München – Auf dem Weg von Obersendling Richtung Laim könnten Autofahrer zur Zeit nervös werden. Die Fürstenrieder Straße verengt sich ab dem ersten Drittel um eine Spur wegen der kilometerlangen Baustelle zur Tram-Westtangente. Holzzäune geben zusätzlich das Gefühl von Enge. Es wird gehupt, Motoren heulen auf, Gerangel um Vorfahrt.

Fürstenrieder Straße in München: Tram-Baustelle macht Geschäftsleuten zu schaffen

Diese Baustelle zur Tram-Westtangente treibt die Geschäftsleute um, je näher man Richtung Norden zur Laimer Unterführung kommt. Kaum einer kann dem Tramprojekt etwas abgewinnen. Da ist zum Beispiel Rudi, Tätowierer, Jahrgang 1963, Fürstenrieder 37.

Seit fast 30 Jahren ist er hier Geschäftsmann, seit 22 Jahren mit seinem Tattoo- und Piercing-Laden, den er mit seinem Sohn betreibt. “Wenn die Tram fährt, wird das sicher gut. Aber die Baustelle wird dauern”, sagt er. Und Rudi ist noch einer der Mildesten beim Thema Baustelle.

Tätowierer an der Fürstenrieder Straße bleibt gelassen: “Habe viele Stammkunden”

Rudi gibt es hier in der Gegend schon lange. “Angefangen habe ich mit einem Fitnessstudio in den 80ern”, sagt er Aber seine Leidenschaft sei schon immer das Tätowieren gewesen. Mit 14 stach er einem Freund das erste Tattoo auf die Schulter, einen Falken, mit Näh-Nadel. Corona habe ihm zuletzt das Geschäft ziemlich vermiest. Inzwischen habe sich die Lage fast normalisiert. Ob seine Kunden während der Tram-Baustelle kommen werden?

Rudi's Tattoo-Studio an der Fürstenrieder Straße.
Rudi’s Tattoo-Studio an der Fürstenrieder Straße.
© Hüseyin Ince
Rudi’s Tattoo-Studio an der Fürstenrieder Straße.

von Hüseyin Ince

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Sie ärgert ihn schon, aber: “Ich mache mir da etwas weniger Sorgen”, sagt Rudi, “weil ich viele Stammkunden habe. Die Leute laufen ja nicht vorbei und denken sich, ach, ich könnte mir noch schnell ein Tattoo oder ein Piercing stechen lassen.” Einige seiner Kunden lassen sich über 20 Jahre hinweg ein großflächiges, teures Tattoo erstellen. Trotzdem: “Natürlich wird die Baustelle den Umsatz drücken, einige kommen mit dem Auto, kaum noch Parkplätze” sagt er. Bis aus Freising und Passau reisen sie an.

“Vermieter haben hohe Ansprüche”: Leerstand an der Fürstenrieder Straße

Und die Läden ringsum? “Hier steht einiges leer. Die Vermieter haben zu hohe Ansprüche”, weiß Rudi. Er zeigt zur anderen Straßenseite. Ein leeres Schaufenster. “55 Quadratmeter Ladenfläche. Toilette im Treppenhaus. Die wollen da 2.000 Euro kalt. Das muss man erst mal verdienen”, sagt Rudi. Und am Ende kämen oft Friseurläden rein.

Raumausstatter in zweiter und dritter Generation an der Fürstenrieder: Peter Fischer mit Tochter Angela Seifert.
Raumausstatter in zweiter und dritter Generation an der Fürstenrieder: Peter Fischer mit Tochter Angela Seifert.
© Hüseyin Ince
Raumausstatter in zweiter und dritter Generation an der Fürstenrieder: Peter Fischer mit Tochter Angela Seifert.

von Hüseyin Ince

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Einige Hausnummern nördlich ist ein deutlich älteres Traditionsgeschäft, Raumausstatter Fischer. Vorhänge, Plissees, Sonnenschutz, Vorhangstangen, alles maßgeschneidert. Sie sind wieder im Trend, sagt Chef Peter Fischer, weil vor allem Vorhänge angenehm schalldämpfend wirkten.

