München – Seit vielen Wochen diskutiert Deutschland über die Bezahlkarte für Asylbewerber. Die Ampel-Koalitionäre wollen kommende Woche grünes Licht im Bundestag geben und die Karte mit einem Beschluss absegnen.
Das geht der Staatsregierung in Bayern zu langsam. Im Freistaat soll die Karte deshalb schon in wenigen Tagen vor der flächendeckenden Einführung in vier Modell-Landkreisen in Straubing, Traunstein, Fürstenfeldbruck und Günzburg erprobt werden.
Keine Überweisungen, wenig Bargeld: So funktioniert die Bezahlkarte
Der Plan von Freien Wählern und CSU: Die Sozialgelder in Höhe von 312 bis 500 Euro sollen künftig auf eine regulierte Karte mit Einschränkungen fließen. Bargeldauszahlungen sollen hingegen auf 50 Euro pro Monat limitiert werden, damit weniger Geld – etwa an Familienangehörige – ins Ausland fließe.
Auch Überweisungen im Inland und in andere Länder sollen zum Tabu werden. Akzeptiert wird die Karte den Landratsämtern zufolge ausschließlich in Geschäften des jeweiligen Landkreises. Damit werde auch Einkäufen im Internet ein Riegel vorgeschoben.
Darüber hinaus wollen die Landkreise in Bayern einen weiteren Schritt ergreifen, der einen neuen Aspekt in die Asyldebatte bringt. Die Landräte wollen Asylbewerber zur Arbeit für das Gemeinwohl verpflichten. Bis zu vier Stunden am Tag sollen sie ihre Flüchtlingsunterkunft auf Vordermann bringen und Grünanlagen, Friedhöfe sowie Straßen säubern.
Die rechtliche Grundlage dafür steht im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Demzufolge erhalten die Geflüchteten für jede Arbeitsstunde 80 Cent. 3,20 Euro könnten sie sich also jeden Tag beim Werkeln dazuverdienen – “soweit der Leistungsberechtigte nicht im Einzelfall höhere notwendige Aufwendungen nachweist, die ihm durch die Wahrnehmung der Arbeitsgelegenheit entstehen”, heißt es im Gesetzestext.
Arbeitsverpflichtung für Flüchtlinge: Landrat aus Ostdeutschland löst Debatte aus – Politiker aus Bayern schließen sich an
Ins Gespräch gebracht hat diese Arbeitspflicht vergangene Woche Christian Herrgott. Der CDU-Landrat aus dem thüringischen Saale-Orla-Kreis will Flüchtlinge zur gemeinnützigen Arbeit animieren, um sie dadurch schneller zu integrieren.
Einen ähnlichen Gedanken wie Herrgott verfolgen auch die Landräte in Bayerns Modellregionen. Darunter auch der CSU-Landrat Hans Reichhart aus dem Landkreis Günzburg. Bayerns ehemaliger Verkehrsminister will Flüchtlinge nicht nur zur Arbeit verpflichten, sondern auch ihre Leistungen kürzen, wenn sie sich weigern. “Ich mach’ da keinen Hehl draus: Wir stellen uns diese Frage, aber jetzt führen wir erstmal die Bezahlkarte ein und gehen dann den zweiten Schritt”, sagt Reichhart zur AZ.
Auch ohne die Initiative der Bundes- und Staatsregierung hätte der Landrat die Bezahlkarte im Landkreis Günzburg eingeführt. Dadurch könne auch die Akzeptanz gegenüber Flüchtlingen steigen, meint Reichert. “Sonst verlieren wir vollständig den Rückhalt in der Gesellschaft.”
Außerdem spiele es für Menschen, die aus Not geflüchtet sind, eine geringe Rolle, ob sie Bargeld oder eine Bezahlkarte erhalten. Und wenn doch: “Keiner wird gezwungen, Asyl in Deutschland zu beantragen. Ich kann das auch in Österreich machen.”
“Staatsregierung verhindert Integration”: Bayerischer Flüchtlingsrat übt starke Kritik
Der Bayerische Flüchtlingsrat kritisiert diese Haltung. “Für uns ist diese Debatte nichts anderes als blanker Hohn”, sagt die Mitarbeiterin Franziska Schmid aus Nürnberg zur AZ. Die Staatsregierung würde seit Jahren “alles unternehmen”, um Integration zu verhindern.
Zahlreiche Asylbewerber dürfen Schmid zufolge nicht arbeiten, Ausländerbehörden seien bei der Vergabe von Arbeitsgenehmigungen restriktiv. Deshalb sei es “Unfug”, dass Flüchtlinge zur Arbeit verpflichtet werden, wenn sie kein reguläres Arbeitsverhältnis beginnen dürfen.
