Eine Trommelgruppe hat sich vor der gläsernen Halbkugel des Convention Centers in Kigali aufgebaut. Die Musiker*innen sorgen für Stimmung. Wer neben ihnen steht, wird vom Groove angesteckt und wippt mit. Alle sind voll froher Erwartung auf die Radprofis der Tour du Rwanda, die gleich an ihnen vorbeikommen. Im Gegensatz zu Rennen in Europa, wo Fans im Bestreben, das optimale Selfie zu schießen, auf die Straße drängen und die Sportler gefährden, bleiben in Kigali alle brav hinter einer imaginären Linie. Tritt doch einmal jemand nach vorn, sorgt die minimale Handbewegung eines der Polizisten an der Strecke dafür, dass die Person erschrocken ins Glied zurückweicht. Begeisterung paart sich mit Disziplin und Gehorsam.
Die Fahrer, die an der Tour du Rwanda Ende Februar teilnahmen, waren einhellig begeistert. Das Lob betraf neben dem Verhalten der Fans auch die Qualität der Straßen und die Professionalität der Ausrichtung. »Es ist einfach schön, hier zu fahren. Die Straßen in Ruanda sind in gutem Zustand. Das Land ist sicher. Für uns bedeutet das gute Bedingungen«, sagte Chris Froome, vierfacher Tour-de-France-Sieger, zu »nd«. Der in Kenia geborene Athlet hat Respekt vor der Aufbauleistung der ruandischen Gesellschaft nach dem Genozid. »Das Land hat eine fantastische Entwicklung genommen. In Sachen Infrastruktur gehört es zu den führenden auf dem gesamten Kontinent. Und dass es im nächsten Jahr noch die WM ausrichten wird, ist eine weitere Auszeichnung«, meinte Froome.
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Das ist die Bilderbuchseite der Sportnation Ruanda. Hochklassige Wettkämpfe können hier ausgetragen werden, sei es im Radsport, im Basketball – in einer Partnerschaft mit der NBA wird die Basketball Africa League veranstaltet – oder auch im Fußball. Gerade wird das Amahoro-Fußballstadion modernisiert und auf 45 000 Plätze ausgebaut. Gelegentlich stoßen die Bagger bei den Ausgrabungsarbeiten auf Leichen – grausige neue Zeugen der Massaker, die im Jahr 1994 auch in und um das alte Stadion stattfanden.
Dass Ruanda sich davon erholt hat, dass die Täter und ihre Angehörigen mit den überlebenden Opfern und den Hinterbliebenen der vielen Getöteten überhaupt zusammenleben können, ist eine enorme Leistung. Der Fußball spielte bei der Versöhnung eine Rolle. Freundschaftsspiele unmittelbar nach dem Genozid bauten Brücken zwischen der siegreichen Guerilla-Armee APR – damals meist Tutsi – und der weitgehend aus Hutu bestehenden Zivilbevölkerung. Auch Erfolge der Nationalmannschaft, zuletzt in der WM-Qualifikation mit einem 2:0-Sieg gegen Südafrika, den Dritten des Africa Cups 2024, schaffen ein Zusammengehörigkeitsgefühl.
Den Genozid überwinden
International wird der Fußball als Werbeplattform genutzt. Seit 2018 sponsert die staatliche Entwicklungsagentur Rwanda Development Board (RDB) den Premier-League-Klub FC Arsenal mit jährlich etwa zehn Millionen Euro. Die Kicker aus London laufen im Gegenzug mit der Werbebotschaft »Visit Rwanda« auf dem Ärmel in die Stadien und vor die Kameras. »Unser Engagement führte zu einer 30-prozentigen Steigerung der Touristenzahl aus Großbritannien«, verkündete eine Sprecherin des RDB stolz im Gespräch mit »nd«.
»Für Deutschland und Frankreich erhoffen wir uns jetzt Ähnliches«, fügte sie hinzu. Die Profis des französischen Erstligisten Paris St. Germain haben seit 2019 den Slogan »Visit Rwanda« auf ihren Trikots, seit Sommer 2023 die Spieler des FC Bayern München. »Unsere Kampagnen mit den Klubs haben einen Medienwert von etwa 500 Millionen Dollar für uns kreiert«, heißt es beim Kampagneninitiator RDB.
