Ob Icks oder Strawberry Makeup – online ploppen ständig neue Schönheitstrends auf. Drei Schülerinnen erzählen, wie sie Social Media nutzen.
taz: Welche Tiktok-Trends feiert ihr gerade?
Lou* (17 Jahre, Bildschirmzeit 4 Stunden täglich): Viele Trends registriere ich gar nicht mehr richtig. Oft weiß ich nicht, was ich heute alles schon gesehen habe.
Dieser Text ist Teil der Sonderausgabe zum feministischen Kampftag am 8. März 2024, in der wir uns mit den Themen Schönheit und Selbstbestimmung beschäftigen. Weitere Texte finden Sie hier in unserem Schwerpunkt Feministischer Kapmpftag.
Bella* (15 Jahre, Bildschirmzeit 6–7 Stunden täglich): So verschiedene Aesthetics sind im Trend – Streetstyle, Scandinavian Style und Y2K (siehe Infokasten). Bei Make-up ist grad noch Clean-Girl- und Latina-Make-up im Trend. Clean Girl soll quasi so aussehen, als ob du dich nicht geschminkt hättest, aber du schminkst dich. Latina-Make-up ist halt sehr viel, also Wimpern aufgeklebt und Lippen und Augenbrauen sehr geschminkt.
Sofia* (15 Jahre, Bildschirmzeit 4 Stunden und mehr am Tag): Wem es steht, bei dem sieht das auch sehr gut aus.
Lou: Was so ernsthaft bei mir angekommen ist, sind so Sleek-Zöpfe. So ein ganz enger Zopf, den gelt man auch richtig nach hinten.
Bella: Was ich auch schön finde, sind Edges, also dass du deine Babyhaare an der Stirn so langbürstest.
Lou: Finde ich auch schön. Aber ich meine, das ist auch umstritten, ob das ok ist.
Sofia: Ja, es gibt manche, die sagen, nur Schwarze Leute dürfen das machen, weil es zu ihrer Kultur gehört.
Lou: Es gibt auch oft so Mini-Trends, wie so Strawberry Make-up. So was finde ich bisschen unnötig, weil es einfach nur ein neues Wort für eine minimale Veränderung ist, für die man dann 40 Euro ausgeben kann. Und das ist noch wenig für so amerikanische Produkte.
Sofia: Die richten sich auch so krass an Jüngere.
Streetstyle: Jeansröcke, weite Hosen, Chucks, Leopardenmuster – diese Pieces gehören dazu. Oft ist die Kleidung weit, vor allem die Hosen. Kein Zwang zu Marken, der Look lässt sich gut Secondhand shoppen.
Scandinavian: Teure Sachen, die man alltäglich trägt. Schlicht in Hellblau, Weiß, Hellgrau ist der Style, auch Kopenhagen oder Stockholm genannt. Dazu gehören gestreifte Hosen – eher dünn und weit –, die Schlafanzughosen ähneln. Ohne Marken geht’s hier nicht.
Y2K (Year 2 Thousand): Wieder trenden die Looks vor 20 Jahren. Eher engere Hosen, wenn auch keine Skinny Jeans, viele und auffällige Gürtel und enge Tops drehen die Zeit zurück. Gilt als etwas freizügiger und wird erst perfekt mit viel Glitzer und Prints. (ao)
Bella: Ja, so 10 oder so.
Sofia: Und die benutzen schon richtig viel Make-up und SkinCare und geben eine Menge Geld aus. In Amerika artet das richtig aus. Kein Kind braucht 20 Tagescremes, auch niemand Erwachsenes. Aber die Kinder finden das toll, es ist wie Spielzeug.
Lou: Ich habe das Gefühl, die Altersgrenze im Internet, ab wann du dich für dein Aussehen interessieren solltest, wird quasi immer jünger.
Würdet ihr ungeschminkt Bilder oder Videos machen?
Sofia: Snaps mache ich auch mal direkt nach dem Aufstehen.
Bella: Bei Snapchat kannst du ja auch nur deiner besten Freundin ein Foto schicken, da achte ich nicht so drauf, wie ich aussehe. Aber sonst will ich mich schon schön fühlen.
Lou: So ein Foto, wo man sich offensichtlich keine Mühe gegeben hat, ist wie so ein Vertrauenszeichen. Ich habe das Gefühl, wenn ich nicht eng genug bin, ist dieses Zeichen ein bisschen fehlangebracht.
Bella: Ich glaube, wenn man einmal angefangen hat mit Make-up, dann wird es erst mal mehr. Am Anfang war es bei mir nur Mascara und dann ist immer mehr Produkt dazugekommen. Und irgendwann hast du dich dran gewöhnt, und dann ist es plötzlich komisch ohne.
Lou: Ich versuche schon, ab und zu auch ungeschminkt zur Schule zu gehen. Ich habe Angst, mich komplett dran zu gewöhnen, und ich will nicht, dass Geschminktsein zu meinem Normalzustand wird. Ich möchte mich auch sonst noch wohl fühlen.
Bella: Ich glaube, bei mir ist schon zu spät dafür.
Sofia: Bei mir kommt das auch auf die Stimmung an. Wenn ich ein Tief habe, schminke ich mich lieber. Wenn ich mich selbstbewusst fühle, dann kann ich’s auch mal weglassen. Ich gehe alle paar Monate mal ungeschminkt zur Schule, da gab es jetzt auch kein negatives Feedback.
Bella: Wie viel ich mich schminke, hängt eher davon ab, wie viel Zeit ich habe und was ich mache. Bei der Schule nicht so viel, aber wenn ich auf eine Party gehe oder mich mit Freunden treffe, dann schon mehr, dann verwende ich fast alles.
