Der britisch-kanadische Künstler Brion Gysin war ein Multiplikator von Literatur, Musik und Subkultur. Nun wird das Album „Junk“ wiederveröffentlicht.
Wenn von der stilprägenden US-amerikanischen Beat Generation die Rede ist, fällt der Name Brion Gysin (1916–1986) oft nicht als Erstes. Dabei war der britisch-kanadische Allroundkünstler einer der Vordenker der literarischen Bewegung. Als Freund und Mentor von Schriftstellern wie William S. Burroughs und Paul Bowles erneuerte er gemeinsam mit Letzterem die Cut-up-Technik der modernen Avantgarden: Worte werden dabei ausgeschnitten, neu angeordnet und bekommen so andere Konnotationen.
Wie Bowles und Burroughs lebte auch Brion Gysin in den 1950er Jahren im marokkanischen Tanger. Dort lernte er unter anderem Musiker des Sufi-/Folkensembles The Master Musicians of Jajouka kennen, das später nach einer Zusammenarbeit mit Rolling Stone Brian Jones weltberühmt werden sollte.
Brion Gysin hat auch selbst Musik gemacht. Er liebte Jazz und Funk, vertonte Anfang der Achtziger in Paris unter anderem einige seiner „Permutation Poems“-Gedichte, die er zwischen 1958 und 1982 verfasst hatte. Auf dem Album „Songs“ (1981), das er mit dem Jazzsaxofonisten Steve Lacy einspielte, sind diese Gedichte in schrägen, frei flottierenden Versionen zu hören.
Tanzbarer und spektakulärer aber sind die Aufnahmen, die in der ersten Hälfte der Achtziger unter anderem mit dem französischen Produzenten Ramuntcho Matta und dem legendären US-Free-Jazzer Don Cherry entstanden. Gysin veröffentlichte sie 1985 auf dem Album „Junk“ – das nun erfreulicherweise von dem Pariser Label We Want Sounds neu aufgelegt wurde.
Polyrhythmische Drums
Zentral auf dem Album sind die Songs „Kick“ und „Junk“ (beide 1983). „Kick“ beginnt mit einer Art Call-and-Response zwischen Gitarre und Trompete, auf groovige Gitarren- und Bassläufe (von Ramuntcho Matta und Fil Mong) antwortet Don Cherry mit einer Tonfolge auf der Taschentrompete. Dazu ertönen polyrhythmische Drums von Abdoulaye Prosper Niang, dem Mitgründer der senegalesischen Jazz-Fusion-Band Xalam, man hört Scat-Gesang, der an Tierlaute erinnert.
Im Refrain spricht Brion Gysin wieder und wieder die Worte „Kick that Habit Man“, nur in unterschiedlicher Reihenfolge, wie bei einem Cut-up-Gedicht. „Junk“ funktioniert textlich ähnlich, die Zeile „Junk Is No Good Baby“ wird variiert und umgestellt: „Baby Junk Good Is No“ usw. Dazu pendelt eine Gitarre zwischen Funk-Licks und Offbeat-Reggae-Akkorden, die Rhythmik verweist auf karibische Musik.
Das Weltläufige und Welt(zu)gewandte, das Gysin und vielleicht die Beat Generation insgesamt auszeichnete, ist auch in anderen Tracks präsent. In „Stop Smoking“ steuert die uruguayische Schauspielerin und Sängerin Elli Medeiros (bekannt als Hälfte des französischen New-Wave-Duos Elli & Jacno) einen Gesangspart bei; ihr Landsmann, der Perkussionist Jorge Trasante, spielt dazu tripplige, repetitive Drums. Der Humor, der Spaß und der Vibe, der bei den Sessions präsent gewesen sein muss, klingt in dem Stück an.
So singt Brion Gysin zunächst im Refrain vom guten Vorsatz, mit dem Rauchen aufzuhören („Stop smoking“), bricht dann aber in ein Gelächter aus, das in Raucherhusten übergeht – und weist dieses Vorhaben als schlechten Witz zurück („You’re joking!“).
Kulturszenen treffen aufeinander
Es finden sich auch Stücke auf „Junk“, an denen Gysin nicht direkt beteiligt war, die aber damals im gleichen Dunstkreis entstanden sind. Eine gute Entscheidung des Labels, denn so wird deutlich, wie Kulturszenen wie die (ältere) Beat Generation und die (jüngeren) Punks in Paris aufeinandertrafen.
Hier zu hören ist das im Stück „V.V.V.“, das Lizzy Mercier Descloux, eine zentrale Figur der Pariser Punk-Szene, gemeinsam mit der Schauspielerin und Sängerin Caroline Loeb, singt. Es ist eines der am deutlichsten von Disco geprägten Stücke, und es hat einen starken feministischen Einschlag („V. V. V. / We’re the girls of victory“).
„Junk“ ist insofern ein klassisches Postpunk-Album, als es den Zusammenprall von Punk mit vorherigen Popgenres, von Disco zu Krautrock, Dub und Reggae abbildet. Der Song „Sham Pain“ erinnert daher wohl nicht zufällig an The Clash in den frühen Achtzigern, standen die Briten um Joe Strummer doch für eine ähnliche Integration globaler Klänge in den Punk-Sound. Die Songs von Gysin und Co. wirken frei und befreit von allen Dogmen, sei es von denen des Jazz oder denen des Punk. Eine überfällige Wiederveröffentlichung.