Deutsche Panzerhaubitzen in der Ukraine: Sie könnten ihre Munition bald über die Grenze nach Russland schießen.

Deutsche Panzerhaubitzen in der Ukraine: Sie könnten ihre Munition bald über die Grenze nach Russland schießen.

Foto: dpa/Daniel Löb

Es ist die nächste Eskalationsstufe in einem an Eskalationen reichen Prozess, und sie war zu erwarten: Am Freitag ließ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mitteilen, die Ukraine habe ab sofort die Erlaubnis, von Deutschland gelieferte Waffen auch gegen militärische Ziele in Russland einzusetzen.

Der Entscheidung war eine lange internationale Debatte vorausgegangen. Zuletzt hatte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Druck gemacht. Anders als mit dem Beschuss auf russischem Territorium liegender militärischer Ziele könne Kiew die von dort erfolgenden Raketenangriffe etwa auf Charkiw nahe der russischen Grenze im Nordosten der Ukraine nicht mehr angemessen abwehren, hatte er betont.

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Bisher hatten die USA sowie die anderen Nato- und die EU-Staaten offiziell darauf gepocht, dass gelieferte Munition und Raketen nicht auf russischem Gebiet zum Einsatz kommen dürften. So sollte verhindert werden, dass die westlichen Bündnisse direkte Kriegsparteien werden.

Die Argumentation, dass Angriffe auf russische Stellungen durch das ukrainische Militär vom Recht auf Selbstverteidigung gedeckt seien, übernahm nun auch das deutsche Kabinett. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte bei der Verkündung des Beschlusses, man sei »gemeinsam der Überzeugung, dass die Ukraine das völkerrechtlich verbriefte Recht« habe, sich gegen Angriffe zu wehren, die Russland in den letzten Wochen »von Stellungen aus dem unmittelbar angrenzenden russischen Grenzgebiet heraus vorbereitet, koordiniert und ausgeführt« habe. »Dazu kann sie auch die dafür gelieferten Waffen in Übereinstimmung mit ihren internationalen rechtlichen Verpflichtungen einsetzen; auch die von uns gelieferten«, so Hebestreit.

Für die Erwiderung russischer Angriffe aus dem Grenzraum kämen zum Beispiel die Panzerhaubitze 2000 und der Raketenwerfer Mars II infrage. Von den Haubitzen wurden bis Ende März 14 Stück zur Verfügung gestellt. Die selbstfahrenden Geschütze gelten laut Medienberichten als sehr effektiv und können Ziele in einem Umkreis von 30 bis 40 Kilometern erreichen. Eine erheblich größere Reichweite haben die Mars-II-Raketenwerfer, die ihre tödliche Fracht bis zu 84 Kilometer weit schießen können. Von ihnen hat die Bundesrepublik bislang fünf geliefert.

Die Bundesregierung hat mit ihrer Entscheidung offenbar auf einen entsprechenden Beschluss der US-Administration gewartet. Die hatte am Donnerstagabend bestätigt, dass sie Kiew die Erlaubnis erteilt habe, US-amerikanische Waffen in »begrenztem Umfang« gegen Ziele auf russischem Gebiet einzusetzen. Washington beschränkte die Zusage indes explizit auf Gegenschläge zur Verteidigung der Großstadt Charkiw, wie ein US-Regierungsvertreter betonte. Das ukrainische Militär solle in die Lage versetzt werden, gegen russische Streitkräfte vorzugehen, »die sie angreifen oder sich vorbereiten, sie anzugreifen«. Davon abgesehen bleibe das Angreifen von Zielen in Russland mit US-Waffen verboten.

Auf Ebene der Nationalen Sicherheitsberater hatte es zu Fragen des Einsatzes westlicher Waffen auf russischem Gebiet am Mittwoch und Donnerstag intensive Beratungen zwischen den USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland gegeben. Ob die Ukraine diese auch für Angriffe auf militärische Ziele in Russland nutzen können sollte, wird unter Nato-Staaten intern weiter kontrovers diskutiert. Die Ukraine fordert dies seit Längerem.

Die westlichen Waffen zielen bislang in erster Linie auf russische Stellungen in den von Moskau besetzten und im September 2022 zu russischem Gebiet erklärten Verwaltungsbezirken im Osten der Ukraine. Dort kamen sie bereits breit zum Einsatz. Sie trafen wiederholt auch zivile Ziele. Dabei wurden immer wieder Menschen getötet oder verletzt. Russische Medien berichteten derweil, dass westliche Waffensysteme auch schon bei den ukrainischen Angriffen auf die Region um die Region Belgorod nördlich von Kiew zum Einsatz kamen. Seit dem Frühjahr 2022 sind dort mehr als 140 Menschen durch den Beschuss ums Leben gekommen, davon an die 50 in diesem Jahr. Weite Teile der Region, die in etwa so groß ist wie Brandenburg ist, sind zerstört. Örtliche Behörden berichten von mehr als 5000 beschädigten Wohnungen und Privathäusern allein in der gleichnamigen Hauptstadt des Gebietes.

