München – Beim Spaziergang durch den Englischen Garten am Wochenende konnte man den Geruch bereits wahrnehmen: München duftet nach Cannabis. Und das obwohl noch gar kein Gras von gemeinnützigen Anbauvereinen im Umlauf ist. Sie öffnen erst in knapp drei Monaten für Konsumenten ihre Türen. Wie versorgen sich derweil Kiffer in einer Stadt, in der die politischen Verantwortungsträger jahrelang mit einer Nulltoleranzpolitik gegen Dealer und Käufer vorgegangen sind? Und woher stammt überhaupt ihr aktueller grüner “Stoff”?

Wo gibt es in München Drogen?

Während man in Berlin zum Beispiel nur Grünanlagen wie den Görlitzer Park aufsuchen muss, um auf einen Händler mit Cannabis zu stoßen, ist die Suche nach Rauschmitteln in München deutlich herausfordernder. Die Straßen sind quasi wie leer gefegt – bis auf wenige bekannte Verkaufsplätze, die in Polizeimeldungen regelmäßig auftauchen. Darunter: der Hauptbahnhof, die Messe in Riem, Neuperlach und vor allem Gebiete im Norden der Stadt.

Offenbar haben sich die Dealer auf den harten Anti-Drogen-Kurs der Staatsregierung eingestellt und meiden die Öffentlichkeit. Sie sind in den Untergrund abgetaucht – in eine Parallelwelt im Internet, die einem großen, dauerhaft geöffneten Supermarkt gleicht. Statt Lebensmittel stehen dort verbotene Substanzen zum Verkauf.

Aufgebaut wurde dieser Online-Drogenumschlagplatz auf dem Nachrichtendienst Telegram. Bei einer Recherche ist die AZ auf mehr als 30 Gruppen im Münchner Ballungsraum aufmerksam geworden, in denen offen gedealt wird.

Cannabis-Verkauf bei Telegram: Mehr als 30 Gruppen im Ballungsraum München

Mit insgesamt mehreren Zehntausend Gruppenmitgliedern ist dieser Marktplatz größer als so manche Gemeinde in der Metropolregion. Und er wächst weiter: Manche Gruppen sind öffentlich, jeder kann also beitreten. In anderen Chats fügen Teilnehmer immer wieder neue Personen hinzu.

Die Funktionsweise dieser Telegram-Chats erinnert an einen Mix aus der Handelsplattform Ebay-Kleinanzeigen und dem Onlineversandhändler Amazon. Zahlreiche Dealer veröffentlichen darin ihre “Verkaufsangebote” – beworben mit mehreren Bildern, Videos und Texten zu den illegalen “Stoffen”. Auch wie viel sie kosten, steht dort direkt. Außerdem: In welchem Stadtteil Käufer die Betäubungsmittel abholen können – oder zu welchem Preis sie der Händler sogar direkt zur Haustür des Konsumenten liefert.

Es gibt nicht nur Cannabis: Sortiment der Angebote bei München groß

Das Sortiment der Kriminellen ist groß: Aufputschende Stoffe wie Kokain und Ecstasy, Halluzinogene wie LSD, verschreibungspflichtige Medikamente – darunter Xanax – und eine ganze Palette verschiedenster Cannabisprodukte stehen zur Auswahl. Von Letzterem gibt es unzählige Angebote, weil die Blüten seit dem 1. April auf Telegram nochmals prominenter vermarktet werden.

Offenbar sinkt die Hemmschwelle der Dealer und Konsumenten im Umgang mit Gras. Schließlich ist der Besitz bis zu 50 Gramm in den eigenen vier Wänden jetzt zwar erlaubt, Erwerb und Verkauf auf dem Schwarzmarkt stehen allerdings weiterhin unter Strafe.

Händler bieten Käufer aus München Cannabis in großen Mengen an

In der Gruppe “Champions League MUC” mit mehr als 1000 Mitgliedern macht ein mutmaßlicher Dealer den “Kunden” folgendes Angebot: “Grüß Gott meine Cannabis Raucher 🙂 Pünktlich zur Legalisierung sind wir da für euch”, schreibt der Verkäufer. Er hat eine besondere Cannabissorte mit starker Wirkung im Angebot: “Cali”-Gras, das aus dem US-Bundesstaat Kalifornien stammen soll. Die Züchtung heißt “Gelato”: Ein Gramm kostet 15 Euro, zehn Gramm 90 Euro. Zur Einordnung: Rund 0,3 Gramm werden durchschnittlich in einen einzelnen Joint gestreut, der seine berauschende Wirkung dann beim Rauchen für wenige Stunden entfaltet.

Andere Händler bieten in derselben Gruppe auch gleich mehrere Kilogramm Cannabis zum Verkauf an. Bei einer solch hohen Menge sinken die Einkaufskosten, teilweise auf unter fünf Euro pro Gramm.

