Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder verbietet das Gendern an Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden. Staatskanzleichef Florian Herrmann vertritt die Meinung, dass so “Diskursräume” offengehalten werden. Und Volkstheater-Intendant Christian Stückl? Der inszeniert Sibylle Bergs Stück “In den Gärten oder Lysistrata Teil 2”, was sich liest wie ein einziger langer Kommentar zur aktuellen Debatte.

AZ: Herr Stückl, “In den Gärten” von Sibylle Berg ist jetzt nicht das Stück, das man sofort auf Ihrer Inszenierungsliste vermuten würde. Wie kamen Sie auf diesen Text, der eher Textfläche ist als Drama?

Christian Stückl: Seit Corona frage ich mich noch mehr, was die Themen sind, die wir erzählen müssen. Im Theater greifen wir gerne auf Klassiker zurück und gehen dem aktuellen Diskurs ein bisschen aus dem Weg. Aber wenn so ein Thema ständig umherschwirrt und Herr Söder das Gendern verbieten möchte, dann muss man am Theater was dazu machen. Und dann muss auch ich was dazu machen.

Sie sind also über das Thema Gendern beziehungsweise Genderverbot auf den Text gekommen?

Nicht direkt. Ich habe angefangen, Sibylle Berg zu lesen, weil sie in dem Thema natürlich sehr drin ist. Ein Text wie “GRM – Brainfuck” war mir aber zu milieuhaft, da kann ich nicht so viel mit anfangen. Aber als ich dieses Stück gelesen habe, hat es mich gereizt, obwohl ich eigentlich jemand bin, der alles lieber mag als Textflächen…

.. die bei Sibylle Berg von Chören gesprochen werden.

Ich mag auch keine Chöre.

Eigentlich konsequent: Berg selbst schreibt in der Regieanweisung, dass es auch Einzelstimmen gibt, “weil Dauerchöre nerven”.

Trotzdem schreibt sie lauter Chöre. Bei Sibylle Berg gibt es L wie Lysistrata und B wie Bernd und jeweils einen Chor aus allen Ls beziehungsweise allen Bs. Ich hatte das Gefühl, wenn ich das mache, muss ich es näher an mich ran ziehen, muss Figuren herausfiltern, Individuen schaffen und das Ganze als eine große Auseinandersetzung begreifen.

Wie uniform sind diese Figuren, die bei Berg Teil eines Kollektivs sind, bei Ihnen?

Das sind drei Männer und drei Frauen, und ich versuche, jedem ein Eigenleben zu geben. Sechs Schauspieler*innen spielen sechs Museumsbesucher*innen, die dort mit sich selbst und den anderen konfrontiert werden. So ein Kollektiv ist doch furchtbar langweilig. Wir sind doch auch Individuen und nicht nur Teil einer Gruppe.

Da kommt alles auf den Tisch, von Sex bis Care-Arbeit.

Von diesen Themen sind wir alle betroffen, aber an gewissen Punkten liegen die Autorin als Frau und der Regisseur als Mann vielleicht auch im Clinch miteinander.

Zugrunde liegt eine Komödie von Aristophanes, “Lysistrata”, in der die Frauen den Krieg der Männer beenden und den Frieden erzwingen wollen, indem sie sich ihren Männern sexuell verweigern. Bei Berg ist diese binäre Geschlechterordnung nur noch ein Relikt aus einer vergangenen Zeit.

Am Anfang befinden wir uns in einer völlig durchgegenderten, nicht mehr binär denkenden Welt. Da stromern Menschen in einem Museum ihrer Vergangenheit herum. Daraus entsteht ein dramatischer Bogen. Denn spätestens, wenn es um die Liebe geht, fallen sie zurück in alte Muster. Und das ist mit vielen Dingen so, ob es nun um Antisemitismus geht oder Fremdenfeindlichkeit: Wir tun so, als hätten wir das überwunden. Haben wir aber nicht. Wir sind nur gut im Wegdrängen.

Also sind wir gar nicht so reflektiert, wie wir meinen?

