Vor kurzem erhielt ich eine E-Mail von einem Leser meines Buches „Ich bin Ostdeutsch und gegen die AfD“. Er wundere sich darüber, schreibt er, dass eine Frau aus Ostdeutschland (er nennt es Mitteldeutschland) ein Buch gegen die AfD schreibe.
Das wiederum verwunderte mich. Denn nicht nur haben Frauen jeden Grund, gegen die AfD zu sein. Auch schrieb er mir ja explizit, dass er ein westdeutscher AfD-Sympathisant sei, so dass es ihm ja vertraut sein müsste, dass die AfD auch in den westlichen Bundesländern gut ankommt.
Pünktlich zu Ostern teilte er mir seinen Leseeindruck mit: „Ihr Ansatz, tatsächliche oder vermeintliche ‚Ungerechtigkeiten‘ oder ‚Diskriminierungen‘ offenzulegen, um sie damit letztendlich zu beseitigen, führt meines Erachtens in ein Terrorregime, bei dem jeder Satz, ja jeder Gedanke schon strafbewehrt sein kann.“
Auf meine Nachfrage, was er dagegen haben könne, dass ich gegen Diskriminierung sei, antwortete er: „Ich habe überhaupt nichts dagegen, sich gegen Diskriminierung einzusetzen. Und Frauen sind zumeist das stärkere Geschlecht, allein qua Schwangerschaft und Entbindung.“
Die AfD ist eine Partei des Mannes – des weißen Mannes
Und da war es wieder, das AfD-Paradoxon: Zum einen zu behaupten, dass Frauen gar nicht diskriminiert werden, nur, um sie noch im gleichen Satz auf Mutterschaft zu reduzieren – und jede Kritik daran zu kriminalisieren.
Die AfD gibt sich gern als „Partei des kleinen Mannes“? An der damit gemeinten Bürgernähe ist aber nichts dran. Die AfD vertritt neoliberal die Interessen von Wohlhabenden. Was aber stimmt, ist, dass die AfD eine Partei des Mannes – des weißen Mannes – ist. Dabei sind die Remigrationsagenda und die Rolle der Frau als Gebärmaschine des deutschen Volkskörpers zwei Seiten der gleichen Medaille.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts spricht der Rassismus davon, dass sich ‚höhere Rassen‘ der ‚niederen‘ erwehren sollen. Einer vermeintlichen Degeneration der „weißen Rasse“ sei entgegenzuwirken. Dabei setzten Rassentheoretiker wie Richard Chamberlain auf die ‚arische Rasse‘, welche er in Deutschland verortete.
Dem ‚Schutz‘ dieser dienten antisemitische und rassistische Gesetzgebungen sowie eugenische Maßnahmen, die im Nationalsozialismus im Holocaust mündeten. Auf der anderen Seite der Medaille ging es darum, die Fortpflanzung des deutschen Volkes zu gewährleisten. Der Nationalsozialismus setzte diesbezüglich auf einen Mutterschaftskult. Vier Kinder pro Frau waren das staatlich verkündete Wunschsoll, und eine berufstätige Frau offiziell ein Schandfleck der Familie.
In den Worten Adolf Hitlers klingt das so: „Die Welt der Frau ist, wenn sie glücklich ist, die Familie, ihr Mann, ihre Kinder, ihr Heim“. Zum Gesamtbild gehört es, dass Frauen sexuell attraktiv und verfügbar sein müssen, weswegen etwa Vergewaltigung in der Ehe bis 1997 kein eigenständiger Straftatbestand war.
Was die AfD über Familien sagt, klingt harmloser, als es ist
Die AfD spricht ebenfalls von einer Degenerationsgefahr für das deutsche Volk. Im Parteiprogramm heißt es: „Den demografischen Fehlentwicklungen in Deutschland muss entgegengewirkt werden.“ „Remigration“ und ein konservatives Familienmodell sind dabei komplementär verfolgte Ziele.
Dieses wird im Parteiprogramm wie folgt zusammengefasst: „Die Alternative für Deutschland bekennt sich zur traditionellen Familie als Leitbild. Ehe und Familie stehen nach dem Grundgesetz zu Recht unter dem besonderen Schutz des Staates.“
Das klingt harmloser, als es ist. Denn die „AfD fordert“, wie es im Parteiprogramm weiter heißt, „dass bei unter Dreijährigen eine Betreuung, die Bindung ermöglicht, im Vordergrund steht. Wir wollen eine echte Wahlfreiheit zwischen Fremdbetreuung in Krippen oder familiennaher Betreuung durch Eltern, Großeltern, Kinderfrauen oder Tagesmütter.”
Dass die betreffenden Berufsgruppen mit den Worten „Kinderfrauen“ und „Tagesmütter“ Frauen zugeschrieben werden, verweist darauf, dass bei (Groß)Eltern primär Frauen gemeint sind. Das betonen AfD-Spitzenpolitiker*innen immer wieder.
Alexander Wiesner, Mitglied im Ausschuss für Gleichstellung des Sächsischen Landtages, betonte 2023, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie vor allem für Frauen tatsächlich viel wichtiger sei als für Männer.
Und der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahlen, Maximilian Krah, sagte kürzlich noch pointierter: „Jede vernünftige Kultur schätzt die Mutterschaft hoch. Sie ehrt sie. Genau das ist ja, was das Leben bunt, schön macht und was das Leben weitergibt.“
Die AfD ist angetreten, um die Gleichstellung aller Geschlechter rückzubauen
Entsprechend wendet sich, laut Parteiprogramm, „die Alternative für Deutschland … gegen alle Versuche, Abtreibungen zu bagatellisieren, staatlicherseits zu fördern oder sie zu einem Menschenrecht zu erklären.“ Natürlich muss jede Frau für sich selbst entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft beenden will.
