Der Ball rollte! Was eine langweilige Feststellung bei jedem anderen Fußballspiel wäre, hatte in Saarbrücken großen Nachrichtenwert, weil der Ball Anfang Februar eben nicht rollte. Damals, beim ersten Versuch eines DFB-Pokalviertelfinales zwischen dem 1. FC Saarbrücken und Borussia Mönchengladbach, soff der Platz ab. Etwas mehr als einen Monat und einen neuen Rollrasen später reichte der erneute Dauerregen diesmal nicht, um die Wiese in Saarbrücken-Malstatt wieder vor Beginn in ein Moor zu verwandeln.
Das Siegtor sah auch noch fast genauso aus wie das Siegtor gegen den FC Bayern
Aber trotzdem war es wieder das perfekte Außenseiterbiotop: Nass, eklig, ungemütlich – und der Rasen war mangels Wurzelanwachszeit der Pflänzchen wieder in fragwürdigem Zustand. Jedes Mal, wenn ein Spieler die Stollen zu energisch in den Untergrund stemmte, schlug das Grün Wellen und Falten wie ein Wohnzimmerteppich.
Und was soll man sagen? Saarbrücken hat es wieder geschafft. Und das Siegtor sah auch noch fast genauso aus wie das Siegtor gegen den FC Bayern. Konter in der Nachspielzeit, Marcel Gaus war auch wieder beteiligt, aber diesmal traf Kai Brünker nach einem Querpass und es passte zu diesem Abend, dass er den Treffer zum 2:1 aus einer Pfütze heraus erzielte. Der 1. FC Saarbrücken steht – wie schon 2020 – im Pokalhalbfinale und trifft dort am 2. April auf den großen Rivalen der Vergangenheit – auf den 1. FC Kaiserslautern.
“Der 1. FC Saarbrücken – Pokalmannschaft”, sagte Brünker am ZDF-Mikrofon. “F*** war das ein Kampf, sorry für die Ausdrucksweise, aber wir sind nur dem Ball hinterhergerannt”, fluchte er sehr glücklich. “Dass heute ausgerechnet wieder nach der 90. Minute das Tor fällt, ist einfach Wahnsinn. Jetzt können wir sagen: Wir wollen nach Berlin.”
Die Pokalsensation vom Dienst begann das Spiel bereits überraschend mutig und offensiv. Schon nach vier Minuten schlenzte Kasim Rabihic den Ball am langen Pfosten vorbei, zwei Minuten später flipperte der Ball zu Robin Becker, dessen Schuss aus dem Hintergrund noch abgefälscht wurde. Und als man sich noch fragte, ob Saarbrückens Trainer Rüdiger Ziehl eine Überrumpelungstaktik gelungen war, lag der Drittligist hinten. Nach einem Eckball der Saarländer konterte Gladbach. Marcel Gaus verschätzte sich bei einem langen Pass von Florian Neuhaus und über den schnellen Franck Honorat landete der Ball bei Robin Hack – 1:0. Ein Tor, das so der FCS eigentlich hätte schießen sollen.
Doch Saarbrücken lag auch schon gegen die Bayern in der zweiten Pokalrunde hinten und kam zurück – diesmal dauerte es nur zwei Minuten. Einen kurzen Moment der Luftigkeit in der Borussia-Defensive nutzte Amine Naifi für einen präzisen wie wuchtigen Schuss zum Ausgleich. Der Gladbacher Feldvorteil – dahin.
Es folgte eine kurze Phase des anarchischen Gebolzes, der Ball flog hin und her, dann wieder her und hin, aber mit den besseren Gelegenheiten für die Borussia. Rocco Reitz und Honorat vergaben klare Chancen zur erneuten, schnellen Führung, Honorats Schuss etwa wehrte Lukas Boeder mit dem Hintern auf der Linie ab. Vielleicht auch, weil Saarbrücken merkte, dass ihnen dieser Wild-West-Fußball (noch) nicht zum Vorteil gereicht, besannen sie sich ihrer alten Schildkrötentaktik und panzerten sich nach gut 20 Minuten ein. Erst jetzt bot sich das Spiel, das man von Anfang an erwartet hatte. Gladbach versuchte, mit Passreihen die Saarbrücker Ketten zu überwinden.
In der zweiten Halbzeit kommt Saarbrücken kaum aus der eigenen Hälfte – eigentlich nur einmal
Das klappte auch leidlich, die Borussia hatte sich offensichtlich die Spiele des FCS gegen den FC Bayern (1:2) und Frankfurt (0:2) angeschaut und “Zweikampfhärte” als eine Grundtugend für Erfolg ausgemacht. Reitz, Neuhaus oder Hack zeigten in direkten Duellen eine gute Körperspannung, fanden auch immer wieder Honorat, der auch auf dem schwammweichen Untergrund Geschwindigkeitsvorteile gegen Gaus hatte – allein, zu ganz klaren Chancen kamen die Borussen nicht mehr. Stürmer Jordan stand oft allein gegen drei Drittligaabwehrrecken, angeleitet vom Veteranen Manuel Zeitz.
So ging es mit dem 1:1 in die Pause, zwischendurch flickten alle Beteiligten – von Saarbrückens Torwart Tim Schreiber bis Trainer Ziehl – den Rasen und platzierten große, herausgetretene Grünfetzen wieder am vorgesehenen Fleck, es war ein botanisches Dauerpuzzle.
Die zweite Halbzeit begann wie die erste – Saarbrücken nutzte die Verschnaufzeit der Pausenviertelstunde und setzte die gewonnene Energie in Angriffe um. Mehr als drei Einwürfe von Gaus kamen aber nicht dabei heraus. Gladbach übernahm wieder die Kontrolle – hatte aber bis auf eine Bogenlampe von Hack, die sich auf das Tornetz senkte, ebenfalls keine große Chance.
Gladbachs Trainer Gerardo Seoane reagierte, brachte nach 70 Minuten Manu Koné und Nathan Ngoumou und das wirkte insofern, als dass der FCS gar nicht mehr aus der eigenen Abwehr kam. Das Saarbrücker Publikum begann, gewonnene Zweikämpfe wie Tore zu bejubeln und es regnete übrigens immer weiter. Das Wasser sammelte sich und ausgerechnet beim ersten Saarbrücker Entlastungskonter seit einer halben Stunde, blieb der Ball in einer Pfütze liegen.
Und gerade als es so aussah, als würde sich der Boden im Ludwigspark gegen das Heimteam wenden, dass er zu tief für die eigenen Beine sein könnte und der Drittligist eine Verlängerung nur schwer durchstehen würde – da konterte Saarbrücken zum Sieg.