Eines der ersten Geschäfte nach dem Krieg: Nicht zum Feiern zumute

Er führt den Laden hier schon seit 1964, heute gemeinsam mit seiner Tochter Angela Seifert, die dritte Generation. Denn eröffnet hat den Laden sein Vater – und zwar 1949. “Es war eines der ersten Geschäfte in der Fürstenrieder Straße nach dem Krieg”, erzählt Fischer. Da fällt ihm auf: “Moment, 75 Jahre, das müsste man eigentlich feiern.”

Doch danach ist ihm momentan gar nicht. Die Holzzäune beschäftigen ihn sehr, die hier aufgestellt werden und wurden, um Bäume und Hausfassaden vor der Tram-Baustelle zu schützen. Er ist deutlich stärker von Laufkundschaft abhängig als Rudi. “Fünf Jahre sind angesetzt. Aber ganz ehrlich, das wird nie reichen”, sagt Fischer.

Der Inhaber eines Modeladens hat das Wintergeschäft aufgegeben und wartet auf bessere Zeiten.
Der Inhaber eines Modeladens hat das Wintergeschäft aufgegeben und wartet auf bessere Zeiten.
© Hüseyin Ince
Der Inhaber eines Modeladens hat das Wintergeschäft aufgegeben und wartet auf bessere Zeiten.

von Hüseyin Ince

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“Busse haben wunderbar funktioniert”: Geschäftsleute an der Fürstenrieder Straße besorgt

Er findet die Tram unnötig. Eine Buslinie mit Elektroantrieb habe es mal gegeben, die ihren Strom über eine Oberleitung eingespeist haben. Warum man nicht wieder einen E-Bus einrichten könne, fragt er sich. “Mindestens 70 Prozent der Leute hier lehnen die Straßenbahn ab”, sagt Fischer frustriert.

Mit den Bussen habe das doch wunderbar funktioniert, dazu die U-Bahn am Laimer Platz. Fischer fühlt sich überrumpelt von der Stadtpolitik. Allein die Anfahrt für die Lieferanten sei zu Beginn der Baustelle deutlich komplizierter. Etwa 80 Prozent seiner Kunden kämen mit dem Auto.

Fischer macht sich Sorgen, er erinnert sich: “Dabei war das hier mal eine hochwertige Einkaufsstraße mit dem Kaufhaus Beck, Karstadt, Fotoläden, Schmuck, Mode Kaiser und Sport Bittl, alle weg.” Alles habe man bekommen und nicht extra in die Innenstadt fahren müssen. Seine Tochter Angela Seifert erinnert sich an ein Kino nebenan.

So sieht sie größtenteils aus, die Fürstenrieder Straße: je eine Spur weniger, mit einer riesigen Grube für die Trambahn-Arbeiten in der Mitte.
So sieht sie größtenteils aus, die Fürstenrieder Straße: je eine Spur weniger, mit einer riesigen Grube für die Trambahn-Arbeiten in der Mitte.
© Hüseyin Ince
So sieht sie größtenteils aus, die Fürstenrieder Straße: je eine Spur weniger, mit einer riesigen Grube für die Trambahn-Arbeiten in der Mitte.

von Hüseyin Ince

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Umsatzeinbusse von 30 Prozent befürchtet: Geschäftsleute besorgt wegen Tram-Baustelle

“Da ist jetzt ein Biomarkt”, sagt sie, “dazu Telefongeschäfte, Fertigbäckereien und natürlich die vielen Friseure, bestimmt an die zehn auf einem Kilometer”. Das Tramprojekt spitzt Seifert ein wenig zu: “Werden die Leute dann in Zukunft mit der Straßenbahn vom Ratzingerplatz zum Friseur in der Fürstenrieder fahren?”, fragt sie.

Fischer rechnet mit einem Minus von etwa 30 Prozent während der Baustelle. Gerade die ältere Kundschaft werde Hemmungen haben, den Raumausstatter anzufahren. “Auch Stammkundschaft verläuft sich irgendwann”, weiß Fischer. “Wie soll da eigentlich mal ein Notfall-Fahrzeug durchkommen, wenn die Baustelle voll im Gang ist?”, fragt sich Seifert.

