Bad Sülze. Oberfeldwebel Thomas P. hat dem Tod schon mehrfach ins Auge geblickt: In Afghanistan fuhr der Bundeswehrsoldat über eine Mine, in Mali überlebte er einen Sprengstoffanschlag. Heute ist der 40-Jährige bei den Patriot-Flugabwehrraketen in Bad Sülze, Mecklenburg-Vorpommern, stationiert – vermeintlich weit weg von jeder Gefahr.

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Doch die zunehmenden Spannungen auf der Welt und der Krieg in der Ukraine lassen die Themen Kampf, Verwundung und Tod auch in der mecklenburgischen Provinz erschreckend aktuell erscheinen. Anlass ist der Jahrestag des sogenannten Karfreitagsgefechts, bei dem am 2. April 2010 drei Bundeswehrsoldaten gefallen waren.

Ihnen zu Ehren hat die Patriot-Staffel, in der Thomas P. dient, einen Gedenkmarsch organisiert. Solche Märsche gibt es bundesweit, dabei absolvieren die Teilnehmer 14 Kilometer mit 14 Kilo Marschgepäck, weil sich die Kämpfe zum 14. Mal jähren. „Es gibt für die Gefallenen nichts Schlimmeres, als wenn sie vergessen werden“, sagt Thomas P.

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Persönlich kannte er keinen der gefallenen Fallschirmjäger. Aber er war ein Jahr nach dem Gefecht selbst in Afghanistan im Auslandseinsatz. Als Späher in einem vorgeschobenen Posten hatte er regelmäßig Tuchfühlung zu potenziellen Angreifern. „Das war damals eine heiße Zeit“, erinnert er sich, ohne näher auf Details eingehen zu wollen.

Oberfeldwebel Thomas von der Flugabwehrraketengruppe 24 in Bad Sülze mit dem Aufnäher für den Gedenkmarsch: 14 steht für den 14. Jahrestag K für Karfreitag und 3 für die drei Gefallenen.

Oberfeldwebel Thomas von der Flugabwehrraketengruppe 24 in Bad Sülze mit dem Aufnäher für den Gedenkmarsch: 14 steht für den 14. Jahrestag K für Karfreitag und 3 für die drei Gefallenen.

Nur von einem Erlebnis berichtet er: „Unser Spähzug ist tagelang immer wieder über eine Mine gefahren.“ Doch zum Glück für ihn und seine Kameraden löste sie nicht aus. „Nachdem sie entdeckt worden war, stellten wir fest, dass die Batterie für den Zünder ausgelaufen war.“

Wäre das nicht so gewesen, hätte er die Explosion vermutlich nicht überlebt, ist Thomas P. überzeugt.

Thomas P. überlebt Sprengstoffanschlag in Mali

Dem Tod so nah gewesen zu sein, habe durchaus „ein gewisses Unbehagen“ ausgelöst, sagt er heute trocken. Doch damals habe ihn das schon beschäftigt. „Man muss weiter funktionieren, der Auftrag geht ja weiter.“ Eine große Hilfe sei die psychosoziale Betreuung bei der Bundeswehr gewesen. „Das hat früher schon gut funktioniert und ist heute noch besser geworden.“

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Der Schutzengel aus Afghanistan hat Thomas P. offenbar auch in Mali beigestanden: „Ich saß gerade beim Abendbrot, als ein mit 100 Kilo Sprengstoff beladener Wagen auf unseren Stützpunkt zuraste und nur 800 Meter von mir entfernt explodierte.“

Da ist es im beschaulichen Bad Sülze friedlicher: „Hier ist es ein bisschen ruhiger: mehr Technik, weniger Infanterie“, scherzt Thomas. Deswegen habe er sich aber nicht zur Flugabwehrraketengruppe (Flarak) 24 versetzen lassen, sondern weil der gebürtige Stralsunder wieder in seine alte Heimat zurückwollte.

Patriots sind im Ernstfall Waffen der ersten Stunde

Doch angesichts der angespannten Weltlage könnte es mit der Ruhe über kurz oder lang vorbei sein: „Die Flugabwehr ist im Ernstfall das Waffensystem der ersten Stunde, das hat auch der Ukrainekrieg wieder gezeigt“, weiß der Oberfeldwebel. „Und damit ist meine Einheit auch ein vorrangiges Ziel.“

Dass er damit auch zu den Ersten gehören könnte, die in einem Krieg fallen, befürchtet Thomas aber nicht. „Die Lage entwickelt sich ja über einen gewissen Zeitraum. So kann man sich auf den Feind einstellen.“ In einem Konflikt würden die Patriots zu ihren Einsatzorten verlegt und in das Netz der Flugabwehr eingebunden und so auch selbst geschützt werden. Zudem haben die Patriots einen Selbstverteidigungsmodus, bei dem sie gleich zwei Flugkörper auf anfliegende Ziele abfeuern, um sicherzugehen, dass wenigstens einer trifft.

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Bundeswehr „zwingt“ Soldaten zum Umgang mit Tod

Dennoch: Mit der Möglichkeit, im Krieg zu fallen, befasst sich auch Thomas: „Damit muss man sich immer auseinandersetzen, zumal die Bundeswehr uns quasi dazu zwingt.“ Denn zu jeder Einsatzvorbereitung bei der Bundeswehr gehört auch, dass die Soldaten über mögliche Gefahren aufgeklärt werden und ihren Nachlass regeln sollen.

Krisen-Radar

RND-Auslandsreporter Can Merey und sein Team analysieren die Entwicklung globaler Krisen im wöchentlichen Newsletter zur Sicherheitslage – immer mittwochs.

Halt gibt dem Oberfeldwebel bei diesem Thema seine Familie. „Keine Mutter schickt ihren Sohn gerne in Einsätze. Aber meine Familie steht komplett hinter mir und meinem Dienst bei der Bundeswehr.“

Thomas P. hörte, dass ukrainische Soldaten bewusst eigenes Artilleriefeuer auf ihre Position angefordert haben, als ihnen drohte, von den Russen überrannt zu werden – und so ihren eigenen Tod bewusst in Kauf nahmen. Ob er sich auch vorstellen kann, sich im Ernstfall zu opfern? „Das ist ein heißes Eisen. Wenn man die Ukrainer ein Jahr zuvor gefragt hätte, ob sie das tun würden, hätten sie es wahrscheinlich verneint.“

Dieser Artikel erschien erstmals in der „Ostsee-Zeitung“.



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