Sofia: Ist aber auch der Akt davor, es macht so Spaß, sich vorzubereiten. Das ist auch eine mentale Vorbereitung. Du hast einfach Zeit für dich.
Was sagen eure Eltern zu Tiktok und Co?
Sofia: Meine Eltern wissen, dass ich auf Tiktok Zeit verbringe. Aber wir reden da gar nicht so viel darüber.
Lou: Meine Mutter findet Tiktok nicht gut. Ich glaube, sie sorgt sich vor allem darum, dass es zu sehr ums Äußerliche geht oder ich falschen Schönheitsidealen nacheifere. Das ist bei mir gar nicht so der Effekt. Ich sorge mich bei Tiktok eher darum, dass meine Aufmerksamkeitsspanne abnimmt.
Bella: Dann langweilst du dich irgendwann, wenn es so lange um eine Sache geht, bei einem Film oder so. Aber ich würde nicht sagen, dass Tiktok an sich scheiße ist. Es gibt ja auch nicht nur nutzlose Sachen. Es kommt eben immer drauf an, wie du damit umgehst und es nutzt.
Lou: Es ist schon theoretisch Zeitverschwendung. Aber leben und leben lassen. Ich habe ja meine Gründe, dass ich drauf bleibe. Tiktok verbindet auch mit anderen Menschen. Man versteht Witze besser, kann sich gegenseitig Sachen zeigen. Ältere Menschen verstehen oft nicht, wie normalisiert und selbstverständlich das ist. Wenn mir Leute wirklich Vorwürfe machen, dass ich Tiktok habe, werde ich genervt.
Sollten sich eure Eltern auch mal mehr um Schönheitstrends kümmern?
Sofia: Wenn meine Mutter jetzt mit Sleek-Zopf und Clean-Girl-Make-up rumlaufen würde, fände ich das schon komisch.
Lou: Manchmal sehe ich meinen Vater und denke: „Du hättest schon mal die Haare kämmen können.“
Bella: Ich glaube, meinem Papa ist sein Aussehen nicht so wichtig. Und vielleicht ist das auch gut. Für mich wäre es auch besser, wenn es mir weniger wichtig wäre. Dann würde ich mir nicht so viele Gedanken machen oder wäre weniger insecure.
Lou: Man würde auch ein entspannteres Leben haben.
Sofia: Aber es geht halt nicht einfach. Bei mir ist es auch so, wenn es mir mental nicht gut geht, denke ich über alles nach und bin dann nicht selbstbewusst.
Lou: Das kenne ich. Wenn es einem sowieso nicht gut geht, ist es noch mal eine wichtigere Sache, wie man aussieht.
Ist Tiktok ein Sog?
Alle drei: Ja.
Bella: Auf Tiktok gibt es immer wieder neue Sachen, und das ganz schnell. Weil alles so kurz ist, merkt man gar nicht, wie viel Zeit du gerade darauf bist.
Lou: Mein komplettes soziales Umfeld, alle Leute, mit denen ich ernsthaft eng bin, haben Tiktok. Und ich merke es, wenn Leute kein Tiktok haben. An wirklich so Kleinigkeiten.
Bella: So Angewohnheiten, Sprache und halt Ausstrahlung und Aussehen.
Sofia: Aber auch die Art, aufeinander zuzugehen. Was man sagt und nicht sagt.
Lou: Es gibt krank viel, was auf Tiktok gecancelt ist. Zum Beispiel dieser Kult um „Pick me“ ist total ausgeartet.
(Zustimmendes Kichern).
Bella: Pick me-Mädchen sind so Mädchen, die Dinge tun, um Jungs zu gefallen oder allgemein gut zu gefallen.
Lou: Zum Beispiel: „Ich schminke mich kaum.“ Das wird total schnell schon als Pick me abgestempelt.
Bella: Oder: „Kannst du mir von da oben was runterholen, weil ich bin so klein.“
Lou: Sobald man so was sagt, merkt man, das hat die Person auf Tiktok nicht mitbekommen.
Sofia: Oder man sagt vorher schon: „Das soll jetzt nicht Pick me klingen.“ Ist irgendwie auch ein bisschen schade, dass man das so machen muss.
Wird Tiktok nicht irgendwann langweilig?
Lou: Die allermeisten Tiktok-Trends werden irgendwann richtig ausgenutzt und ausgelutscht.
Sofia: Wenn es zu extrem wird, dann ist es nicht mehr so witzig oder einzigartig. Dann wird alles so monoton. Zum Beispiel Icks.
(Alle kichern)
Sofia: Die sind manchmal etwas brutal. Da wurden dann Männer in irgendwelchen Situationen gezeigt, wo sie ein bisschen dämlich aussahen.
Bella: Auf Ick-Listen stehen so Sachen, was man unattraktiv findet oder was richtig abturnt. Wenn er auf den Boden spuckt zum Beispiel.
Sofia: … oder so extrem nach Kleingeld kramt. Mit Ick-Listen haben, glaube ich, vor allem Mädchen angefangen.
Bella: Aber kann auch sein, dass uns das mehr angezeigt wird.
Lou: Ich sehe grundsätzlich viel mehr, was von Mädchen gepostet wird als von Jungs.
Sofia: Ich auch. Wegen Algorithmus wahrscheinlich.
Lou: Es heißt ja so, dass Social Media viel mehr über einen weiß als jede andere Person. Ich glaube schon, dass Tiktok sehr genau berechnet, was ich wie lange angucke und danach sehr genau abstimmt.
Bella: Aber an sich finde ich es auch gut, ich will ja nicht irgendwas sehen, was mich gar nicht interessiert.
Sofia: Ich glaube, wir haben uns alle bisschen mit dem Gedanken abgefunden.
*Das Gespräch fand in einem geschützten Raum statt. Die Namen wurden nach den Wünschen der Interviewten geändert