Das klingt prächtig. Und das gute Image, das mit der Fußballwerbung einhergeht, passt in das Bemühen, sich vom Klischee des Genozidlandes zu emanzipieren und die Touristenzahlen über das Niveau vor der Pandemie hinaus weiter zu erhöhen. Kritik gibt es dennoch. »Ruanda ist weiter eines der ärmsten Länder weltweit. Statt das Geld reichen Klubs zu geben, sollte es lieber ins Land selbst investiert werden und die Armut bekämpfen helfen«, sagt Carine Kanimba »nd«. Sie ist die Tochter von Paul Rusesabagina, jenem Hotelmanager, der während des Genozids über 1000 Menschen rettete und nach dessen Lebensgeschichte der Hollywoodfilm »Hotel Ruanda« gedreht wurde. Rusesabagina kritisierte später repressive Maßnahmen der Regierung unter Präsident Paul Kagame. Er ging ins Ausland, wurde 2020 nach Ruanda entführt und in einem Schauprozess zu 25 Jahren Haft verurteilt. Nur dank einer Protestkampagne, die Kanimba organisierte, kam er frei. Auch Victoire Ingabire, acht Jahre lang inhaftierte Oppositionspolitikerin, ist gegen den Sponsoring-Deal. »Das Geld sollte lieber für Infrastruktur, Bildung und Landwirtschaft eingesetzt werden, um direkt den Menschen zugute zu kommen«, sagt sie in ihrem Haus in Kigali.
Beide Frauen prangern die massive Einschränkung demokratischer Rechte an. »Opposition in Ruanda hat es schwer. Das System hier erlaubt keine Form von Kritik«, sagte Ingabire. Sie selbst lebte nach ihrer Haftentlassung lange unter Hausarrest. »Jetzt kann ich mich zwar frei im Land bewegen, aber ich stehe unter ständiger Beobachtung. Wenn ich in Kigali unterwegs bin, werde ich von Motorradfahrern verfolgt, auf dem Lande ist ein Auto hinter mir«, erklärte sie. Ihre Klage zur Wiederherstellung ihrer bürgerlichen Rechte wurde Mitte März von einem Gericht in Kigali abgewiesen. Ihr wird damit weiterhin das Recht verweigert, Mitglieder ihrer eigenen Partei auch nur zu treffen.
Carine Kanimba wies im Gespräch mit »nd« in London darauf hin, dass es Oppositionelle im Exil noch härter treffen kann: »Sie werden umgebracht, wie etwa der frühere Geheimdienstchef Patrick Karegeya, der in einem Hotelzimmer in Südafrika getötet wurde. Ruanda verübt transnationale Unterdrückung, versucht, Menschen, die im Ausland ihre Stimme erheben, mundtot zu machen.« Sie selbst wurde ebenfalls verfolgt. »Sie wollten mich einschüchtern, indem sie mich auf den Straßen von Brüssel verfolgten. Sie infizierten mein Telefon mit der Pegasus-Spähsoftware«, erzählt sie.
Kanimba fordert alle Beteiligten der Sportevents, die Ruanda organisiert, auf, die Menschenrechtsverletzungen anzusprechen. »Sie können nicht einfach ins Land kommen und sagen: ›Oh, Ruanda hat so wundervoll saubere Straßen.‹ Das wäre so, als würde man in ein Haus eingeladen, tränke dort einen Kaffee, und unter einer verschlossenen Tür quölle das Blut hervor. Dann einfach dort sitzen zu bleiben und nichts zu tun, bedeutet, dass weiter Gewalt und Unterdrückung herrschen«, mahnt sie. Die Aufgabe ist also, Ruanda bei der bemerkenswerten Entwicklung seit 1994 zu unterstützen, zugleich aber auf gravierende Mängel hinzuweisen und deren Beseitigung zu fordern. Dieser Verantwortung muss sich der internationale Sport stellen.
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