Die Zahl rechter Gewalttaten bleibt in Thüringen 2023 überdurchschnittlich, obwohl sie leicht sinkt. Auffällig ist der Anstieg im Kreis Sonneberg.
MAGDEBURG taz | Im aktuellen Bericht der Beratungsstelle Ezra zu rechter Gewalt sticht vor allem ein Detail heraus. Im Landkreis Sonneberg stieg die Zahl von 4 Angriffen im Vorjahr auf nun 20. Das sticht ins Auge, weil dort seit letztem Jahr ein AfD-Mann der Landrat ist. Der kleinste Landkreis Thüringens ist demnach 2023 ein Hotspot rechtsmotivierter Gewalt im Freistaat gewesen. Es gab dort zwar weniger Vorfälle als in Erfurt, aber mehr als in Jena, Weimar oder Eisenach. Es geht um Vermummte, die mit Steine warfen und den Hitlergruß zeigen, Körperverletzungen oder die Bedrohung von Kindern.
Jährlich veröffentlicht Ezra, wie viele Fälle von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sie bei der Beratung von Betroffenen registriert und bei denen sie ein solches Tatmotiv belegen kann. Am Mittwoch präsentierte Ezra die Statistik für das Jahr 2023.
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Franz Zobel, Projektleiter von Ezra, erklärte der taz vorab, dass die meisten der Vorfälle in Sonneberg sich während der Landratswahl zutrugen, die der AfD-Politiker Robert Sesselmann im zweiten Wahlgang gewann. „Hier wird deutlich, was die Erfolge der AfD nach sich ziehen“, folgerte Zobel. Wenn Gewalttäter:innen Unterstützung erführen, fühlten sie sich sicherer, die Hemmung sinke, die Zahl der Angriffe steige.
Der gebürtige Sonneberger Gastronom Marcel Rocho sagt, die rechte Tendenz habe es schon vor Sesselmann gegeben. Ihn erschrecke, wie gewöhnlich solche Taten in Sonneberg seien. Die schwarz-weiß-rote Reichsflagge gehöre quasi zum Stadtbild – ebenso wie ein „Heil“ beim Zuprosten. Er selbst engagiert sich im Landkreis gegen rechts, lud nach dem Wahlsieg von Sesselmann die Band Feine Sahne Fischfilet in seine Kellerbar, und war am Mittwoch bei der Präsentation der Ezra-Statistik dabei.
„Unterstützergemeinschaft rechter Gewalt“
Insgesamt registrierte Ezra 2023 weniger rechte Gewalttaten als im Rekordjahr 2022. Waren es da insgesamt 186 Fälle, verzeichnete die Opferberatung für das Jahr 2023 insgesamt 147 Angriffe. Dabei waren mindestens 291 Menschen direkt oder indirekt betroffen. In ebenfalls 85 Fällen richtete sich die Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.
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Ein Grund für die niedrigere Zahl könnte sein, dass es 2023 weniger Corona-Demonstrationen gab als im Vorjahr. 42 Angriffe ereigneten sich 2022 im Umfeld von Demonstrationen. 2023 waren es bei Demos hingegen nur 13 Gewalttaten. Für das aktuelle Jahr befürchtet Zobel allerdings, dass die Zahl wieder höher ausfallen könnte, wenn vor der Landtagswahl am 1. September erneut viel demonstriert wird.
Laut Zobel schafft die AfD dabei nicht nur das Umfeld für rechte Übergriffe, sondern heizt sie regelrecht an. Er verweist dabei auf eine Studie der Universität Princeton zu Hasskriminalität. Diese zeigt unter anderem: Fast die Hälfte der AfD-Wähler:innen befürwortet Fremdenfeindlichkeit gegen Geflüchtete, auch wenn diese in Gewalt umschlägt.
