Was in der Nacht geschehen ist, können viele Anwohner auch am Freitagmittag noch nicht richtig begreifen. Erst am Morgen erfahren sie durch das Polizeiaufgebot, den Hubschrauber und die Rettungswagen von dem Horror in ihrer Nachbarschaft.
In Scheeßel-Westervesede und in der naheliegenden Gemeinde Brockel im Landkreis Rotenburg (Wümme) hat ein Mann laut Polizei vier Menschen erschossen, darunter ein drei Jahre altes Kind. Verdächtigt wird ein Bundeswehrsoldat, gegen den ein Ermittlungsrichter am Amtsgericht Verden am Mittag Haftbefehl erlässt. Er hatte sich am Morgen bei einem Wärter der Bundeswehrkaserne in Rotenburg (Wümme) gestellt.
„Er war immer monatelang weg und sie allein“
Ein Schwerpunkt liegt auf Brockel. Hier hat der Verdächtige mit seiner Partnerin und einem gemeinsamen Kind und Hund in einem ruhigen Wohngebiet gelebt, wie mehrere Nachbarn im Gespräch mit FOCUS online bestätigen. Die beiden sollen in einer Trennungsphase gewesen sein und sie hochschwanger. „Er war immer monatelang weg und sie allein“, beschreibt eine Nachbarin die Familienkonstellation. Doch viel habe sie nicht über das Paar gewusst. Mehrere Nachbarn schildern, dass die Frau am Morgen von Polizei und Rettungsdienst abgeholt worden sei.
Nur wenige Hundert Meter entfernt von dem Wohnhaus des mutmaßlichen Täters liegt einer der beiden Tatorte in einem Neubaugebiet. Einige Häuser sind noch nicht fertiggestellt, die jungen Nachbarn kennen sich oft nur sporadisch über die Kinder. Sie alle wohnen erst wenige Jahre in Brockel.
Hier soll der Soldat eine 33-jährige Frau und ihr drei Jahre altes Kind erschossen haben; laut Anwohnern die beste Freundin seiner Ex-Partnerin. „Die Eltern wohnen nebenan“, erklärt ein Nachbar die Konstellation in der Doppelhaushälfte. Das Opfer habe noch ein zweites, älteres Kind, das in der Nacht beim Vater gewesen sei, sagt ein anderer Anwohner.
Von den Schüssen will hier niemand etwas mitbekommen haben
Von den Schüssen will hier niemand etwas mitbekommen haben. „Ich habe erst morgens die Mannschaft gesehen“, sagt ein Anwohner über den Polizeieinsatz. Ein anderer schildert: „Als ich heute Morgen zur Arbeit gefahren bin, habe ich die Absperrung gesehen.“
Zwischen Brockel und Westervesede liegen rund zehn Kilometer. Die Kulisse des Tatorts ist jedoch eine ganze andere: An einer Kreuzung zwei Hauptstraßen steht das alte Backsteinhaus, umrahmt von weiteren, alten Bauernhöfen. Der kleine Vorgarten ist hübsch dekoriert und gepflegt. Doch wo am Vorabend noch Nachbarn zusammengekommen sein sollen, sichert nun die Polizei Beweise. Nach Angaben der Beamten hat der Täter hier einen 30-jährigen Mann und eine 55-jährige Frau erschossen.
„Ich bin immer noch nicht ganz durch damit“, sagt fassungslose Anwohnerin
Bei dem jüngeren Opfer handelt es sich nach Angaben von Nachbarn um den neuen Partner der Ex des Soldaten. Er soll seit wenigen Jahren hier mit seinen Eltern – die Mutter ist demnach das zweite Opfer – und einem Kind eingezogen sein. „Sie haben das Haus zusammen gekauft“, sagt eine Nachbarin und beschreibt die Familie als „sympathische, liebe Menschen“.
Obwohl erst relativ frisch zugezogen, habe sich der 30-Jährige bereits im Ortsbeirat engagiert. „Ich bin immer noch nicht ganz durch damit“, sagt die Nachbarin über die Schreckensnacht, von der sie ebenfalls erst am Morgen durch Freunde und den Polizeieinsatz erfahren habe.
„Sie haben nach und nach die Klamotten vom Weg aufgelesen“
An der Von-Düring-Kaserne seien die Anwohner gegen sechs Uhr von Hubschrauberlärm geweckt worden, berichten sie. Dann hätten sich auch schon das Blaulicht gesehen. Dann sei auch schon das Blaulicht angerückt. „Sie haben nach und nach die Klamotten vom Weg aufgelesen“, sagt ein Anwohner über die Arbeit der Ermittler. Offenbar habe sich der Mann weitgehend entkleidet, bevor er sich stellte.
Im Auto fand die Polizei noch weitere Munition und einen Molotow-Cocktail, Anwohner wollen außerdem von einer Blendgranate unter den Fundobjekten gehört haben. Unklar ist bislang, woher der Täter Waffe und Munition hatte.
Auch wenn sie nicht direkt von den Taten betroffen waren, stellt sich ein mulmiges Gefühl ein. „Unglaublich – und das vor unserer Haustür“, sagt ein Anwohner, wohlwissend, dass es trotz allen Grauens noch schlimmer hätte kommen können: „Wir können froh sein, dass er sich ergeben und nicht noch verschanzt und weitergeschossen hat.“ Dieses Glück hatten die vier Opfer nicht