Das erste Konzert auf der Hauptbühne des Roadburn 2024 im niederländischen Tilburg am vergangenen Wochenende: schwere Beats, Bässe, die den ganzen Körper vibrieren lassen, keine Gitarren, Rap. Später im Set betritt eine Frau die Bühne und singt wie Nina Simone. Clipping heißt die Formation aus Los Angeles, verstärkt um die Sängerin Sharon Udoh, die an diesem Abend zum ersten Mal mit dem Trio auf der Bühne steht. Nicht unbedingt das, was man erwarten würde auf einem Festival, das vor 25 Jahren von zwei Stoner-Rock-Enthusiasten ins Leben gerufen wurde und schnell zu einem wichtigen Termin für tolerante Metal-Fans wurde.
Exklusive Shows, von Künstlerinnen und Künstlern kuratierte Programme, Ausstellungen und Podiumsgespräche flankieren das Programm, das zum einen Teil auf zwei Bühnen, zum anderen in diversen Räumen auf einem ehemaligen Eisenbahnareal zu erleben ist, wo dann das letzte Geld für »Merch«, also für T-Shirts, Platten und CDs (neuerdings auch vermehrt Musikcassetten) und derlei mehr ausgegeben werden kann. Der Begriff »Boutique-Festival« kursiert in jüngerer Zeit als Oberbegriff für Veranstaltungen dieses Zuschnitts die Runde, die nicht einfach die gerade angesagtesten Bands zusammenbuchen, sondern das Programm mit Umsicht und Sinn für größere Konzepte zusammenstellen. Dazu gibt es dann nicht selten Kontext in Form von Ausstellungen, Lesungen und Panels.
Beim Roadburn ging es diesmal unter anderem um die heilende Kraft schwerer Musik. Allzu ergiebig war es zwar nicht, was die Musiker und Musikerinnen von Agriculture, Death Goals und Ragana zum Thema beizutragen hatten. Die wesentlichen Erkenntnisse: Subkulturen wie die Hardcore- oder Metalszene können ein »safe space« für die sein, die sich in der Mehrheitsgesellschaft beispielsweise wegen ihrer sexuellen Orientierung nicht recht aufgehoben fühlen. Schwere Musik ermöglicht es, negative Gefühle auszudrücken. Und der Moshpit kann ein Ort der Katharsis sein. Interessant immerhin, dass laut Leah Levinson von Agriculture in der Black-Metal-Szene überproportional viele Transfrauen aktiv seien. Das Publikum des Roadburn ist zwar dann doch mehrheitlich männlich und nicht mehr ganz jung, aber eine Tendenz zur Diversität ist kaum zu übersehen, neben dem dominanten Szene-Schwarz blitzte es bunt und nonbinär.
Was seine Entsprechung im Programm hat. Das Roadburn versteht sich längst nicht mehr als Metal- oder Hardcore-Festival, sondern ganz allgemein als Ort für »heavy music«. Da passt dann auch ein Headliner wie The Jesus & Mary Chain ins Programm, die Mitte der 80er mit feedbackschwangerem Lärm-Pop reüssierten. Oder die Experimental-Pop-Band Xiu Xiu, die eigentlich aus dem Jazz kommende Gitarristin Hedvig Mollestad und der britische Folk-Neuerer Richard Dawson, die in diesem Jahr neben Bands mit drolligen Namen wie Thantifaxath, Wiegedood, Dödsrit oder Hexvessel gebucht waren.
Dass das Publikum die breite stilistische Streuung goutiert, durfte Dawson erleben, der seine Erleichterung darüber gestand, dass die verschrobenen Balladen, die der exzellente Gitarrist mit freien Exkursen aufbricht, auch bei einem Publikum ankamen, das ansonsten wohl einen eher konventionellen Begriff von Heavyness pflegt. Wobei in der Szene schon immer eine Neigung zu Folk im Allgemeinen und Musikerinnen wie Kate Bush und Suzanne Vega festzustellen war.
Am anderen Ende des Klangspektrums wühlten am Samstagabend Khanate im Frequenzkeller herum, die als zweite Hauptattraktion des diesjährigen Roadburn ankegündigt waren. Gegründet vor einem Vierteljahrhundert von Stephen O’Malley, der mit Sunn O))) wesentlich mitverantwortlich dafür ist, dass Heavy Metal in einem weiteren Sinn anschlussfähig für Hipster wurde, und dem umtriebigen Musiker und Produzenten James Plotkin, verlangsamt das Quartett, zu dem noch Schlagzeuger Tim Wyskida (Blind Idiot God) und Vokalist Alan Dubin (O.L.D.) gehören, Rockmusik fast bis zum Stillstand. Der erste Auftritt der Band seit knapp 20 Jahren belegte eindrücklich, dass seither wohl keine Band ähnlich konsequent so tonnenschwere wie abstrakt verwinkelte Riffs produziert, über denen Dubin zum Steinerweichen düstere Mantren kreischt.
Zwischen Dawson und Khanate passt freilich einiges: viel Black Metal, Gothic-Kitsch von Chelsea Wolfe, die elegische instrumentale Rockmusik der Grails, aber auch elektronische Entwürfe, ein Auftritt des britisch-iranischen Psychedelikers Kavus Torabi, eine Auftragskomposition des Ambient-Elektronik-Projekts Die Wilde Jagd für das renommierte niederländische Metropole Orkest, ein wenig Stoner Rock und noch einiges mehr.
Vielleicht am kathartischsten ist der erst am gleichen Abend angekündigte Auftritt der sambisch-kanadischen Transgender-Rapperin Backxwash. Ganz allein im langen weißen Kleid nimmt sie die Hauptbühne ein und erzählt über einem Soundtrack aus Metal, Hip-Hop, Industrial und noch einigen anderen Dingen von Begegnungen mit dem Teufel im Moshpit, von Traumata und der Sehnsucht nach Erlösung. Der Teufel im Moshpit ist einerseits natürlich eine komische Figur, aber zugleich auch nicht nur: In den Texten von Backxwash spielen schwarze Magie, Dämonen und derlei mehr eine wichtige Rolle mitsamt der Hoffnung auf Erlösung, die kaum erreichbar scheint. Ein kathartischer Auftritt. Was sich leider über The Jesus & Mary Chain nicht sagen lässt. Das weiße Lärmen ihres legendären Debüts »Psycho Candy« ist ohnehin längst in Indie-Rock-Bahnen eingehegt, der ehedem so betörende Kontrast zwischen honigsüßen Melodien und kreischenden Feedbacks wirkte verwaschen, die Intensität, die die Band einst verströmte, war zumindest an diesem Abend höchstens zu erahnen. Aber es kann ja auch nicht alles funktionieren.
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