Ich finde es immer lustig, wenn heute junge Aktivistinnen über Alice Schwarzer schimpfen: Die vergessen, dass das ein weiter Weg war bis zu uns über Louise Michel oder die Suffragetten, die diesen langen Kampf begonnen haben.

Wo sehen Sie uns da? Ist dieser Kampf der Geschlechter noch aktuell?

Wenn wir zwei am Tisch hocken, kämpfen wir auch nicht ständig. Das wär auch furchtbar. Aber natürlich gibt es Konflikte. Manchmal bleiben sie unausgesprochen, manchmal kommen sie auf den Tisch, und am Ende müssen wir sie austragen. Es kam auch in den Proben vor, dass ein Schauspieler gesagt hat: “Wir reden schon wieder zu viel und lassen die Frauen nicht durchkommen.” Das Stück trifft etwas, es kann einen auch wütend machen. Wir stehen irgendwie so dazwischen. Bei Berg heißt es einmal: “Die alten Gewohnheiten halfen uns in der neuen Zeit nicht mehr, die alten Ordnungen lösten sich auf, etwas Neues war noch nicht erprobt.” Die patriarchalen Strukturen müssen aufgelöst werden, und da fühlen sich manche Männer angegriffen. Ich glaube, das hat auch was mit Selbstbewusstsein zu tun.

Wahrscheinlich ist da auch eine Angst, weil Sicherheit verlorengeht.

Wir sind es eben gewohnt, dass es zwei Toiletten, zwei Umkleiden im Kaufhaus etc. gibt. Beim letzten Schauspielschul-Vorsprechen habe ich festgestellt, dass viele “they/them” als Pronomen angeben. Und da komme ich dann ganz schnell in Unsicherheiten: Wie besetze ich jemanden, der sich nur “als Frau gelesen” fühlt und nur mit dem Vornamen angesprochen werden möchte, nicht als “sie”? Als Frau oder als Mann? Aber damit muss man eben offen umgehen und darüber reden. So ein Söder-Verbot hilft da überhaupt nicht: Du kannst nicht verbieten oder verhindern, dass sich Sprache entwickelt. Was ich allerdings gar nicht mag, ist “LGBTQIA+”.

Dafür kommt es aber ziemlich flüssig raus.

Natürlich, das kriegt man halt mit. Aber das ist eine riesige Schublade für alle, die nicht hetero sind. Und die wird immer größer. Wenn ich ein Vorsprechen habe, frage ich nicht, was ein Schauspieler abends im Bett macht. Das ist mir wurscht. Wer immer mir etwas über sich erzählen will, kann das gerne tun – aber das ist doch kein Kriterium für mich, jemanden einzustellen oder nicht. Ich mag keine Schubladen.

Bei der Pressekonferenz zum Radikal-Jung-Festival haben Sie erwähnt, dass Einsparungen vonseiten der Stadt geplant sind. Wie ist die Situation konkret?

Schwierig. Der Kämmerer der Stadt sagt: Wer Geld hat, soll die aktuelle Tariferhöhung aus der eigenen Tasche zahlen. Das macht bei uns 1,2 Millionen Euro aus, und das können wir einmalig selber stemmen. Wenn wir das nächstes Jahr bekommen, ist das in Ordnung. Aber im Augenblick kann mir das keiner zusagen. Es geht mir nicht um eine Ausweitung des Betriebsmittelzuschusses, sondern um eine Bestandssicherung. Wenn ich diese Mehrkosten auf Dauer selbst tragen muss, geht das vom künstlerischen Budget weg. Aber wie das konkret weitergehen wird, weiß im Moment niemand. Das ist ein Zustand, den ich nicht mag.

Das heißt, es steht keine Kürzung im Raum, aber die Mehrkosten werden nicht ausgeglichen?

Das Budget des Kulturreferates wird gekürzt. Und am Ende treffen diese Kürzungen uns.


Die Premiere am Sonntag, 24. März (19.30 Uhr), ist ausverkauft, wieder am 30. und 31. März





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