„Der Jenner war unser Skiberg“, erinnert sich Rudi Keller, 83 Jahre alt. „Wir sind immer am Morgen vor neun rauf. Da war der Schnee noch so frisch. Da war es schön, Ski zu fahren.“ Der Architekt in Rente hat sein Leben in Schönau am Königssee verbracht, der Jenner ist der Hausberg. Schönau liegt noch ein paar Kilometer südöstlich von Berchtesgaden, im ganz hintersten Zipfel Deutschlands. „Wir sind da alle fleißig gefahren, meine Generation hat mit dem Jenner gelebt.“

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Als 1953 die erste Bahn eröffnet wurde und bis knapp unter den Gipfel des 1874 Meter hohen Berges in den Bayerischen Alpen ratterte, war das eine Verheißung für diese bäuerliche Region. „Wir haben darauf gehofft, gewartet und sie dann vom ersten Tag an benutzt“, erzählt Keller. Erst mit 80 Jahren hat er mit dem Skifahren aufgehört.

Skifahren geht bald nicht mehr

Jetzt, in der zweiten Februarhälfte 2024, lassen sich Wanderer und Ausflügler an der auf 630 Metern liegenden Talstation der Jennerbahn nach oben bringen, doch Skifahrer sind kaum unterwegs. Es hat frühlingshafte 12 Grad. Ein Plakat verheißt: „Alles geht am Jenner.“ Doch die Tage sind gezählt, ab dem 4. März gilt: Skifahren geht nicht mehr. Die Schneekanonen stellen dann die Produktion von Kunstschnee ein, die Piste wird nicht mehr präpariert. Jetzt zeigt sie sich noch als das weiße Band, von dem so viele nicht nur in Schönau sprechen, in einigen Skigebieten Bayerns gibt es gerade diese weißen Bänder. Bald wird es am Jenner braun sein und irgendwann wohl grün. Ein Skigebiet wird aufgegeben, das erste in den Bayerischen Alpen. Servus.

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Und damit ist der Jenner ein Symbol, ein gewaltiger Einschnitt. Eine Folge des Klimawandels – es gibt immer weniger Schnee und immer wärmere Temperaturen, die auch die Arbeit von Schneekanonen binnen Minuten schmelzen lassen würden. An der Talstation hat der Skiverleih und Sportladen Räumungsverkauf, er macht dicht. Wer will Skier leihen, wenn es keine Piste mehr gibt? Ganz vereinzelt kommen jetzt noch Skifahrer die künstliche Bahn aus hartem Eis hinuntergebrettert.

Alles muss raus: An der Talstation hat der Skiverleih und Sportladen derzeit Räumungsverkauf.

Alles muss raus: An der Talstation hat der Skiverleih und Sportladen derzeit Räumungsverkauf.

Musste das so kommen, und was macht das mit einem Ort und seinen 5700 Einwohnern, die wohl fast alle dort schon mal Ski gefahren sind? Im Besprechungszimmer der Berchtesgadener Bergbahn AG, die alle nur die Jennerbahn nennen, sitzt Thomas Mühltaler mit Blick auf den nahen Watzmann. Er ist der Vorstand, verantwortlich für das Zusperren des Skigebietes, und sagt: „Die Nachfrage ist nicht da.“

Nur zehn bis 30 Einheimische würden am Tag kommen, mit der Bahn nach oben und mit den Skiern wieder hinabfahren. Ähnlich sei es bei den vielen Touristen – alle wollen wandern, Tourenski gehen, einfach die Landschaft genießen. Hier ist er zu sehen, der Trend zu dem, was man „sanften Tourismus“ nennt. Dass man weiter die Piste in den geringen Höhenmetern andauernd beschneit, „versteht kein Mensch“, so meint Mühlthaler.

„Glückliche Gäste“, wenige fahren davon Ski

Die Bergbahn wird im Winter jährlich mit einer bis 1,5 Millionen Euro bezuschusst. Mit Geld, das im Frühjahr, Sommer und Herbst verdient wird. „200.000 glückliche Gäste fahren im Jahr mit dieser Bahn“, berichtet Mühlthaler. Skifahrer würden mittlerweile nur 5 Prozent von ihnen ausmachen.

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Die Wissenschaftszeitschrift „Nature Climate Change“ hat berechnet, dass bei einer Erderwärmung um zwei Grad im Vergleich zum Niveau vor der Industrialisierung die Hälfte der Skigebiete in Europa ein sehr hohes Risiko für Schneemangel haben werden. Dies berichtete tagesschau.de. Auch die künstliche Beschneiung nützt demnach nichts, weil es nicht kalt genug ist. Die betroffenen Regionen sollten ihre „hohe Abhängigkeit“ vom Skitourismus überdenken.

