Nur wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl in Russland hat die Ukraine die größte Angriffswelle auf das Nachbarland seit Kriegsbeginn im Februar 2022 gestartet. In der Nacht und am Dienstagmorgen griffen Drohnen zehn russische Gebiete an, darunter auch weit entfernte wie Moskau, St. Petersburg und Nischnij Nowgorod.
Russischen Angaben zufolge habe die Flugabwehr den Großteil der Drohnen abgefangen. Trotzdem wurden im Gebiet Brjansk ein Tanklager und bei Nischnij Nowgorod eine Erdölraffinerie beschädigt, die für elf Prozent der russischen Benzin- und Kerosinlieferungen verantwortlich ist. In der grenznahen Gebietshauptstadt Belgorod schlugen Drohnen in einen Laden und in das Gebäude der Stadtverwaltung ein. Dabei sollen mehrere Personen verletzt worden sein.
Russische Kämpfer in ukrainischen Diensten
Zeitgleich mit den Drohnenangriffen sollen auch bewaffnete Kämpfer nach Russland eingedrungen sein. »Die Legion Freiheit Russlands, das Russische Freiwilligenkorps und das Sibirische Bataillon sind in die Gebiete Kursk und Belgorod im Rahmen einer gemeinsamen Operation vorgedrungen«, schrieb der in der Ukraine lebende Ex-Abgeordnete der russischen Duma, Ilja Ponomarjow, bei Telegram.
Teller und Rand – der Podcast zu internationaler Politik
Stephanie Schoell
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Als Erster hatte der Gouverneur der Region Kursk, Roman Starowojt, über Schusswechsel an der Grenze berichtet. »Sabotagetrupps haben den Versuch unternommen, durchzudringen, es gab einen Schusswechsel. Ein Durchbruch ist aber nicht gelungen«, schrieb Starowojt bei Telegram. Auch der Gouverneur des Gebiets Belgorod, Fjodor Gladkow, schrieb von Schusswechseln entlang der Grenze. Der für die Grenzsicherung zuständige Inlandsgeheimdienst FSB behauptete gegen Mittag, 100 Eindringlinge getötet und schwere Technik, darunter Panzer, zerstört zu haben.
Die Legion Freiheit Russlands wie auch das Russische Freiwilligenkorps behaupteten, mindestens ein Dorf eingenommen zu haben, und posteten Bilder und Videos von den vermeintlichen Kämpfen. Man »gehe zur Wahl«, schrieb die Gruppierungen mit Verweis auf den Urnengang am Wochenende, bei dem sich Wladimir Putin seine sechste Amtszeit als Präsident absegnen lässt. Wie auch die Angaben des FSB lassen sich die Behauptungen der Kämpfer nicht überprüfen. Allerdings waren beide Formationen, die aus russischen Staatsangehörigen bestehen, die für die Ukraine kämpfen, vor gut einem Jahr auf russisches Gebiet vorgedrungen, wurden jedoch schnell wieder zurückgedrängt. Für Aufsehen sorgte dabei vor allem das Russische Freiwilligenkorps, ein Sammelbecken russischer Nationalisten und Rechtsradikaler, die im Ausland leben.
Angriff ohne Auswirkungen auf den Krieg
Neu hingegen ist das bisher weitgehend unbekannte Sibirische Bataillon. Anders als die Legion Freiheit Russlands und das Russische Freiwilligenkorps ist das Sibirische Bataillon, in dem Männer aus Burjatien oder Jakutien kämpfen, Teil der ukrainischen Armee. Damit wären erstmals offiziell reguläre ukrainische Soldaten nach Russland eingefallen.
Während ukrainische Medien den Vorstoß nach Russland bejubeln und von einer geplanten Aktion zur Verunsicherung vor der Präsidentschaftswahl sprechen, hält sich die Regierung in Kiew mit Verlautbarungen bisher zurück. Die Einheiten würden autonom und selbstständig in Russland handeln, behauptete der Sprecher des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Andrij Jussow, in einem Kommentar.
Auswirkungen auf den Krieg werden die Drohnenangriffe und Schusswechsel nicht haben. Man kann davon ausgehen, dass Russland die Infrastruktur in wenigen Tagen repariert. Aus ukrainischer Sicht, so schreibt es unter anderem das Portal »Strana«, geht es viel mehr darum, den westlichen Partnern zu zeigen, dass man zu Schlägen in Russland fähig ist.
Selenskyj will keine Nato-Truppen
Auch vor dem Hintergrund der anhaltenden Diskussion über die Entsendung von Nato-Soldaten in die Ukraine ist Kiew bemüht, Stärke zu demonstrieren. In einem Interview mit dem französischen Fernsehsender BFM TV sprach Präsident Wolodymyr Selenskyj von einer verbesserten Situation an der Front. Ukrainische Soldaten hätten den russischen Vormarsch im Osten des Landes aufgehalten, behauptete Selenskyj. Sein Land brauche keine ausländischen Soldaten, so der ukrainische Präsident weiter. Ausbilder und technisches Personal seien jedoch immer willkommen.
Ab Juli darf sich die Ukraine auch über weitere finanzielle Hilfen freuen. Dann will die Europäische Union die ersten Gelder aus den Zinsen eingefrorener russischer Gelder an Kiew überweisen.
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