E-Autos, Hybride, Verbrenner: Ihr Auto trickst beim Verbrauch? Sie müssen die „10-Prozent-Regel“ kennen
Mit den neuen Abgasnormen hat sich die Abweichung beim Realverbrauch reduziert, doch noch immer verbrauchen manche Autos zu viel – vor allem Plug-In-Hybridmodelle. Rechtsexperte Marco Rogert sagt, ob und wie Sie sich dagegen wehren können.
Wer kennt das nicht? Das neue Auto ist da. Und ein wesentlicher Faktor für den Kauf dieses Fahrzeugs war für viele der Kraftstoff- beziehungsweise Energieverbrauch. Dann kommen die ersten Fahrten und man stellt fest: Egal wie sparsam man fährt – an die Verbrauchsangaben der Hersteller kommt man einfach nicht heran.
Laut einer Umfrage im Auftrag der Versicherung Cosmos-Direkt glauben 43 Prozent der Autokäufer in Deutschland, dass ihr Fahrzeug mehr Sprit verbraucht als vom Hersteller angegeben. Für Verbrennerfahrzeuge ist das ein relativ alter Hut. Mittlerweile weiß man wohl auch, wie es zu den geschönten Angaben kommt: Es werden dem Vernehmen nach bei der Überprüfung des Fahrzeugs schlichtweg alle Verbraucher abgeklemmt, fragwürdige Rollwiderstände angegeben, der cW-Wert „optimiert“ usw. Das Resultat: Ein in der Praxis mit einem Serienfahrzeug ohne diese Besonderheiten im vorgeschriebenen Fahrzyklus nicht reproduzierbarer Verbrauchswert . Selbst immer schärfere Abgasnormen mit so genannten „RDE“-Tests im realen Verkehr haben bislang nicht verhindert, dass es bei vielen Autos weiterhin zu deutlichen Abweichungen kommt.
Viele Autos verbrauchen immer noch mehr als versprochen
Für hybride Fahrzeuge werden zumeist extrem niedrige Durchschnittsverbrauchswerte errechnet. Das liegt daran, dass der elektrische Verbrauch mit dem Diesel-/Benzinverbrauch zusammen kalkuliert wird. Jeder, der schon einmal ein derartiges Fahrzeug gefahren ist, wird bestätigen, dass die angegebenen Verbrauchswerte in der Praxis nicht einmal ansatzweise zu erreichen sind. Neue Daten der Europäischen Umweltagentur (EEA) zeigen, dass die tatsächlichen Verbrauchswerte vor allem bei bei Plug-in-Hybriden in der Regel erheblich von den angegebenen Verbrauchswerten abweichen.
Plug-In-Hybride mit extremer Abweichung
Dieses “Monitoring” der Fahrzeugflotten basiert auf Art. 12 der Verordnung (EU) 2019/631. Die Regelungen dazu, wie diese Überprüfung im WLTP-Zyklus zu erfolgen hat, finden sich in Verordnung (EU) 2021/392. Die Daten zeigen:
- Der tatsächliche Verbrauch ist oft signifikant höher als der in amtlichen Dokumenten angegeben.
- Der durchschnittliche Differenzprozentsatz liegt bei 23,7 Prozent für neue Benzinerfahrzeuge und 18,1 Prozent für neue Dieselfahrzeuge, die im Jahr 2021 zugelassen wurden.
- Für neue Plug-in-Hybride liegt die durchschnittliche Diskrepanz weitaus höher, und zwar bei beachtlichen 252,1 Prozent verglichen mit den amtlichen WLTP-Daten.
Auch Elektroautos oft viel ineffizienter als versprochen
Ähnliches gilt aber auch für Elektrofahrzeuge. Die angegebenen Verbrauchswerte sind aller Regel nicht einmal annähernd zu erreichen . Dass Elektroautos die versprochenen Reichweiten nicht immer erreichen und zum Teil sogar sehr deutlich unterschreiten, ist nicht neu. Laut einer Studie der US-Organisation „Society of Automotive Engineers“ (SAE) zusammen mit den Test-Experten des Automagazins „Car & Driver“ verbrauchen Elektro-PKW im Durchschnitt 12,5 Prozent mehr als vom Hersteller angegeben. Je nach Fahrsituation (z.B. Autobahn) und bei niedrigen Außentemperaturen sind die Abweichungen noch erheblich gößer.