Fahrlehrerin und Fahrschul-Chefin Sophia Khoury mit ihren treuen Hunden Leo und Nila.
Fahrlehrerin und Fahrschul-Chefin Sophia Khoury mit ihren treuen Hunden Leo und Nila.
© Hüseyin Ince
Fahrlehrerin und Fahrschul-Chefin Sophia Khoury mit ihren treuen Hunden Leo und Nila.

von Hüseyin Ince

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Schwierig für Fahrschüler: Tram-Baustelle an der Fürstenrieder Straße in München

Auf der Westseite der Fürstenrieder Straße, Hausnummer 22. Sophia Koury (36) ist so direkt von der Baustellensituation betroffen wie kaum ein anderer. Sie führt die Fahrschule “Speed Limit”. Khoury ist erst seit 2022 hier. Mit dem massiven Tramprojekt scheint sie in der Form nicht unbedingt gerechnet zu haben. “Habe jetzt schon etwas weniger Kundschaft”, sagt sie. Einen Vorteil hat sie dadurch, dass sie die Fahrstunden in vielen Sprachen anbietet. Sie selbst spricht auch arabisch. Zwischendurch berät sie einen indisch-pakistanischen Kunden auf Englisch.

“Gegen 15 und 16 Uhr unter der Woche ist es hier katastrophal”, sagt Khoury. Die Fahrschüler – die meisten selbstredend totale Anfänger – hätten Schwierigkeiten, in den massiven Verkehr einzuscheren. “Sie kommen kaum aus dem Hinterhof raus, um in die Fürstenrieder einzubiegen”, sagt Khoury, im Notfall übernimmt sie dann kurz das Steuer. Und: “Zum Glück starten die Fahrprüfungen nicht hier.”

Das Tramprojekt versteht Khoury nicht. “Die Busse fahren aktuell im Zehn-Minuten-Takt. Man hätte doch auch eine weitere Buslinie einrichten können”, sagt sie. Und jetzt: Weniger Parkplätze, Betonpoller auf dem Seitenstreifen, eingeschränkte Parkzeiten. Sie habe großen Respekt vor den Busfahrern, bei den aktuell verengten Verhältnissen.

“Ich muss mir alle 1,5 Stunden einen neuen Parkplatz suchen. Wir haben zum Glück sehr nette Nachbarn. Sie dulden das Fahrschulauto oft im Innenhof”, erzählt Khoury. Und sie bekomme schon mit, dass bereits öfters die Seitenspiegel abgefahren werden. “Die sollte man hier immer einklappen”, weiß sie. Auch Khoury fühlt sich von der Entscheidung, die neue Tram-Westtangente zu bauen, schlicht überrumpelt.

BA-Chef Josef Mögele: “Völlig vernachlässigt”

Josef Mögele (74) ist seit 40 Jahren Mitglied des Bezirksausschusses (BA) Laim. Und seit 40 Jahren ist er der BA-Chef. Er ist wütend auf die die Stadtpolitik. “Man hat die Fürstenrieder Straße in den letzten Jahrzehnten völlig vernachlässigt”, sagt er. Mittlerweile sei die Straße nur noch eine Art Autobahn-Zubringer. Besonders den Münchner Stadtwerken wirft er Untätigkeit vor. Denn: “Die Hauptwasserleitung von Laim entlang der Fürstenrieder ist in die Jahre gekommen. Der Bezirk hat schon oft darauf hingewiesen, dass sie erneuert werden muss”, sagt Mögele.

Und weil die Leitung nur noch eine Genehmigung über drei oder vier Jahre habe, müsse das nun fast gleichzeitig mit der Trambaustelle geschehen – eine überflüssige Zusatzbelastung sei das für Anlieger und vor allem für Geschäftsleute. “Wenn ich Geschäftsmann an der Fürstenrieder wäre, ich würde sofort abschließen und bis zum Ende der Bauarbeiten warten”, sagt er und hat vollstes Verständnis für den Groll der Geschäftstreibenden.





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