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Seit langer Zeit wird das landauf, landab gesagt – von Wissenschaftlern wie Klimaforschern, Meteorologen oder Geografen, von Naturschützern und der ganz überwiegenden Zahl der Politiker. In den Bayerischen Alpen liegen die meisten Skigebiete in Höhenlagen unter 2000 Metern. Einer aus der Seilbahnszene sagt: „Die wollen aber immer weitermachen mit immer mehr Schneekanonen und mehr Liften. Auch wenn es am Ende nichts bringt.“

Satte Zuschüsse für Beschneiungsanlagen

Die von CSU und den Freien Wählern (FW) gestellte bayerische Staatsregierung fördert das. Es gibt satte Zuschüsse für den Bau neuer Beschneiungsanlagen und Bergbahnen. Die Begründung: Man müsse den Skitourismus im Freistaat halten, damit nicht alle Urlauber nach Österreich oder Südtirol abwandern und dort ihr Geld lassen, wo es viel größere, höher gelegene und damit schneesichere Gebiete gibt.

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Das Jennergebiet wurde mit Förderung aufgerüstet, 2019 wurden eine neue und topmoderne Bahn eröffnet sowie weitere Beschneiungsanlagen in Betrieb genommen. 57 Millionen Euro hatte das gekostet, 10,5 Millionen davon kamen vom Freistaat und damit aus Steuergeldern. Und oben auf der Bergstation hat man den großen Gastrobetrieb Jenneralm hingestellt.

„Völlig überdimensioniert“: Toni Wegscheider ist vom Landesbund für Vogel- und Naturschutz .

„Völlig überdimensioniert“: Toni Wegscheider ist vom Landesbund für Vogel- und Naturschutz .

Toni Wegscheider, 45 Jahre alt, stammt aus Schönau und lebt in Schönau. Er sagt: „Das war hier alles völlig überdimensioniert angelegt.“ Wegscheider ist vom Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV) und hat in Bayern zeitweise eine gewisse Berühmtheit erlangt. Er und Helfer hatten vor drei Jahren die im Freistaat bis dahin ausgestorbenen Bartgeier im Nationalpark Berchtesgaden ausgewildert.

Das war hier alles völlig überdimensioniert angelegt.

Toni Wegscheider,

Landesbund für Vogel- und Naturschutz

Den elterlichen Hof hat Wegscheider übertragen bekommen. Mit seiner Frau vermietet er nun zehn Ferienwohnungen, verpachtet die Wiesen, arbeitet für den LBV, von Zeit zu Zeit ist er Wanderführer. Er sagt: „Ich bin hier der grüne Spinner.“ Schadenfroh will er nicht sein, aber er meint: „Das Aus für den Skibetrieb am Jenner hat der LBV schon 2018 vorhergesehen.“ Der nahe Königssee war früher im Winter im Schnitt alle sieben Jahre ganz zugefroren. Seit nun 18 Jahren ist das aber nicht mehr passiert. Gerade sind die Hälfte von Wegscheiders Wohnungen an Urlauber vermietet – „an Leute, die nie Ski fahren“. Die würden am Vormittag rausgehen, wandern, die Natur genießen und am Abend wieder zurückkehren.

Ein Begriff, der nicht gern gehört wird – Overtourism

Vom Frühjahr bis in den Herbst ist es richtig voll. Toni Wegscheider spricht den Begriff aus, den man hier sonst nicht gerne hört: Overtourism, Übertourismus. Das bedeutet, dass eine Gegend von Urlaubern geflutet wird – so sehr, dass sie daran Schaden nimmt.

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Keine guten Bedingungen: Das Jennerskigebiet wird bald geschlossen.

Keine guten Bedingungen: Das Jennerskigebiet wird bald geschlossen.

Eine geografische Einordnung ist wohl hilfreich: Die Stadt Berchtesgaden, Schönau mit dem Jenner und dem bekannten Königssee sowie der Watzmann liegen nur ganz wenige Kilometer auseinander. Der Nationalpark Berchtesgaden grenzt direkt an – dort gibt es strenge Betretungsregeln für Besucher, die Natur soll sich ungestört von jeglichem menschlichen Einfluss entwickeln.

Massen werden durchgeschleust

Die Menschen leben allermeist im Tal. Die wilde, ungestüme Berglandschaft türmt sich auf den Seiten auf. Jeder scheint da jeden zu kennen, ziemlich gut, das ist mitunter eng und manchmal wohl auch beklemmend. Am Königssee werden die Massen durchgeschleust: Bootsfahrt zur Kirche St. Bartholomä, Rückkehr und dann rein in die Gassen mit Billigsouvenirs. Man erfährt, welche großen Anwesen am See gerade verrotten in der Hoffnung, den Grund lukrativ an einen Investor verkaufen zu können, für ein großes Hotel oder so.

Gegen neue Bahn und lärmende Partys: Rita Poser vom Bund Naturschutz Berchtesgaden.

Gegen neue Bahn und lärmende Partys: Rita Poser vom Bund Naturschutz Berchtesgaden.