Über den Experten
Marco Rogert ist Rechtsanwalt und Wirtschaftsjurist bei der Kanzlei Rogert & Ulbrich aus Düsseldorf. Die Kanzlei vertritt tausende VW-Käufer im Rahmen des Abgasskandals. Als einer der Anwälte des klagenden Verbraucherzentralen-Verbands vzbv brachte er die Musterfestellungsklage mit zum Erfolg. 235.000 Geschädigte wurden von VW im Rahmen eines Vergleichs entschädigt. Die Kanzlei vertritt aktuell zudem Personen mit Verdacht auf Impfschäden gegen Pharmakonzerne.
Rogert studierte an der Universität Osnabrück und der Rijksuniversiteit Leiden (Niederlande) und hat die Schwerpunkte Transportrecht, internationales Handelsrecht und Kreditsicherungsrecht. Er dozierte bis Mai 2020 im Wirtschafts- und Logistikrecht an der Hochschule für Ökonomie und Management (FOM) in Essen.
„10 Prozent-Regel“ begründet Ansprüche gegen Händler
Was bedeutet es nun aber in der Praxis, wenn man einen starken Mehrverbrauch nicht hinnehmen möchte?
- Sollte ein Kfz-Sachverständiger bestätigen, dass der tatsächliche Verbrauch gegenüber dem angegebenen Verbrauch auf der Basis des vorgeschriebenen Messzyklus (z.B. WLTP) um mindestens 10 Prozent nach oben abweicht, dann besteht unabhängig von der Antriebsart ein Rücktritts-/Minderungsrechtrecht des Käufers , solange die zweijährige Gewährleistungsfrist nicht abgelaufen ist. Ein bloßer Hinweis z.B. auf eigene Verbräuche laut Bordcomputer reicht dazu aber nicht aus; siehe dazu die Urteilsbegründungen weiter unten.
- Daneben besteht nach der Rechtsprechung ein Schadenersatzanspruch bezüglich der zu viel bezahlten Kraftstoff-/Energiekosten . Diese Ansprüche bestehen gegenüber dem Verkäufer, also in der Regel dem Händler.
Ähnliche Ansprüche können auch gegenüber dem Hersteller bestehen, sofern man ihm nachweisen kann, dass dieser die Verbrauchswerte fahrlässig oder vorsätzlich falsch angegeben hatte. Hat er die Verbrauchswerte bewusst manipuliert, indem er beispielsweise die Rollwiderstände geschönt hat, dürfte ein Anspruch aus § 826 BGB bestehen, der zu Schadenersatz berechtigt. Inhalt dieses Schadenersatzanspruchs kann auch die Rückabwicklung des Kaufvertrages sein sowie die Erstattung des Schadens sein, der durch den Mehrverbrauch entsteht.
Vor allem Käufer von Plug-In-Hybriden sollten an Rückgabe denken
Da viele Käufer von Elektro- und Hybridfahrzeugen bislang bei dem Kauf davon ausgingen, sehr verbrauchsarm und damit kostensparend fahren zu können und diese Annahme bei allen Antriebstypen, insbesondere aber durch die Untersuchungsergebnisse bei den Plug-in-Hybriden infrage gestellt wird, dürfte gerade diese Käufergruppe ein starkes Interesse an einer Rückabwicklung des Kaufvertrages und der Geltendmachung von Schadenersatz für zuviel aufgewendete Kraftstoff-/Energiekosten haben; zumal diese Kosten im vergangenen Jahr regelrecht explodiert sind.
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Aber auch die nach wie vor größte Gruppe, die der Käufer von Verbrennerfahrzeugen, dürfte sich die Augen reiben, wie hoch die durchschnittliche Abweichung des Ist- vom Sollverbrauch selbst unter Laborbedingungen ist. Aufgrund der systematischen Überschreitungen und deren Feststellbarkeit bei den Tests der Hersteller muss hier wohl von vorsätzlichem „Greenwashing“ zu Lasten der Verbraucher ausgegangen werden. Erst wenn weitaus mehr Verbraucher als bisher nicht mehr nur die „Faust in der Tasche ballen“, sondern ihre Ansprüche geltend machen und – erforderlichenfalls mit gerichtlicher Hilfe – durchsetzen, werden die Hersteller nach meiner Ansicht mit dem „Tricksen“ aufhören.
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Wichtige Urteile aus der Rechtsprechung
Es gibt einige wegweisende Urteile, die in diesem Zusammenhang wichtig sind und die man kennen sollte.
1. BGH, Beschluss vom 8. 5. 2007 – VIII ZR 19/05
Ein Sachmangel stellt eine unerhebliche Pflichtverletzung dar, die den Käufer gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB nicht zum Rücktritt berechtigt, wenn er im Sinne von § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB aF den Wert oder die Tauglichkeit der Kaufsache nur unerheblich mindert. Bei einer Abweichung des Kraftstoffverbrauchs eines verkauften Neufahrzeugs von den Herstellerangaben um weniger als 10 Prozent ist ein Rücktritt vom Kaufvertrag daher ausgeschlossen (im Anschluss an BGH, Urteil vom 18. Juni 1997 – VIII ZR 52/96, BGHZ 136, 94).
