Einen „Bau-Turbo“ hatte die Ampelregierung versprochen. 400.000 Wohnungen im Jahr sollten neu gebaut werden, um die akute Wohnungsnot zumindest zu lindern. Wahrscheinlich an keinem Punkt hat die Regierung so gnadenlos versagt.
Tatsächlich werden nicht mehr Wohnungen gebaut, sondern immer noch weniger. Da ist es im wahrsten Sinn mehr als aufregend, was SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert zu dem Desaster zu sagen hat. Der ARD-Talk „Hart aber fair“ gibt die Antworten.
Schwarzer Peter Nr. 1: Schuld ist – die böse Koalition
Gleich zu Beginn muss sich der SPD-Generalsekretär ein SPD-Wahlplakat vorhalten lassen. Darauf zu sehen ist Bundeskanzler Olaf Scholz. Dazu steht geschrieben: „Jetzt faire Mieten wählen – Scholz packt das an“.
Wer aber faire Mieten wählen wollte, kann Scholz wegpacken. „Hat er mit dem Anpacken schon angefangen?“, fragt Moderator Louis Klamroth. Und allen Ernstes gibt Kevin Kühnert zur Antwort ein schlichtes „Ja“. Dieser klaren Bestätigung schiebt er Schwammiges hinterher. „In Wahlkämpfen“, sagt er, „gehen Parteien mit ihren ureigensten Portionen, äh: Positionen ins Rennen.“
Der Versprecher ist hübsch. Seine Botschaft aber ist klar: Die Koalition ist schuld. Und Kühnert legt noch nach: „Ich nutze diese Gelegenheit, die FDP anzumahnen.“
Schwarzer Peter Nr. 2: Schuld ist – die Union
Das Ergebnis? Betroffene kommen zu Wort. Eine Alleinerziehende mit zwei Teenager-Kindern berichtet, dass an ihrem Esstisch nur genau drei Personen Platz haben. Ein Paar lebt mit zwei Kindern in zwei Zimmern, alle vier Familienmitglieder schlafen in einem Zimmer. Das Ergebnis, und das sagen beide: „Wir haben keinen Besuch.“
Der Wohnungssuchende ist selbst SPD-Mitglied. Er bezweifelt, dass ihm seine Partei eine Hilfe bringen konnte. Die Mietpreisbremse? Sie nützt niemandem, glauben die Talk-Gäste. Mit einer Ausnahme: Kevin Kühnert.
Der SPD-Generalsekretär spricht von „Defiziten, teilweise großen Defiziten.“ Aber: Man müsse ja mit Koalitionspartnern leben – damals mit der Großen Koalition. „Wir müssen die Lücken schließen“, fordert Kühnert. Und er fügt die Spitze hinzu: „Mit der FDP hätten wir vielleicht erkenntnisreiche Gespräche führen können.“
Schwarzer Peter Nr. 3: Schuld ist – sogar die SPD
Das Team von „Hart aber fair“ verwirklicht eine hübsche Idee. Auf den Studioboden zwischen den Diskutanten blendet es Zahlen ein. Mietpreissteigerung Wuppertal von 2014 bis 2022: plus 48,1 Prozent. Leipzig: plus 17,4 Prozent.
Gab es nicht den Versuch einer Mietpreisbremse? Gab es. Aber dazu nimmt SPD-Bundesbauministerin Klara Geywitz die Mieter in die Pflicht, die sollten sich doch bitteschön selber kümmern, dass die eingehalten wird. Wie sagt die SPD-Frau? „Wir haben keinen Babysitter-Nanny-Staat.“
Diese Unverschämtheit, dass Mieter gewickelt, gefüttert und im Kinderwagen ausgeschoben werden sollen, geht dann auch Kevin Kühnert zu weit, viel zu weit. „Nein, das würde ich nicht so bezeichnen“, sagt er und fügt hinzu: „Das hat nichts mit Nanny-Staat zu tun, natürlich wirken wir auf die Mietbildung ein.“
Das allerdings sieht Hermann-Josef Tenhagen als Fachjournalist ganz anders. Er vergleicht die tatsächliche Lage mit einer Tempo-30-Zone, in der sich auch niemand an die Geschwindigkeitsbeschränkung hält, wenn die nie kontrolliert wird. Tenhagen im Klartext: „Wenn geltende Gesetze nicht eingehalten werden, dann muss sich der Staat kümmern.“ Und bei der Mietpreisbremse: „Da gibt es nicht den Verkehrspolizisten.“
Schwarzer Peter Nr. 4: Kühnert nutzt jeden Versprecher – auch beim Moderator
400.000 Wohnungen sind versprochen, maximal 225.000 Wohnungen werden gebaut. Louis Klamroth greift die Zahlen auf. „Würde eine Regierung unter Friedrich Merz 400 Wohnungen im Jahr schaffen?“, verspricht sich der Moderator. Kühnert nutzt den Fehler sofort: „400 Wohnungen würde eine Regierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz bestimmt schaffen.“
Nach diesem Ablenkungsmanöver beharrt er aber auf der Zahl. „Das war kein Werbe-Gag“, sagt der Generalsekretär. 400.000 Wohnungen habe den Bedarf wiedergegeben, und der sei eher größer geworden. Die Lösung? Gibt es nicht. „Wir können nicht im Bundestag die Zinspolitik wegbeschließen.“
Gegen Ende der Sendung muss sich Kevin Kühnert noch ein Zitat aus dem Jahr 2019 vorhalten lassen. In einem Zeitungs-Interview hatte er sich festgelegt: „Ich finde nicht, dass es ein legitimes Geschäftsmodell ist, mit dem Wohnraum anderer Menschen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Jeder sollte maximal den Wohnraum besitzen, in der er selbst wohnt.“
Fünf Jahre später will sich der SPD-Generalsekretär nicht von dem distanzieren, was er einst als Juso-Vorsitzender formuliert hatte: „Ich habe keine gespaltene Persönlichkeit.“ Immerhin gesteht er in seiner neuen Rolle einer Regierungspartei zu, dass sich ja viele Menschen Wohnraum für die Altersvorsorge zugelegt haben. Da sei es dann schon „in Ordnung, mit Wohnraum Geld zu verdienen“.