Julia sitzt sichtlich angespannt im Wohnzimmer eines Freundes. Ihre Eltern sollen nicht erfahren, dass sie mit einer Zeitung spricht. “Darf ich eigentlich ‘Scheiße’ sagen?”, fragt sie. Aber natürlich. Die 21-Jährige umklammert ihren Schlüsselanhänger, einen rosa Plüschbommel. Ihr Nachname, bittet sie, solle in diesem Text ausgelassen werden.
Julia aus Ingolstadt tickt wie viele junge Russlanddeutsche: irgendwie deutsch, irgendwie russisch, nicht übermäßig politisch. Bis vor dem Krieg habe sie nie das Gefühl gehabt, über ihre Herkunft sprechen, dieses “Dazwischen” erklären oder gar rechtfertigen zu müssen. Mit dem Überfall auf die Ukraine änderte sich das im Februar 2022. Julia ging noch zur Schule, in ihrer Klasse war sie die einzige Person russischer Herkunft. Plötzlich hätten Lehrer angefangen, den Augenkontakt zu ihr zu meiden. “Zum ersten Mal in meinem Leben dachte ich mir: Scheiße, ich bin nicht normal, ich falle gerade voll auf.”