In der Serie „The Regime“ richtet die Kanzlerin Elena Vernham ihr Land zugrunde. Eine bitterböse Karikatur der Autokratien unserer Zeit.
Vor nichts hat die sonst unerschrockene und vor Selbstbewusstsein strotzende Kanzlerin Elena Vernham (Kate Winslet) mehr Angst als vor schwarzem Schimmel. Davon schlummert nach Meinung der titelgebenden Hauptfigur der HBO-Serie „The Regime“ jede Menge in den Wänden ihres riesigen Regierungspalastes. Also muss stets ein Angestellter mit Hygrometer vor der autokratischen Herrscherin herlaufen und mit gedämpfter Stimme vor zu hoher Feuchtigkeit warnen.
Als Unteroffizier Herbert Zubak (Matthias Schoenaerts) diesen Job übernimmt, macht der eher einfach gestrickte Soldat erst einmal alles falsch und wird zur Nachtschicht verdonnert, bis er die Kanzlerin vor einem vermeintlichen Attentäter rettet und bald zum einflussreichen Berater avanciert. Mit einem Augenzwinkern und mitunter auch ganz schön krawallig karikiert „The Regime“ die gefühlt immer zahlreicher werdenden autokratischen Staatslenker unserer Zeit.
Angesiedelt ist diese durchgeknallte Polit-Posse in einem mitteleuropäischen Fantasieland, das landschaftlich wie die Schweiz aussieht. Die Paradeuniformen der Soldaten wirken osteuropäisch und in dem kleinen Land werden wie im tiefsten Niederbayern vor allem Zuckerrüben angebaut. Es existieren aber auch Kobaltminen, weswegen die namenlose Republik auch zur Interessensphäre sämtlicher Großmächte von Washington bis Peking wird.
Kleidung schick, Führungsstil grenzwertig
Der mittlerweile 82-jährige Regisseur Stephen Frears setzt Kate Winslet als Kanzlerin mit ausgewachsener Persönlichkeitsstörung, die hingebungsvoll ihr höfisches Umfeld terrorisiert, gekonnt in Szene. Das grenzwertige Verhalten der im modischen Zwirn durch den Palast rauschenden Kanzlerin erinnert an Donald Trump, dem zahlreiche Psychiater per Ferndiagnose unter anderem eine Angststörung, bösartigen Narzissmus und eine dissoziale Persönlichkeitsstörung attestierten.
Das alles trifft Pi mal Daumen auch auf Elena Vernham zu, die irgendwann die Temperatur in ihrem Palast, einer Mischung aus Tempelhofer Flughafen und Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“, so herunterkühlen lässt, dass alle bibbernd in Winterkleidung herumlaufen, während sie in einer eisgekühlten Badewanne sitzend per Zoom an einer Kabinettssitzung teilnimmt und über die unerträgliche Hitze klagt.
Aber keines der unterwürfigen Kabinettsmitglieder darf ihr sagen, dass womöglich ihre Wahrnehmung verschoben sein könnte. Sie hört nur auf ihren Berater Herbert Zuback, der wie einst Rasputin am Zarenhof zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum wirkmächtigen Einflüsterer wird. Rasputin hatte angeblich den Zarensohn geheilt, Herbert sorgt dafür, dass dem an Epilepsie erkrankten Sohn der Kanzlerin die Medikamente weggenommen werden, da er die nur für westlichen Schnickschnack hält. Der Kanzlerin verpasst der selbsternannte Berater, der bald in einer Galauniform herumläuft, Senfumschläge und überall im Regierungspalast werden dampfende Kartoffeln aufgestellt, um die Luftqualität zu verbessern.
„The Regime“ lässt nichts aus, um die bornierte Selbstgefälligkeit autokratischer Herrscher zu karikieren. Gleich zu Beginn wird der Jahrestag der angeblich mit Wahlen demokratisch legitimierten Machtübernahme gefeiert. Die Vorgängerregierung, immer wieder als marxistisches Diebespack bezeichnet, wird zum Erzfeind stilisiert, während in der Peripherie des kleinen Landes mit Alpenpanorama ein erbitterter und blutiger Arbeiterkampf tobt und Oppositionsführer Keplinger (Hugh Grant) in einem Verlies im Keller des Palastes sitzt. Stellenweise ist diese brachiale Karikatur angesichts der brutalen Repression in vielen Ländern der Welt, die unter derartigen Despoten zu leiden haben, grenzwertig. Dennoch trifft „The Regime“ den Zeitgeist.
Ähnlichkeiten mit realen Staatsoberhäuptern
Stephen Frears Serie, deren Skript unter anderem von Will Tracy („Succession“ und „The Menu“) geschrieben wurde (eine Folge stammt sogar aus der Feder von Schriftsteller Gary Shteyngart), zielt auf keine bestimmte Person oder ein bestimmtes Regime ab.
Die übertrieben künstliche, mitunter ins Surreale abgleitende Inszenierung der Kanzlerin und ihres Hofstaates ist wie eine Folie, auf die sich die Absurditäten verschiedener autokratischer Herrscher und illiberaler Demokratien projizieren lassen.
Deshalb kommt Elena Vernham auch wie ein Crossover verschiedener Staatsführerinnen aus Geschichte und Popkultur daher. Ihr Vater liegt wie einst Lenin im gläsernen Sarkophag im schlosseigenen Mausoleum. Wenn es etwas zu feiern gibt, singt sie hingebungsvoll auf der Bühne wie Evita, auch wenn sie völlig unmusikalisch ist.
Das Kabinett applaudiert brav, wenn sie tanzend im Stil der gerade neu verfilmten „Mean Girls“ in der landeseigenen Weihnachts-TV-Show mit maximalem Fremdschämfaktor auftritt. Sie läuft aber auch mal mit Julia-Timoschenko-Haarkranz herum und trägt dabei ein Kleid, das von Königin Elsa aus dem Disney-Animations-Film „Frozen“ stammen könnte.
Sie will doch nur geliebt werden
Um von innenpolitischen Problemen abzulenken, überfällt sie das Nachbarland und polemisiert gegen die USA, während sie morgens durch ihren Rosengarten spaziert wie Präsident Snow in der „Tribute von Panem“-Filmreihe. Mit ihrer Impertinenz sorgt sie dafür, dass soziale und politische Konflikte eskalieren, bis ihr Land schließlich im Bürgerkrieg zu versinken droht.
Dabei ist Kanzlerin Elena Vernham bis zum letzten Augenblick davon überzeugt, von ihren Untertanen uneingeschränkt geliebt zu werden, sogar wenn längst Explosionsgeräusche zu hören sind, während sie im Palast den Weihnachtsbaum schmückt.
Beachtlich ist Kate Winslets schauspielerischer Einsatz, wenn sie mit leicht heruntergezogenem Mundwinkel lispelnd die autoritäre Kanzlerin gibt, die genau jene Mischung aus fehlendem Selbstbewusstsein und überzogen narzisstischer Egomanie performt, für die Trump berühmt ist. Denn für die Posse gegen die Autokraten dieser Welt dürfte die Macher im Jahr des US-Präsidentschaftswahlkampfes vor allem Trump inspiriert haben.