Exklusiv für FOCUS online: Umfrage zeigt, dass Olaf Scholz nicht das größte Problem der SPD ist
Die Europawahl war für die Ampel-Parteien enttäuschend, vor allem für die SPD. Es gibt den Ruf nach Neuwahlen, der Kanzler steht in der Kritik. Eine Civey-Umfrage zeigt, wie die Stimmung zu diesen Fragen in Deutschland ist.
Fünf Tage nach der Europawahl herrscht bei den Wahlverlierern Frust. Die Grünen können kaum glauben, wie sehr sie abgestürzt sind, und suchen nach den Gründen für ihre Wahlniederlage. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte kurz, aber eindringlich: „Das schmerzt.“
Auch bei der SPD, die das schlechteste Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl seit dem Krieg eingefahren hat, ist das Entsetzen über die Resultate der Europawahl groß. Nur 13,9 Prozent der Stimmen sicherten sich die Sozialdemokraten.
Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, schrieb in einer inzwischen verschwundenen Instagram-Story: „Wir haben kein einziges Milieu, keine Gruppe, keine Generation begeistert oder positiv erreicht.“ Und weiter: „Unsere Botschaften haben niemanden überzeugt.“
Söder behauptet: „Olaf Scholz ist König Olaf ohne Land“
Vor allem die Ampel-Parteien haben bei der Europawahl Federn gelassen. Das bietet Angriffsfläche für die politische Konkurrenz. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte die grün-rot-gelbe Koalition schon im November 2023 für gescheitert erklärt und Neuwahlen ins Spiel gebracht.
Diese Forderung wiederholte er vor wenigen Tagen: „Olaf Scholz ist König Olaf ohne Land“, sagte er laut „Bayerischem Rundfunk“ (BR) auf einer CSU-Vorstandssitzung. „Und deswegen ist die logische Konsequenz: Neuwahl, Vertrauensfrage und am Ende Rücktritt.“
Eine repräsentative Umfrage unter rund 5000 Bürgerinnen und Bürgern, die das Meinungsforschungsinstitut Civey für FOCUS online durchgeführt hat, zeigt: 58 Prozent der Befragten finden Söders Vorstoß richtig, 36 Prozent lehnen vorgezogene Neuwahlen ab, sechs Prozent haben keine klare Meinung zu dem Thema.
Mit 74 Prozent befürworten vor allem Arbeiter vorgezogene Neuwahlen. Bei Angestellten, Beamten und leitenden Angestellten sind es 58 Prozent oder weniger. Grünen- und SPD-Anhänger lehnen Söders Forderung mehrheitlich ab, während FDP-Anhänger sich überwiegend dafür aussprechen.
Die FDP und der vieldiskutierte Ampel-Austritt
Das ist nur auf den ersten Blick verwunderlich. Denn es ist die FDP, die immer wieder ein Koalitions-Aus ins Spiel bringt. Vor einigen Monaten kam es sogar zu einer parteiinternen Abstimmung über den Ampel-Exit, die knapp zugunsten der Koalition ausfiel.
Vom Tisch ist das Thema damit nicht. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) drohte der SPD zuletzt offen mit einem Koalitionsbruch, nachdem SPD-Chef Lars Klingbeil seine Sparvorgaben kritisiert hatte. Lindner sagte der „Bild“-Zeitung: „Für höhere Steuern und die Abschaffung der Schuldenbremse müsste er eine Mehrheit jenseits der FDP suchen.“
Welche Folgen hätte es für die Bundestagswahl 2025, wenn die FDP die Koalition verlassen würde? Auch das war ein Thema der Umfrage, die Civey für FOCUS online durchführte. 44 Prozent der Befragten gaben an, dass sie die Liberalen mit geringerer Wahrscheinlichkeit wählen würden als bisher, sollten sie den Ampel-Partnern den Rücken kehren.
29 Prozent würden sich im Falle eines Koalitions-Exits eher für die FDP entscheiden. Für 25 Prozent der Umfrageteilnehmer würde sich nichts ändern. Die Umfrage zeigt auch, dass die Liberalen bei ihren eigenen Anhängern keinerlei Rückhalt einbüßen würden, sollten sie sich dazu entscheiden, die Ampel-Koalition zu verlassen.
Olaf Scholz und die Europawahl
Während die FDP bei der Europawahl auf 5,2 Prozent kam und damit ihre fünf Mandate im Europaparlament halten kann, musste die SPD ordentlich Federn lassen. Manche Beobachter glauben, das könnte mit den Wahlplakaten zusammenhängen: Schließlich war auf vielen davon Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) abgebildet.
Lars Haider, der eine Biografie über den SPD-Politiker verfasst hat, sagte FOCUS online erst vor kurzem: „Ob das eine kluge Entscheidung war, darüber lässt sich streiten.“
Der Regierungschef gilt als hölzern und hat nicht umsonst den Spitznamen „Scholzomat“. Noch ist unklar, welchen Kanzlerkandidaten die SPD für die Bundestagswahl 2025 aufstellen wird, auch wenn alles auf Scholz hinausläuft. Würde Scholz der SPD helfen, Stimmen zu generieren oder eher das Gegenteil bewirken?
In der Umfrage, die Civey für FOCUS online durchgeführt hat, wird deutlich, dass der Regierungschef nicht der Wählerschreck ist, für den manche ihn halten. Ein anderer Kanzlerkandidat würde das Wähler-Potenzial der SPD kaum verändern.
Für 43 Prozent der Befragten spielt der Nominierte keine Rolle, wenn es darum geht, ihr Kreuz bei der SPD zu machen. 27 Prozent der Befragten würden sich sogar weniger wahrscheinlich für die Sozialdemokraten entscheiden, wenn Olaf Scholz nicht Kanzlerkandidat wäre.
Boris Pistorius und Friedrich Merz Kanzler-Favoriten der Deutschen
Klar ist aber: Der Bundeskanzler steht heftig in der Kritik, aktuell wegen seiner Wirtschaftspolitik, der Ukraine-Politik und eben auch dem schlechten Abschneiden seiner SPD bei der Europawahl. Bei politischen Beobachtern, aber auch vielen Bürgern.
Die Ergebnisse einer weiteren Civey-Frage passen in dieses Bild. Wenn sich die Deutschen einen Kanzler wünschen dürften, wäre es nicht der Amtsinhaber. Nur magere sechs Prozent der Befragten sprechen sich für Scholz aus.
Am beliebtesten sind Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, den 27 Prozent der Umfrageteilnehmer gerne als Bundeskanzler hätten, und CDU-Chef Friedrich Merz (23 Prozent). Erstaunlich ist, dass sich sogar mehr Frauen (24 Prozent) als Männer (23 Prozent) Merz als Regierungschef wünschen, dem nachgesagt wird, dass er eher abschreckend auf weibliche Wähler wirken könnte.
Im Osten Deutschlands stößt wenig überraschend BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht auf viel Rückhalt. Ganze 29 Prozent der Ostdeutschen sprechen sich in der Civey-Umfrage für die Ex-Linke als Bundeskanzlerin aus.
Gerade mit Blick auf die im September anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg ein spannendes Ergebnis. Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ könnte den etablierten Parteien, aber auch der AfD gefährlich werden. Immerhin erreichte die neue Partei bei der Europawahl in Sachsen 12,6 Prozent sowie 15 Prozent in Thüringen – aus dem Stand.
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