Am Jabeler See wurde der „Herrentag“ wie stets mit Bier begangen, der große Exzess blieb aber aus. Der Herrentag ist zum Familientag geworden.
Morgens halb zehn in Deutschland: „Für dich würd ich sterben, Caaarmen!“, grölt eine Männertruppe, die in Flipflops, reflektierenden Sonnenbrillen und kurzen Hosen die Dorfstraße hochmarschiert. Hinter ihnen klirrt der bierbeladene Bollerwagen. Es ist Herrentag, und wie heißt es so schön: Ein Mann ohne Bier ist wie ein Rasenmäher ohne Gras.
Die Mecklenburgische Seenplatte glitzert in der Sonne, üppig grüne Bäume (und AfD-Wahlplakate) schmücken die Alleen, und die frische Landluft wird von einem deftigen Grillgeruch erfüllt. Ein Rundgang um den Jabeler See, unweit der Müritz, offenbart die Vielfalt der Feiertraditionen: Jugendliche tuckern auf geschmückten Traktoren die Landstraße zwischen den Dörfern entlang, gefolgt von Männergruppen auf Harley-Davidsons. Väter und Söhne machen Radtouren, verbringen den Tag mit der Familie auf dem See oder dem Campingplatz.
Der Herrentag fällt in Deutschland auf Christi Himmelfahrt, den 40. Tag nach dem Osterfest. Seit 1934 ist es ein gesetzlicher Feiertag. „Was in Westdeutschland Vatertag heißt, heißt in Nordostdeutschland Herrentag und in Südostdeutschland Männertag“, erzählt ein Jabeler. Trotz verschiedener Bezeichnungen und Feierbräuche herrscht deutschlandweit Einigkeit: Dieser Tag wird mit Bier gefeiert.
Rund um den See sind nur wenige mit Bollerwagen unterwegs, doch das Bierchen ist stets ein treuer Wegbegleiter. „Der Arzt hat gesagt: Viel Trinken!“, steht auf dem T-Shirt eines grauhaarigen Mannes, der hechelnd sein Fahrrad hinter seiner Familie herschiebt. Dem ärztlichen Rat folgt nicht nur er: Kinderwägen und Fahrrad-Flaschenhalter werden zu Bierhalten umfunktioniert, Kinder zu Kellnern.
„Unser Bierholer, der Neue!“, ruft Udo dem Jungen zu, der soeben frisches Bier auf den Tisch stellt. Wie jedes Jahr feiert er den Herrentag mit Freunden und Kindern im Bootshaus am Jabeler See. Am Eingang hängt ein Straßenschild mit der Aufschrift „Promilleweg“. Es gibt Bowle, Bier und Karamalz, Bratwurst und Lammkeulen. Udo nippt gemächlich an seiner Bowle. „Willste mit Gemüse?“, fragt er. Heute hat er sie mit Kirschen „gekocht“. „Da ist alles drin, was der gesunde Körper braucht“: Wein, Schnaps, Sekt.
Angedüdelt, aber friedlich
„Früher war der Herrentag noch stärker eine Saufveranstaltung“, erzählt eine Mitfeiernde. Da seien reine Männergruppen mit Booten rausgefahren. Jetzt sei es eine Familienveranstaltung geworden, alle seien nur noch mit dem Fahrrad unterwegs. Und tatsächlich: auf dem Jabeler und Fleesensee bleibt es weitgehend ruhig, nur vereinzelt feiern Menschen bei dröhnenden Bässen auf Partyfloßen. Angedüdelt, aber friedlich. Andere lassen sich kontemplativ auf dem Wasser treiben, in der einen Hand das Bier, in der anderen die Angel.
Sorge vor den See-Säufern hat die Wasserschutzpolizei jedoch nach wie vor. Weil es in den vergangenen Jahren an Christi Himmelfahrt zu besonders vielen alkoholbedingten Verkehrsunfällen gekommen war, hatte sie bereits im Vorhinein verstärkte Kontrollen angekündigt.
Am Ufer sitzen derweil Familien auf Campingstühlen, trinken Bier und grillen und singen zu „Dorflove“: „Großstadt-Affen raffen nicht Dorflove / Gucci, Prada, Rolex, ist doch komplett raus / Die Kids vom Dorf tragen Engelbert Strauss!“
Kathrin, die ein Ferienhaus in Jabel hat und heute am „Promille Weg“ feiert, kommt eigentlich aus Hameln in Niedersachsen. „Da ist noch richtig Bollerwagen und dann los!“, sagt sie. Ihr Sohn sei heute „saufen im Wald“. Aus Dresden tauchen unterdessen schockierende Bilder von Männern auf, die in einem Militärauto mit Stahlhelmen und Reichsflagge durch die Stadt fahren.
„Aber hier ist Familie wohl wichtiger“, sagt Kathrin. Was für den Muttertag als gegeben erscheint, scheint im Jahre 2024 langsam auch beim Herrentag in Mode zu kommen. Wenn Herrentag Zeit mit der Familie an der frischen Luft und dem ein oder anderen Bier bedeutet, können sie von mir aus 365 Tage im Jahr Herrentag feiern.