: ein Unbekannter, der von seiner Partei eingesetzt wird als unbedeutender Platzhalter – nur um dann am Ende tatsächlich antreten zu dürfen bei den nächsten Präsidentschaftswahlen in seiner Heimat. Mit besten Aussichten auf einen Sieg noch dazu.
Edmundo González Urrutia ist nun genau das passiert: Die Opposition in Venezuela hat den 74-Jährigen am Wochenende zu ihrem gemeinsamen Kandidaten gekürt, dabei ist er kein charismatischer Politiker, sondern ein eher gräulicher Ex-Diplomat mit Krawatte, dicker Brille und ein paar Pfunden zu viel. Ausgerechnet er also soll sich bei den nächsten Wahlen am 28. Juli mit Nicolás Maduro messen, Venezuelas autoritärem Machthaber, der eisern entschlossen ist, im Amt zu bleiben.
Die Opposition hatte sich in der Vergangenheit gegenseitig zerfleischt
All das eine Überraschung zu nennen, wäre noch untertrieben. Weder González selbst noch die Regierung in der Hauptstadt Caracas hatte wohl mit diesem Schritt gerechnet. Die Opposition dagegen feiert ihren Coup: Statt sich wie in der Vergangenheit gegenseitig zu zerfleischen, hat man sich tatsächlich gemeinsam hinter einen Kandidaten gestellt. “Wir sind nicht nur vereint”, erklärte Oppositionspolitiker Omar Barboza bei der Bekanntgabe von González’ Kandidatur am späten Freitagabend Ortszeit: “Wir sind super vereint!”
Genau das war es, was die Regierungspartei in Venezuela, die Chavisten, eigentlich immer vermeiden wollten. Seit einem Vierteljahrhundert sind sie nun schon an der Macht, anfangs mit breiter Unterstützung aus der Bevölkerung, dann aber folgte eine schwere Wirtschaftskrise. Schon bei der letzten Abstimmung 2018 gab es zudem massive Betrugsvorwürfe. Seitdem wurden Oppositionspolitiker verhaftet oder ins Exil gedrängt.
Immerhin: Im Oktober letzten Jahren erklärte sich die Regierung bereit, Wahlen abzuhalten, halbwegs frei und einigermaßen fair. Im Gegenzug dafür lockerten die USA die Sanktionen, welche sie gegen das Land verhängt hatten. Es stand dann aber noch nicht einmal ein Datum für die Abstimmung fest, da hatte das Regime in Caracas bereits die erste Kandidatin geblockt: María Corina Machado, eine 56-Jährige, die zuvor in den Vorwahlen der Opposition einen haushohen Sieg errungen hatte. Machado versuchte, eine Stellvertreterin antreten zu lassen, doch als hierfür dann endlich eine Kandidatin gefunden war, durfte sich diese nicht einmal registrieren.
Er ist der kleinste gemeinsame Nenner
Was folgte, waren wochenlange Verhandlungen, denn innerhalb der zersplitterten Opposition hatten es verschiedene Parteien geschafft, Bewerber für die Wahl anzumelden. Teilweise wollten diese wirklich antreten, so zum Beispiel Manuel Rosales, der ehemalige Gouverneur des Bundesstaates Zulia. In anderen Fällen aber waren es auch einfach nur Platzhalter, irgendwelche Parteimitglieder, die ihren Namen zur Verfügung stellten, in der Erwartung, dass man sie schon austauschen würde, sobald es ernst wird.
Dass das mit Edmundo González Urrutia nicht passiert ist, liegt wohl daran, dass er der kleinste gemeinsame Nenner war, auf den sich alle irgendwie einigen konnten. Dass er den allermeisten Venezolanern bisher vollkommen unbekannt war, ist dabei fast nebensächlich. Viel wichtiger ist, dass nun die gesamte konservative Opposition hinter ihm zu stehen scheint. In Umfragen hatte zuletzt rund die Hälfte der Teilnehmer angegeben, ihren Kandidaten unterstützen zu wollen, wie auch immer dieser am Ende heißt. Und im Netz sind schon die ersten Kampagnen angelaufen, das Motto: “Edmundo pa’ todo el mundo” – Edmund für die ganze Welt.
Die große Frage ist nun, wie der venezolanische Machthaber Nicolás Maduro auf die Ernennung von González reagieren wird. Bisher hat sich die Regierung in Caracas noch nicht zur Kandidatur von Urrutia geäußert, sehr wahrscheinlich aber wird sie versuchen, auch ihn von der Teilnahme an der Abstimmung auszuschließen. Eine Möglichkeit dafür böte eine Klage, die bereits beim Obersten Gerichtshof vorliegt und darauf abzielt, González’ Partei ganz von der Teilnehmerliste zu streichen.
Dies allerdings wäre ein radikaler Schritt, der die Wahlen am 28. Juli noch weiter diskreditieren würde. Das wiederum will Maduro verhindern. Die USA haben zwar mittlerweile einen Großteil der Sanktionen wieder verhängt, Washington hat aber gleichzeitig ein paar Hintertüren offengelassen, mit Lizenzen, zum Beispiel, die in spezifischen Fällen erteilt werden können für den Verkauf von venezolanischem Gas und Erdöl. Und diese Einnahmen, das weiß auch die Regierung in Caracas, sind lebenswichtig für das Land.