Aber Freiheit heißt eben, dass sie das selbst entscheiden können muss. Und auch die Entscheidung, ob eine Frau Kinder bekommen möchte oder nicht und wie sie ggf. Elternschaft und Arbeit verbinden möchte, geht den Staat nichts an. Und doch steckt genau das im „Deutschland normal“ der AfD.
Die AfD ist angetreten, um alle Errungenschaften bei der Gleichstellung aller Geschlechter rückzubauen. Dabei instrumentalisiert sie diese zugleich für ihr Mantra, dass Frauen hierzulande gar nicht diskriminiert würden. Das aber ist mitnichten der Fall: #MeToo (2017) und #aufschrei (2013) zeigen, wie umfänglich sexuelle Belästigung weiterhin zum Alltag in Deutschland gehört.
Laut der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte von 2014 erfährt knapp jede vierte Frau (22 Prozent) häusliche Gewalt. Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Person in ihrer Partnerschaft ermordet, und Männer stellen hierbei das Gros der Täter – nicht islamische deutsche Männer, wie die AfD behauptet, sondern weiße deutsche Männer.
Die Idee der AfD, Frauen in Mutterrollen zu pressen
Sexistische physische Gewalt und das gesamte Spektrum von sexueller Belästigung sind aber wiederum kaum mehr als die Spitze des Eisberges.
Laut Statistischem Bundesamt verdienen Frauen etwa durchschnittlich 20 Prozent weniger als Männer. Der Equal Pay Day (EPD) markiert die Anzahl der Tage nach dem 1. Januar, an denen Frauen unentgeltlich arbeiten. Das sind in der Regel mindestens zwei Monate.
Dieses Jahr fiel der EPD auf den 6. März 2024. Er mahnt an: Für die gleiche Arbeit bekommen Frauen weniger Lohn. Sie werden durch Karrierebrüche systematisch ausgebremst. Dabei spielt auch eine Rolle, dass Frauen deutlich mehr als Männer in Elternzeit gehen oder in Teilzeit arbeiten.
Hier schließt sich dann auch der Kreis zur Idee der AfD, Frauen in Mutterrollen zu pressen. „Jede Frau kann machen was sie will. Im Schnitt muss sie allerdings zwei Kinder bekommen. Das geht ohne Fulltime-Job leichter“, so der Berliner AfD-Abgeordnete Andreas Wild 2017.
Entsprechend stimmte die AfD-Fraktion des Sächsischen Landtages gegen Maßnahmen, die dem Gender Pay Gap entgegenwirken würden. Dabei bediente sie das oben benannte Muster, mühsam erlangte Rechte zum Anlass zu nehmen, diese wieder rückzubauen. Dass es in Sachsen einen Gender-Pay-Gap gäbe, sei, so Wiesner in einem dazu bei Sachsen TV ausgestrahlten Interview, „abstrus“. Wenn, weiß Wiesner, dann würden Männer im Lohnsektor benachteiligt werden.
Gegen Ende des Interviews schwenkt Wiesner dann doch gen Wahrheit aus: Frauen würden nun mal mehr in Sozialberufen arbeiten, „wo die Löhne generell niedriger sind … Frauen verdienen weniger, weil sie in diesen Branchen arbeiten“. Zudem: Frauen „gehen nun mal in Teilzeitberufe“. Und dass Männer einen höheren Lohn bekommen, liege daran, dass sie nun mal in körperlich anstrengenderen und gefährlicheren Berufen arbeiten.
Wer als Frau AfD wählt, wählt die eigene Freiheit ab
Damit gibt er am Ende dieses Interviews dann eben doch eher unbedarft zu, dass es einen Gender-Pay-Gap gäbe. Dadurch kommt Wiesner dann zum eigentlichen Punkt: Antidiskriminierungsmaßnahmen seien nichts als Gleichmacherei. Männer und Frauen seien nun mal verschieden. Deswegen sei es absurd, sie gleich zu behandeln.
Mein österlicher Mailgesprächspartner würde Wiesner wohl zustimmen. Er findet, dass Diskriminierung wie alles andere auch „Maß und Mitte“ haben müsse: „Der Glaube, die diskriminierungslose und geschlechterneutrale Gesellschaft zu schaffen, das, was Sie ja anstreben, erinnert stark an die Bestrebungen der klassenlosen Gesellschaft der Kommunisten, die mit Gulag und dem Gelben Elend aufwartete.“
Den Kampf um Frauenrechte mit kommunistischen Verbrechen gleichzusetzen, ist schon abstrus genug. Paradoxer aber wird es noch, weil sich der gleiche Mann schon im nächsten Satz selbst als Diskriminierungsopfer inszeniert: „Ich wiederhole mich: Die heutige Verfolgung und Diffamierung/Diskriminierung von Andersdenkenden hat schon Ausmaße angenommen, die mehr als unangenehm sind, weshalb nicht wenige in der AfD von DDR 2.0 sprechen. Das sehe ich ähnlich.“
Mit anderen Worten: Dass mein Freiheitsbegriff Frauen und alle Geschlechter mitdenkt, diskriminiere ihn als AfD-Sympathisanten. Denn er will Frauen nicht nur diskriminieren. Er will das auch noch ohne Widerspruch tun können. Wer ihm das nicht durchgehen lässt, sei Diktatorin.
Ich wiederum möchte ihm und der AfD im Ganzen gern mit einem breiten Frauenbündnis antworten. Denn wer als Frau AfD wählt, wählt die eigene Freiheit ab und schadet sich dadurch folglich vor allem selbst.