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Die Jennerbahn ist da nur wenige Schritte entfernt. Rita Poser vom Bund Naturschutz Berchtesgaden ist dort zu treffen. Sie erzählt, was die Umweltschützer alles durchgesetzt haben: Dass man die neue Bahn auf der bestehenden Trasse gebaut und keine neue in den Berg geschlagen hat. Dass an der Bergstation keine ausschweifenden, lärmenden Partys gefeiert werden.

Allerdings besitzt die Jenneralm oben ein Trauzimmer für besonders romantische Hochzeiten und auch einen Seminarraum für Firmenveranstaltungen. „Mit Bergstation hat das nichts zu tun“, kritisiert Poser. Das alles sei „viel zu groß, viel zu wuchtig“. Manche Einheimischen würden die Naturschützer durchaus unterstützen – „aber die wollen nie mit Namen in Erscheinung treten, die wollen nicht, dass das jemand erfährt“.

Defizitär war das Skigeschäft immer, doch wurde es von den Supersommerergebnissen subventioniert, Gewinne blieben stets.

Beppo Maltan,

Fraktionssprecher der Freien Wähler (FW)

Es gibt auch Leute wie Beppo Maltan, die das Skigebiet unbedingt erhalten möchten. „Ich bin komplett gegen eine Schließung“, sagt der Schönauer Gemeinderat und Fraktionssprecher der Freien Wähler (FW). „Riesige Fehler“ seien gemacht worden, und zwar „vor lauter Größenwahn“. Aufs Korn nimmt er vor allem die drei österreichischen Investoren, die die Bahn gekauft hatten. Maltan, 68, ist ein rustikaler Typ, er hatte einen Malerbetrieb, trägt einen Spitzbart und hat eine Baseballkappe auf dem Kopf. Er steht auch der Berchtesgadener Sektion des Deutschen Alpenvereins (DAV) vor.

Will das Skigebiet unbedingt erhalten: Beppo Maltan.

Will das Skigebiet unbedingt erhalten: Beppo Maltan.

Die Österreicher, so kritisiert er, hätten „an den großen Skizirkus gedacht“. Sie seien „komplett übers Ziel hinausgeschossen“. Defizitär war das Skigeschäft immer, doch wurde es von den Supersommerergebnissen subventioniert, Gewinne blieben stets. Maltan meint, man hätte mit einem bescheideneren und angemesseneren Neubau die Hälfte der 57 Millionen Euro Kosten sparen können. Nun aber wird der Skibetrieb eingestellt – „und wir sind die Leidtragenden“.

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Bürgermeister Hannes Rasp von der CSU hingegen fügt sich dem Unvermeidlichen. Früher hieß es, so erzählt er: „Der Kenner fährt am Jenner.“ Jetzt ist das Skigebiet nicht mehr begehrt – nur Kunstschnee, die Piste ist schmal und zudem steil. Mit großen Arealen, die viel höher gelegen sind und breite, einfachere Hänge haben, könne man nicht mithalten. Seit 20 Jahren sei das „ein Riesen-Draufzahlgeschäft“ gewesen.

dpatopbilder - 30.12.2022, Österreich, Riezlern: Freizeitsportler fahren auf einer Kunstschneepiste Schnee. In vielen niedrig gelegenen Skigebieten sieht es zur Zeit schlecht aus mit dem Wintersport. Bei Temperaturen um die zehn Grad ist auch die Produktion von Kunstschnee nicht mehr möglich. Foto: Expa/ Jfk/APA/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Skifahren ohne natürlichen Schnee: Können wir uns das noch leisten?

Wegen des Klimawandels geht Skifahren vielerorts nur noch mit Kunstschnee. Winterberg glaubt an die umstrittene Technik, Garmisch-Partenkirchen hingegen setzt auf Naturerlebnisse und will seinen Tourismus vom Winter entkoppeln – und Ischgl könnte gar von der Klimakrise profitieren.

Skifahren in den Bayerischen Alpen? Bis auf wenige hohe Lagen wie etwa die Zugspitze erscheint dies als Auslaufmodell. Schönau und der Jänner müssen sich aber wohl keine Sorgen machen. Urlaub hier boomt. Die Bergbahn mit ihren Zehnerkabinen und schönen beigefarbenen Sitzen ist gut besetzt und surrt angenehm nach oben.

Zwei Weißwürstl mit Brezn kosten 8,50 Euro

Dort auf der Bergstation im Restaurant Jenneralm auf 1800 Meter Höhe sind die Tische um die Mittagszeit voll mit Gästen. Es gibt einen tollen Panoramablick auf die ganzen mächtigen Berge. Draußen auf der Terrasse sitzen die Menschen in Scharen in der Sonne, manche im T‑Shirt. Sie trinken Cappuccino, Saftschorlen und essen – zwei Weißwürstl mit Brezn kosten 8,50 Euro, ebenso wie eine Portion Pommes Frites.

Das läuft hier fast das ganze Jahr so. An Weihnachten 2023 hatte es 18 Grad in Schönau. Ans Skifahren denkt da keiner mehr.



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