Auch die Diskussion über die Bezahlkarten ist laut Schmid nicht zielführend. “Das sind keine politischen Lösungen, sondern das sind Scheindebatten, die gefahren werden, um der AfD hinterherzulaufen.” Dabei sei es durchaus möglich, dem Druck von rechts standzuhalten, “aber die Ampelregierung und die Staatsregierung haben sich entschlossen, lieber nachzugeben und Öl ins Feuer zu gießen”.
Und das obwohl die Bezahlkarte Schmid zufolge nicht mehr als ein “innenpolitisches Signal” ist. Dadurch sollten die vermeintliche Handlungsfähigkeit suggeriert und auch das Recht auf Selbstbestimmung von Geflüchteten untergraben werden.
Obwohl sie, wie Schmid meint, gar nicht genug Bargeld bekommen, um große Summen ins Ausland zu schicken. “Wer für sich selbst beschließt, so sparsam zu sein, dass von diesem Geld dann noch etwas übrig bleibt, um das erkrankten Familienmitgliedern zu schicken, wieso dürfen das diese Leute dann nicht selbst entscheiden?”
“Dafür sind die Gelder unserer Steuerzahler nicht da”: Landrat will Geldflüsse ins Ausland stoppen
Siegfried Walch (CSU) aus Traunstein ist genau gegenteiliger Meinung: “Dafür sind die Gelder unserer Steuerzahler einfach nicht da”, sagt der Landrat zur AZ. “Wir müssen als Rechtsstaat dafür sorgen, dass wir die Gelder so verwenden, wie es der Gesetzgeber vorsieht.”
Zudem ist Walch einen zweiten Schritt gegangen und hat mehr als 80 Flüchtlinge zur gemeinnützigen Arbeit verpflichtet. Die 80 Cent, die diese als Entschädigung pro Stunde erhalten, seien “völlig ausreichend”. Denn Asylbewerbern kämen auch zahlreiche andere Leistungen zugute.
Außerdem könne man regulär arbeiten. Laut Walch gibt es kaum Arbeitsverbote. Von den 3500 Flüchtlingen und Asylbewerbern sei lediglich eine Person von einem Arbeitsverbot betroffen. Trotzdem müssen Geflüchtete oft lange Prüfprozesse bis zur Erteilung einer Arbeitserlaubnis durchlaufen. Erst nach vier Jahren benötigen sie keine Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit mehr.
Anfrage von Christiane Feichtmeier: Keine Zahlengrundlage zu Geldflüssen von Asylbewerbern
Statt der Debatte um gemeinnützige Arbeit will die SPD-Landtagsabgeordnete Christiane Feichtmeier, dass die Asylbewerber in “richtige Jobs” kommen. “Wir stellen die so dar, als ob sie arbeitsscheu wären”, sagt sie zur AZ. Die Arbeit für das Gemeinwohl sei zwar auch ein guter Vorschlag, eine Arbeitspflicht sieht sie jedoch kritisch.
Bei der Diskussion um die Bezahlkarte fehlt Feichtmeier eine Zahlengrundlage. Dass Menschen so viel Geld ins Ausland schicken, sei gar nicht belegt, sagt sie. Das geht auch aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine ihrer Anfragen im Landtag hervor. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verwies darin auf Schätzungen zu Rücküberweisungen in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro ins Ausland.
Der Haken: Aus Herrmanns Stellungnahme geht nicht hervor, ob die Überweisungen wirklich von Flüchtlingen oder Berufstätigen getätigt wurden. Es handele sich aber um “sehr relevante Bezüge”, heißt es in dem Schreiben.
Landrat befürwortet Idee von gemeinnütziger Arbeit: Asylbewerber könnten etwas “zurückgeben”
Für Landrat Thomas Karmasin (CSU) aus Fürstenfeldbruck ist die Situation auch ohne Zahlen eindeutig: “Wir sehen als Praktiker vor Ort alles. Wir wissen, dass viele Menschen, die Auszahlungen bekommen, als erstes Fotos vom Bargeld nach Hause schicken”, sagt der Präsident des Bayerischen Landkreistags zur AZ. Ähnliche Erfahrungen, dass zahlreiche Gelder in die Heimatländer fließen, habe auch Reichhart durch Gespräche vor Ort gemacht.
Insgesamt sieht Karmasin die Lage trotzdem weniger dramatisch. Mit der Bezahlkarte blieben die Einschränkungen gering. Auch Arbeitsverpflichtungen seien schon lange möglich. “Das finde ich gut, weil die Asylbewerber für die große Unterstützung so auch etwas zurückgeben können.”