Doch wie nahezu überall in diesen Gruppen gilt: Woher der Stoff kommt und was wirklich in den Blüten steckt, weiß niemand so recht, oft nicht einmal der Dealer. Gewarnt wird vom Deutschen Hanfverband zum Beispiel vor “Brix” – ein synthetisches Streckmittel, das Gras feucht erscheinen lässt und sich wie eine “Folie” auf den Blüten ablegt. Es ist gefährlich für die Gesundheit, weil es die Atemwege angreift und sich in der Knochensubstanz ablagert.

Seit Legalisierung: Dealer vermarkten Cannabis stark

In den Münchner Gruppen geht es schnell hin und her. Manchmal verliert man den Überblick: Hunderte, manchmal Tausende Nachrichten werden darin täglich verschickt.

Auch in der Community “MunichForDrugs” mit rund 500 Mitgliedern gehen fast minütlich Mitteilungen ein: “Die Legalisierung ist da! Das heißt alles unter 50 Gramm ist legaler Eigenbedarf. Holt heute noch euren Vorrat und macht euch einen schönen Abend.” Kosten pro Gramm hier: nur zehn Euro.

München: Norden ist meist Treffpunkt der Drogenübergabe

Als Treffpunkt zur Übergabe der Drogen geben viele Verkäufer den Norden der Isarmetropole an: Schwabing Nord, das Olympiaeinkaufszentrum, das Oberwiesenfeld – vereinzelt auch Neuperlach, Riem und Giesing.

Ein Dealer meint im “Münchener Drogenmarkt” mit 400 Chatteilnehmern sogar: “München steht Ihnen im Vollen zu Diensten.”

Auffällig ist, dass die Händler entweder selbst jung sind oder die Heranwachsenden durch eine jugendliche Sprache zumindest erreichen wollen: “Es prallt und schmeckt top”, wirbt ein Verkäufer. “Kommt vorbei und schmeckt den Genuss von Premium”, schreibt ein anderer. “Endlich Legal – Garantiert zufrieden – raucht jetzt das Amsterdam Gurilla Blue Static Hash – einfach unnormal”, steht in den “MUC Arcaden”, einer Chatgruppe mit fast 2000 Teilnehmern.

Drogen per Telegramm ordern: Sonderangebote an Ostern und in der Wiesnzeit

Wie professionalisiert die Szene ist, zeigen besondere “Angebote” kürzlich an Ostern oder vergangenes Jahr zur Wiesnzeit. Durch sie wird auch offensichtlich, wie schnell man auf Telegram von harmloseren Substanzen an harte Drogen kommt: “Die schönste Jahreszeit bringt natürlich auch das schönste Koks mit.” Weiter heißt es im Chat “Drugs West”: “Ja, Rosi hat ein Telefon, auch ich hab ihre Nummer schon (…), Skandal, weil das Zeug 1A Quali hat!”

Diese Nachricht erscheint so oft, dass sich hinter dem Absender wohl ein Bot verbirgt. Dieser sendet in gewissen Zeitabständen automatisch Angebote an die Chatteilnehmer – ohne, dass eine Person dauerhaft aktiv die Nachrichten tippt.

Ob Bayerns Behörden die Entwicklungen in der Landeshauptstadt auf dem Schirm haben? Innenminister Joachim Herrmann (CSU) beobachtet sie laut eigener Aussage zusammen mit den Polizeipräsidien und dem Bayerischen Landeskriminalamt (BLKA) genau. Nach der Legalisierung würden Täter die “einfachen” und “vermeintlich sicheren” Online-Vertriebsmöglichkeiten verstärkt nutzen, sagt der CSU-Politiker zur AZ. “Ermittlungsverfahren bestätigen die schrittweise Verlagerung des Drogenmarktes in den virtuellen Bereich”, so Herrmanns Einschätzung.

Verkauf von Betäubungsmitteln über Telegram-Chatgruppen: “Nur” 40 Ermittlungsvorgänge in München

Im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums München seien laut dem Minister annähernd 40 Ermittlungsvorgänge im vergangenen Jahr geführt worden, die in Zusammenhang mit dem Verkauf von Betäubungsmitteln über Telegram-Chatgruppen oder ähnlichen Plattformen stehen. Teilweise seien Jugendliche als Tatverdächtige festgestellt worden, meist bewege sich der Täterkreis allerdings im Bereich der Heranwachsenden und Erwachsenen.

Um derartige Straftaten besser verfolgen zu können, fordert Herrmann von der Ampelregierung die Mindestspeicherfrist von Daten und eine IP-Adressspeicherung. Darin seien sich bereits alle Innenminister der Länder und die Bundesinnenministerin einig. “Leider kann sich Frau Faeser aber in der Bundesregierung bei Grünen und FDP nicht durchsetzen,” so seine Kritik.





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