Seit dem Jahr 2015 sei die Zahl rassistischer Gewalt hoch – „mit erschreckender Kontinuität“, sagte Zobel. Rassismus war das häufigste Tatmotiv: in 85 der 147 Fälle. 2023 sei es dabei auch wieder vermehrt zu Angriffen gegen Asylunterkünfte gekommen. 2022 waren es 2, 2023 waren es 15 Angriffe. „Dabei nehmen wir die AfD als Stichwortgeberin wahr. Aber die demokratischen Akteure nehmen das auf.“ Als Beispiele zählte der Projektleiter Abschiebungen, Bezahlkarten oder den Arbeitszwang für Geflüchtete auf.
Doch es bleibt nicht nur bei Stichworten. Die Statistik von Ezra enthalte auch mehrere Fälle, „an denen Politiker:innen der AfD beteiligt waren“, sagte Zobel. Etwa der Landtagsabgeordnete Torsten Czuppon (AfD), der den Sprecher der Erfurter Ahmadiyya-Gemeinde, Suleman Malik, im Zug verbal angegriffen haben soll. Oder Robert Sesselmann, der im vergangenen Juni einen CDU-Wahlkampfhelfer bedroht haben soll. „Die AfD ist eine zentrale Unterstützergemeinschaft rechter Gewalt“, konstatierte Zobel.
Allerdings führt der Bericht von Ezra deutlich mehr Fälle auf, als in der entsprechenden Polizei-Statistik stehen. Laut der am Montag von Innenminister Georg Maier (SPD) präsentierten Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität (PMK), ordnen die Behörden zwar 1.835 Delikte dem politischen Bereich „rechts“ zu. Die meisten davon sind allerdings als Propagandadelikte erfasst. Lediglich 93 hat die Polizei als Gewaltkriminalität aufgenommen – also 54 weniger als im Bericht von Ezra.
Angriffe auf Lokalpolitiker:innen
Die Lücke zur Statistik politisch motivierter Kriminalität der Polizei erklärte Zobel der taz so: „Das liegt oft daran, dass die Beamten rechte Straftaten oft nicht als diese einordnen, weil das Erfassungssystem grundsätzliche Probleme aufweist.“ Die taz hat das Innenministerium in Thüringen dazu um Stellungnahme gebeten, die Antwort steht bisher noch aus.
Innenpolitikerin Katharina König-Preuss (Linke) kommentierte die geringere Zahl in der PMK nach der Pressekonferenz: „Hier braucht es meines Erachtens künftig einen besseren Abgleich.“ Sie plädiere für eine „nachvollziehbare Datenbasis nach Tatgemeinde und Tatdatum.“ In anderen Bundesländern gebe es das bereits.
Innenminister Maier hatte jedoch schon bei der Präsentation der PMK am Montag gesagt, ihn besorge die hohe Zahl an fremdenfeindlicher Hasskriminalität in Thüringen. Laut PMK waren 92 Personen „nichtdeutscher Herkunft“ von den insgesamt 162 Gewaltdelikten betroffen.
Doch die Hasskriminalität richte sich auch gegen Menschen, die andere politische Positionen vertreten. „Wer nicht meiner Meinung ist, ist mein Feind. Da hat sich etwas breitgemacht, das unserer Demokratie schadet“, sagte Maier. Besorgniserregend seien auch Übergriffe auf Politiker:innen im aktuellen Wahljahr.
Schon zu Beginn des Jahres erlebte Thüringen einen Brandanschlag auf einen Lokalpolitiker. In Waltershausen zündeten Unbekannte das Haus von Michael Müller (SPD) an. Er hatte kurz zuvor eine Demonstration für Demokratie und gegen Faschismus angemeldet.
Für Franz Zobel ist klar: „Wenn rechte Gewalt nicht konsequent verfolgt wird, dann sehen wir, dass es Nachahmer gibt.“ Er befürwortet ein Verbot der AfD. Gleichzeitig sei wichtig, Betroffene richtig zu unterstützen. Die Angebote von Ezra seien so gefragt, dass nicht mehr in allen Fällen eine zeitnahe Beratung möglich sei. Deshalb fordert Zobel: „Es braucht einen langfristigen Ausbau der Beratungsangebote.“