In Deutschland hat der vor der jeweils nächsten Eskalationsstufe in zahlreichen Medienberichten als »zögerlich« bezeichnete Bundeskanzler auch jetzt wieder dem Druck der eigenen Koalitionspartner wie auch der Oppositionsführerin CDU/CSU nachgegeben. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte während seines Deutschlandbesuchs am Montag und Dienstag vehement die Erlaubnis für die Ukraine, westliche Waffen auf russischem Gebiet einsetzen zu dürfen, eingefordert. Olaf Scholz hatte dem nicht widersprochen.

In der Ampel-Koalition war es zuletzt das bewährte Triumvirat von Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Anton Hofreiter (Grüne) und dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Roth, das am Mittwoch und Donnerstag in Interviews und Talkshows Eintscheidungen einforderte. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatten bereits vor längerer Zeit Offenheit für eine Aufhebung von Beschränkungen für den Einsatz der deutschen Systeme signalisiert.

Die einzige Forderung, die die Koalition bislang nicht gegenüber Scholz durchsetzen konnte, war die nach der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Diese haben eine Reichweite von 500 Kilometern und könnten somit von der Ukraine aus Moskau erreichen. Dagegen knickte der Kanzler in Sachen Lieferung von Kampfpanzern und F16-Kampfjets schließlich ein. Auch bei diesen hatte er lange vor der dadurch steigenden Gefahr einer Ausweitung des Kriegs gewarnt.

Nun steht die Lieferung erster F16-Bomber offenbar unmittelbar bevor. Die »Frankfurter Rundschau« berichtete am Freitag unter Berufung auf ein Interview des russischen Außenministers Sergej Lawrow mit der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Novosti davon. Lawrow sagte demnach, die F16-Maschinen seien »seit Langem das Haupttransportmittel im Rahmen der sogenannten gemeinsamen Nato-Atommissionen«. Daher sei deren Lieferung an Kiew als »bewusste Signalaktion der Nato im Nuklearbereich« zu verstehen.

Zugleich drohte Russlands langjähriger Chefdiplomat, dass auch Moskau jederzeit auf Massenvernichtungswaffen zugreifen könnte. Man hoffe aber, dass die russisch-belarussischen Übungen für den »Einsatz nicht-strategischer Atomwaffen« Russlands Gegner »zur Besinnung kommen lassen«. Lawrow behauptete zugleich, F-16-Bomber würden die Situation in der Ukraine nicht verändern: »Diese Flugzeuge werden zerstört, ebenso wie andere Arten von Waffen, die Nato-Staaten an die Ukraine liefern.«

Mit der Entscheidung des Kanzlers vom Freitag ist bislang noch unklar, welche Beschränkungen etwa zum Einsatz von Patriot-Luftabwehrsystemen weiter gelten sollen und welche nicht. Bisher durften mit Patriot-Raketen keine russischen Kampfflugzeuge im russischen Luftraum abgeschossen werden. So sollte verhindert werden, dass diese Flugzeuge Raketen oder Gleitbomben auf die Ukraine abfeuern.

Scharfe Kritik am Berliner Beschluss kam aus der Linkspartei und von Sahra Wagenknecht, Gründerin der nach ihr benannten Partei BSW. »Wenn Olaf Scholz solche Angriffe in Zukunft mit deutschen Waffen billigt, sind wir einem Dritten Weltkrieg beängstigend nahe«, sagte Wagenknecht der »Augsburger Allgemeinen« (Samstagausgabe). »Seit zwei Jahren wird eine rote Linie nach der nächsten überschritten und damit unser Land immer mehr in Gefahr gebracht«, warnte sie.

Vom Westen wird stets betont, die Ukraine müsse militärisch unterstützt werden, weil anderenfalls Russland weitere Länder und die gesamte EU angreifen könnte. Die ukrainischen Streitkräfte verteidigten mithin auch die Freiheit des Westens. Dass die Gefahr für westliche Länder, sich in einem Krieg mit Russland wiederzufinden, durch Entscheidungen wie die Erlaubnis zur Nutzung westlicher Waffen auf russischem Gebiet exponentiell wächst, wird dabei ausgeblendet. Darauf machte der Linke-Bundestagsabgeordnete Dietmar Bartsch aufmerksam. Mit dem Beschuss von Stellungen in Russland werde »grob fahrlässig die Sicherheit der Bundesrepublik« gefährdet, erklärte er am Freitag. »Jene, die gestern beteuert haben, es gehe ausschließlich um Defensivwaffen, um diese heute als Angriffswaffen freizugeben, rufen morgen danach, Nato und Bundeswehr an die Front zu schicken«, mahnte Bartsch.

Torsten Koplin, der friedenspolitische Sprecher der Linksfraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, findet es »abwegig anzunehmen, dass sich der Waffeneinsatz allein auf militärische Objekte begrenzen lässt«. Alle Erfahrungen aus globalen Konflikten hätten »längst das Gegenteil bewiesen«. Das beste Mittel, sich für die Verteidigung der Ukraine starkzumachen, sei, »alle Kraft und alle Bestrebungen für einen Verhandlungsfrieden einzusetzen«.

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