Am 15. März 2019 wurden die Neuseeländerinnen und Neuseeländer bis ins Mark erschüttert. Im ansonsten eher ruhigen Christchurch auf der Südinsel des Landes tötete ein rechtsextremer Terrorist in zwei Moscheen 51 Menschen. Die Anschläge beschäftigten die Nachrichten weltweit über Tage hinweg – nicht zuletzt auch, da die damalige neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern mit Empathie und Entschlossenheit reagierte. Sie änderte umgehend die Waffengesetzgebung des Landes und rief den sogenannten „Christchurch Call“ ins Leben – mit dem sie seitdem gegen Online-Extremismus kämpft.

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Welche tragende Rolle die Kommunikation und der Austausch des Attentäters im Internet spielte, zeigen aktuell nun auch vier Wissenschaftler der University of Auckland auf. Ihre Forschungsarbeiten dokumentieren, dass der Mann bereits fünf Jahre vor der eigentlichen Tat in öffentlichen Foren im Internet postete und damit ins Visier der Behörden geraten hätte können. Ziel ihrer Dokumentation sei es, „ähnliche Angriffe zu verhindern“, schrieben die Forschenden in einem begleitenden Artikel im akademischen Magazin „The Conversation“. Es gehe darum, besser zu verstehen, „wie sich solche Personen verhalten und wie sie entdeckt werden könnten“.

Eindeutige Spuren hinterlassen

Aus den Analysen der Forscher lässt sich erkennen, dass der Täter, der inzwischen in einem Hochsicherheitsbereich im Gefängnis in Auckland eine lebenslange Haftstrafe absitzt, im März und April 2018 über einen Zeitraum von sechs Wochen dreimal Waffen gekauft hat. Gleichzeitig postete er zweimal öffentlich auf dem Internetforum 4chan über seine Pläne für rassistisch motivierte Gewalt und verherrlichte dabei den Täter eines ähnlichen Angriffs. Damit habe der Attentäter „nicht nur seine Gewaltpläne ‚durchsickern lassen‘“, sondern er habe dies genau in dem Moment getan, als er Waffen dafür kaufte, so die Forscher.

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Im Juli und August wurde der Terrorist dann mit Schussverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert und begann unter dem Benutzernamen Mannerheim – der Name eines finnischen nationalistischen Führers, der dafür verehrt wurde, die Kommunisten im Bürgerkrieg des Landes besiegt zu haben – online Waffen zu verkaufen. Außerdem machte er seiner Wut über die Präsenz von Moscheen in Städten auf der neuseeländischen Südinsel Luft und behauptete in einem Post, eine davon habe eine Kirche ersetzt. Als ihm in einem Kommentar vorgeschlagen wurde, diese Stätten in Brand zu setzen, antwortete er: „bald“. Wieder einen Monat später versuchte er, Waffen auf dem Online-Marktplatz TradeMe zu verkaufen, wobei er in seinem Benutzernamen den Begriff „Vierzehn Wörter“ verwendete, eine Verschleierung eines nationalistischen Slogans, der von einem Neonazi in den USA geprägt worden sein soll.

Extremisten über Zugehörigkeitsgefühl schaffen

Vor allem in einem Bereich des 4chan-Forums fand der Attentäter über die kommenden Monate hinweg dann eine Art gleichgesinnte Community. Hier interagierte er über lange Zeiträume mit anderen und hatte offensichtlich das Gefühl, viele von ihnen seien seine Freunde geworden. Der Bereich des Forums schaffe „ein Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl“ und trage dazu bei, „Extremisten auf direkte und indirekte Weise zu schaffen“, schlussfolgerten die Wissenschaftler.

July 22, 2022 - Marine Corps Base Camp Lejeune, North Carolina, USA - U.S. Marines with II Marine Expeditionary Force attend the Basic Analytic Wargaming Course on Marine Corps Base Camp Lejeune, North Carolina, July 22, 2022. The BAWC is a 5-day course that provides students a hands-on experience with designing, developing, executing, and analyzing wargames. Wargames are a form of strategy game and essential to applying Marine Corps concepts of the 21st century, replicating or creating military scenarios that assists military personnel to train the mind in the art of strategic thinking. (Credit Image: © U.S. Marines/ZUMA Press Wire Service/ZUMAPRESS.com

Wargaming als Militärtrend – können Spiele Kriege verhindern?

Kriegsspiele erleben gerade eine Renaissance in Militärkreisen. Simuliert werden russische Angriffe im Baltikum, ein Kampf um Taiwan und sogar Atomschläge. Das helfe, Kriege zu vermeiden, sagen die Befürworter – doch die Spiele können auch den Anreiz zur Gewaltanwendung erhöhen.

Die anonymen Online-Identitäten, die der Attentäter verwendete – von denen eine bekannt war und die andere von den Forschern im Rahmen der Studie identifiziert wurde – förderten laut der Wissenschaftler Verhaltensweisen, die fehlen würden, wenn die Identität des Posters bekannt wäre. Denn: Anonymität sei „frustrierend für diejenigen, die ‚jemand sein‘ wollen und sich nach Respekt und Bekanntheit sehnen“.

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Verherrlichung von Gewalt

Die Forscher dokumentierten zudem, wie die anonymen Nutzer auf Verbrechen wie einen Terroranschlag, eine Schießerei in einer Schule oder andere gewalttätige Ereignisse reagierten. So würden die Nutzer derartige Vorkommnisse in sogenannten „Happening“-Threads feiern, die „länger, emotionaler“ und dabei auch „erwartungsvoll“ seien: „Viele Benutzer glauben, dass dieses Ereignis die Gesellschaft endgültig in gewalttätiges Chaos und Rassenkrieg stürzen wird“, so die Forscher.

Letztendlich seien die verschiedenen Dynamiken eng miteinander verbunden. Für diejenigen, die in dem Forum nach Anerkennung und Status strebten wie der Christchurch-Attentäter sei „die aufgeregte Aufmerksamkeit und Verehrung, die denjenigen zuteilwird, die öffentlichkeitswirksame Gewalt verüben“, eindeutig der Weg, um den Respekt ihrer Gleichgesinnten zu erlangen. Diese Feststellung sei „erschütternd“, so die neuseeländischen Forscher. Sie ließe aber erkennen, dass einige Täter aus dem rechtsextremen Spektrum bereits durch den Gewinn von Respekt in ihrer Online-Community motiviert würden.



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