Gleich am ersten Tag des Prozesses gegen Donald Trump in New York City wurde deutlich, wie schwierig es sein wird, überhaupt eine Jury zusammenzustellen. Am Montagnachmittag betraten nach allerlei Vorgeplänkel 96 potenzielle Geschworene den Gerichtssaal in Downtown Manhattan. Auf die Frage von Richter Juan Merchan, wer den Eindruck habe, in dem Verfahren nicht objektiv urteilen zu können, hoben mehr als vier Dutzend Befragte die Hand. Sie wurden von ihren Aufgaben entbunden.

In den kommenden Tagen gilt es, zwölf Geschworene und sechs Nachrücker auszuwählen. Anklage und Verteidigung müssen in jedem einzelnen Fall zustimmen. Sämtliche Kandidatinnen und Kandidaten stammen aus Manhattan, dem Gerichtsstand, wo der amtierende Präsident Joe Biden bei den Wahlen im Jahr 2020 mehr als 80 Prozent der Stimmen auf sich vereinigte. Dennoch ist es äußerst ungewöhnlich, dass sich gleich am ersten Tag mehr als die Hälfte der möglichen Geschworenen für befangen erklärt.

Trump-Fans oder Trump-Hasser?

Möglich ist allerdings auch, dass viele von ihnen keinerlei Interesse daran haben, die kommenden zwei Monate mindestens vier Tage pro Woche im Gericht zu sitzen, um einem kleinteiligen und langwierigen Verfahren beizuwohnen. Es gibt im New Yorker Frühling wahrlich schönere Orte in der Stadt als einen schmucklosen Raum im 15. Stock eines zuvörderst funktionalen Gerichtsgebäudes.

Und dass das Prozedere bisweilen ermüdend sein kann, ließ sich an Trump selbst beobachten. Der Angeklagte schloss bisweilen die Augen, zum Beispiel als Richter Merchant die Aufgaben der Geschworenen ausführlich beschrieb. Manchmal schien Trump kurz wegzudösen, bevor er sich mit einem Ruck wieder aufsetzte.

Bis die Jury gefunden ist, werden auf jeden Fall Tage vergehen, womöglich wird es Wochen dauern. Die Anklage will vermeiden, dass sich mittels falscher Angaben ein verkappter Trump-Fan einschleicht, der den Prozess unterminiert. Jedes Verdikt muss einstimmig sein. Kann die Jury sich am Ende nicht einigen, wird ein “mistrial” erklärt, ein Verfahren ohne Urteil, was für Trump einen Sieg bedeutete.

Die Verteidigung will sicherstellen, dass die Jury nicht aus zwölf Trump-Hassern besteht, die nur darauf warten, dem früheren Präsidenten eins auswischen zu können. Eine wirklich unabhängige, objektive Jury zu finden, dürfte derzeit in den so radikal gespaltenen USA zu den schwierigsten Aufgaben überhaupt gehören.

Trump steht vor Gericht, weil er kurz vor den Wahlen im Jahr 2016 der Pornodarstellerin Stormy Daniels eine Schweigegeldzahlung in Höhe von 130 000 Dollar zukommen ließ, damit diese über eine angebliche Affäre im Jahr 2006 schwieg. Anschließend habe er seine Bilanzen gefälscht, um diese Zahlung zu vertuschen.

Staatsanwalt Alvin Bragg, ein Demokrat, argumentiert, es handele sich bei der Zahlung um ein Vergehen gegen Wahl- und Steuergesetze. Die Bilanzfälschung sei also erfolgt, um genau jenes Vergehen unsichtbar zu machen. Diese Kausalität ist wichtig, denn in dem Verfahren wird es wesentlich darum gehen, ob Bragg beweisen kann, dass Trump seine Bilanzen mit dem Vorsatz gefälscht hat, den Verstoß gegen die Wahl- und Steuergesetze zu verschleiern.

Der Richter ist bekannt für straffe Prozessführung

Am Anfang des ersten Verhandlungstages standen am Montagmorgen Verfahrensfragen. Trumps Anwälte hatten erneut gefordert, Richter Merchan solle den Fall abgeben, weil seine Tochter einst für die Demokratische Partei gearbeitet hat. Merchan lehnte das ab, auch mit dem Hinweis darauf, dass eine Ethik-Kommission keinen Interessenkonflikt habe feststellen können.

Die Anklage wollte eine seit 2016 bekannte Tonbandaufnahme als Beweismittel zulassen, auf der zu hören ist, wie Trump sagt, wenn man berühmt sei, könne man Frauen an die Genitalien fassen. Zudem wollte sie im Prozess über all jene Frauen sprechen, die seit 2016 angaben, von Trump sexuell belästigt worden zu sein. Merchan wies das harsch ab, es handele sich um Gerüchte und Hörensagen. Der Richter ist bekannt dafür, dass er seine Prozesse straff führt, er will vermeiden, dass sie in alle möglichen Richtungen ausufern. Das könnte für Trump je nach Situation von Vorteil und von Nachteil sein.

Kurz trat Trump am Ende des ersten Tages vor die Medien. Zum einen klagte er in einer kurzen Rede darüber, dass er der bald anstehenden Zeugnisverleihung seines jüngsten Sohnes Barron nicht werde beiwohnen können, weil der Richter darauf beharre, er müsse im Gericht anwesend sein. Zum anderen monierte er, dass er wegen des New Yorker Verfahrens in der kommenden Woche nicht nach Washington D.C. reisen könne, wo der Supreme Court in gut einer Woche erörtert, ob Trump als ehemaliger Präsident womöglich generelle Immunität besitze. Seine Anwesenheit dort ist allerdings nicht nötig.

Mit einigen Pausen zog sich der erste Tag des Prozesses über sieben Stunden hin, um 16.40 Uhr war er vorbei. Manchmal schickten Trumps Leute während dieser Zeit in seinem Namen eine der unzähligen Mails an seine Verteiler, in denen er seine Gefolgschaft um Geld bittet. Eine begann mit einem Satz, der klang wie ein beinahe subtiler Witz. Der Satz lautete: “Lassen Sie mich ehrlich sein.”

Die Fakt-Checker der Washington Post haben ermittelt, dass Trump allein während seiner Präsidentschaft 30 573 falsche Statements abgegeben hat, ungefähr 21 am Tag. Es war dann wohl der zweite Satz der Mail, der eher der Wahrheit entsprach. Trump schrieb: “Ich weiß nicht, wie dieses Verfahren ausgeht.”



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