Brüssel. Der Nato-Gipfel in drei Wochen in Washington wirft seine Schatten voraus. Am Freitag kamen die Nato-Verteidigungsminister in Brüssel zum letzten Treffen vor dem großen Gipfel zusammen, um über die vielen entscheidenden Fragen für die zukünftige Sicherheit Europas zu beraten. Mit zwei großen Paukenschlägen wollen die Bündnispartner Anfang Juli ihr 75-jähriges Bestehen feiern: Eine milliardenschwere Ukraine-Strategie soll dem von Russland angegriffenen Land über viele Jahre Unterstützung garantieren, neue Verteidigungspläne dagegen die Fähigkeit des Bündnisses zur Abschreckung auf ein neues Niveau heben.

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„Ich bin absolut zuversichtlich, dass der Gipfel in Washington die unerschütterliche und starke Unterstützung der Nato für die Ukraine demonstrieren wird“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Rande des Treffens. Eine der Maßnahmen: Die Nato will auf dem Gipfel verkünden, dass sie die Koordinierung der Militärhilfe und Ausbildung ukrainischer Soldaten künftig selbst übernimmt. Das Hauptquartier mit etwa 700 Personen soll in Wiesbaden angesiedelt sein, wo schon jetzt US-General Christopher Cavoli federführend für die Waffenlieferungen zuständig ist. An Cavoli soll künftig ein Drei-Sterne-General der Nato berichten.

Verpflichtet sich die Nato zu 40 Milliarden Euro für die Ukraine pro Jahr?

Wenn es nach dem Nato-Chef geht, sollen sich die Bündnispartner zu 40 Milliarden Euro pro Jahr für die militärische Unterstützung der Ukraine verpflichten. Dies sei die Summe, mit der man schon in der Vergangenheit die Ukraine unterstützt habe. „Ich habe vorgeschlagen, dass wir diese Unterstützung als Mindestniveau so lange wie nötig aufrechterhalten und dass die Verbündeten diese Last fair untereinander aufteilen“, so Stoltenberg. Fair, damit meint der Nato-Chef eine Lastenverteilung entsprechend dem Bruttoinlandprodukt (BIP) der Länder. Die USA zahlen demnach etwa die Hälfte der militärischen Unterstützung, den Rest übernehmen die europäischen Verbündeten und Kanada.

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Schon vor dem Beschluss, der auf dem Gipfeltreffen in Washington offiziell verkündet werden soll, hat das Kleinrechnen der 40-Milliarden-Hilfe begonnen. Wichtig ist der Bundesregierung, dass sie ihre bilaterale Hilfe anrechnen kann und kein neuer Waffenfonds aufgelegt wird. Offen ist auch, ob es sich um „frisches Geld“ handelt, heißt es bei der Nato. So sei nicht ausgeschlossen, dass auch die einmaligen Kredite in Höhe von 50 Milliarden Euro, auf die man sich beim G7-Gipfel in dieser Woche verständigt hatte, berücksichtigt werden könnten. Allerdings ist nur ein Teil dieser G7-Kredite für militärische Hilfe vorgesehen. Stoltenberg machte deutlich, dass die 40 Milliarden Euro jährlich nur für Militärhilfe gedacht sind und die Verbündeten der Ukraine noch weitere Gelder für andere Zwecke in die Hand nehmen müssten.

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Hinter den Kulissen wird auch darum gerungen, wie man der Ukraine auf dem Washingtoner Gipfel sagen kann, dass sie noch keine Einladung in die Nato erhält. Nicht nur im Nato-Hauptquartier, sondern auch in der ukrainischen Regierung ist inzwischen allen klar, dass es in den nächsten Jahren keinen Beitritt der Ukraine geben wird. „Es ist noch zu früh, um Genaueres zu sagen, aber wir arbeiten an einer Sprachregelung, was die Mitgliedschaft der Ukraine betrifft“, sagte Stoltenberg. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte am Freitag eine Waffenruhe angeboten, wenn die Ukraine auf einen Nato-Beitritt verzichtet und ihre Truppen aus den annektierten Gebieten abzieht. „Es ist nicht an der Ukraine, ihre Truppen abzuziehen, sondern an Russland, seine Truppen aus dem besetzten ukrainischen Gebiet abzuziehen“, so Stoltenberg. Russlands Vorschlag zeige, dass es in Wahrheit die Ukraine kontrollieren wolle. „Das ist das eigentliche Ziel seit Beginn des Krieges.“

Neben der Ukraine-Hilfe stellt die Nato in Washington auch ihre eigene Verteidigung neu auf. Stoltenberg zufolge haben die Nato-Staaten nun 500.000 Soldaten in höchster Alarmbereitschaft und damit ihr ursprüngliches Ziel bereits deutlich übertroffen. Deutschland will 35.000 Soldaten stellen und geht „all-in“, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius am Freitag in Brüssel sagte. Auch die gesamte Marine und die Luftwaffe sind Teil der neuen Nato-Verteidigungspläne.

Doch wie bei der Ukraine-Hilfe gibt es auch bei der eigenen Abschreckung und Verteidigung im Bündnis Streit ums Geld. „Die Lasten für unsere gemeinsame Verteidigung müssen fair verteilt sein“, forderte Pistorius. „Ich kann für Deutschland sagen, dass wir unsere Hausaufgaben machen.“ Das 2-Prozent-Ziel wird Deutschland aufgrund des Sondervermögens voraussichtlich noch bis 2027 erreichen. Woher das Geld für die Bundeswehr in den Jahren danach kommen soll, ist offen. Die baltischen Nato-Staaten drängen derweil auf mehr Investitionen. „Die 2 Prozent sind nur ein Anfang“, sagte Lettlands Verteidigungsminister Andris Sprūds. Mehr als 20 Bündnispartner könnten auch 3 Prozent erreichen. Ob Deutschland aus seiner Sicht dazu gehört, ließ er offen. Angesichts der Sparvorgaben von Finanzminister Christian Lindner (FDP) sieht Berlin allerdings für Investitionen in Höhe von 3 Prozent des BIP keinen Spielraum.



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