Wichtig: Entgegen landläufiger Annahme bezieht sich die tatsächliche Abweichung des Verbrauchs von den Prospektangaben nicht auf die individuelle, konkrete Nutzung des gekauften Neufahrzeugs durch den Käufer, sondern auf die Einhaltung der Verbrauchswertermittlung nach den Vorgaben der europarechtlichen Richtlinien . Letztlich kann man die vom Käufer ermittelten Verbrauchswerte, etwa aus dem Bordcomputer, daher nur als groben Anhaltspunkt für einen Mehrverbrauch heranziehen.
Im Prozess wird daher ein Sachverständiger nicht die normale Fahrweise (Drittelmix Stadt, Land, Autobahn) überprüfen, sondern die Einhaltung der Richtlinienvorgaben.
2. OLG Hamm, Urteil vom 08.06.2015 – 2 U 163/14
Weicht der Kraftstoffverbrauch eines Fahrzeugs von der Prospektabgabe ab, kann ein Fahrzeugmangel vorliegen. Verweist der Prospekt auf eine Verbrauchsermittlung nach der „Richtlinie 80/1268/EWG“, kommt es darauf an, ob der richtlinienkonform ermittelte Verbrauch von der Prospektangabe abweicht. Ein Mehrverbrauch von weniger als 10 Prozent ist eine unwesentliche Abweichung im Sinne von § 323 V 2 BGB und begründet kein Rücktrittsrecht.
3. LG Stuttgart, Urteil vom 22.06.2007 – 8 O 180/06
Aus den Gründen des Urteils: 1. Wegen eines überhöhten Kraftstoffverbrauchs hat der Kläger einen – von ihm in erster Linie geltend gemachten – Schadensersatzanspruch gemäß §§ 437 Nr. 3, 280 I 1, 281 I BGB auf Ersatz der durch den Mehrverbrauch bedingten Kosten. Den Anspruch hat die Leasinggeberin (…) an den Kläger abgetreten. Zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs bedurfte es einer weiteren Fristsetzung nicht, da die Beklagte spätestens mit ihrem Schreiben vom 05.10.2006 die vom Kläger verlangte Nacherfüllung durch Beseitigung des Mangels (§ 439 I Fall 1 BGB) endgültig verweigert hat (§ 440 Satz 1 BGB). Da sich der Kläger auf den Ersatz der durch den erhöhten Kraftstoffverbrauch bedingten Mehrkosten beschränkt und keinen Schadensersatz statt der Leistung geltend macht, kann in diesem Zusammenhang die Frage offenbleiben, ob der geltend gemachte Mangel als nur unerheblich i. S. des § 281 I 3 BGB zu werten ist oder nicht.
4. LG Düsseldorf v. 30.08.2016
Bei diesem Prozess ging es um einen erhöhten Kraftstoffverbrauch als Sachmangel, der zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt. Das Landgericht Düsseldorf (Urteil vom 30.08.2016 – 15 O 425/13) hat entschieden:
- Auch wenn die Parteien die Angaben des Herstellerprospekts nicht als Beschaffenheit im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB vereinbart haben, sind die im Herstellerprospekt enthaltenen Angaben zu dem Kraftstoffverbrauch des Neufahrzeugs zumindest öffentliche Äußerungen mit der Folge, dass die gewöhnliche Beschaffenheit des Wagens im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB durch diese Angaben bestimmt wird.
- Ein verständiger Käufer weiß, dass die tatsächlichen Verbrauchswerte von zahlreichen Einflüssen und der individuellen Fahrweise des Nutzers abhängen und deshalb nicht mit den Prospektangaben gleichgesetzt werden dürfen, die auf einem standardisierten Messverfahren beruhen. Der Käufer kann jedoch erwarten, dass die im Prospekt angegebenen Werte unter Testbedingungen reproduzierbar sind .
- Eine erhebliche Pflichtverletzung ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn der im Verkaufsprospekt angegebene kombinierte Verbrauchswert um mehr als 10 Prozent überschritten wird, Die Grenze von 10 Prozent ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung einerseits praktikabel, sie trägt andererseits in Zeiten steigender Kraftstoffpreise, erhöhten Umweltbewusstseins und des hohen technischen Standards der heutigen Autoproduktion der verstärkten Bedeutung des Kraftstoffverbrauchs Rechnung, ohne allzu kleinlichen Gewährleistungswünschen der Käuferseite Vorschub zu leisten.