Der Menschenzug schlängelt sich durch enge Gassen, vorbei an israelischen Soldaten und Polizisten mit Schnellfeuergewehren. Singend und betend gehen mehrere Tausend Christen die Via Dolorosa entlang, den Schmerzensweg von Jesus Christus.

Die traditionelle Karfreitagsprozession in der Altstadt von Jerusalem ist anders als in den vorangegangenen Jahren. Viel weniger Gläubige als sonst gehen den Weg von der Geißelungskirche zur Grabeskirche, wo Jesus laut christlicher Tradition begraben wurde.

Es sind vor allem palästinensische Christen. «Es ist ein trauriges Jahr, wegen der tragischen Situation in Gaza», sagt Daud Maliha (47), einer der Pilger. «Wir gedenken des Leidens der Menschen dort und des Leidens Christi, wenn wir den Pfad gehen, der ihn zu seiner Kreuzigungsstätte führte.» Der seit fast sechs Monaten dauernde Krieg im Gazastreifen hat ausländische Pilger weitgehend davon abgehalten, nach Jerusalem zu reisen.

Ausgelöst hatte ihn der beispiellose Überfall von Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober auf den Süden Israels. Die Invasoren töteten fast 1200 Menschen und verschleppten weitere 250 als Geiseln in den Gazastreifen. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde kamen im Krieg mehr als 32.000 Palästinenser ums Leben – wobei nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterschieden wird.

Unter den Teilnehmern der Prozession sind viele Jugendliche und Kinder in Uniformen palästinensischer Pfadfinderorganisationen zu sehen. Die meisten der 5,3 Millionen Palästinenser sind Muslime, während sich mehr als 200.000 Palästinenser zum Christentum bekennen. Die Karfreitagsprozession sei diesmal kleiner, weil nicht nur kaum Ausländer kamen, sagt Maliha, sondern auch keine palästinensischen Christen aus dem von Israel besetzten Westjordanland. Seit Ausbruch des Gaza-Kriegs lässt Israel nur sehr wenige Palästinenser aus dem Westjordanland nach Israel reisen.

Nachempfinden des Leidenswegs

Auf dem Weg zu seiner Kreuzigung musste Jesus der Bibel zufolge Geißelungen, Peitschenhiebe und Demütigungen erleiden. Die Prozessionsteilnehmer gehen auch am diesjährigen Karfreitag die Via Dolorosa entlang, um das Leid Jesu am eigenen Leib nachzuempfinden. Einige tragen ein Holzkreuz, im Andenken daran, dass Jesus das Kreuz, an das er genagelt wurde, selbst schleppen musste. In diesem Jahr fehlen allerdings jene Pilger, die sich Dornenkronen aufs Haupt setzen. Diese Art von tiefer und schmerzhafter Inbrunst wird offenbar eher von ausländischen Pilgern praktiziert, die in diesem Jahr wegen des Gaza-Kriegs offenbar nicht anreisten.

Ostern ist für Christen in aller Welt das wichtigste Fest. Während sie am Karfreitag der Verurteilung Jesu und seiner Kreuzigung gedenken, feiern sie am Ostersonntag seine Auferstehung. Nach christlichem Glauben überwand der gekreuzigte Jesus den Tod und erfüllte damit seinen göttlichen Erlösungsauftrag. Mit seinem Martyrium auf Erden soll er dieser Vorstellung zufolge die christlichen Gläubigen von ihren Sünden erlöst haben.

Die Prozession in diesem Jahr fällt mit dem dritten Freitag im Fastenmonat Ramadan zusammen, der den Muslimen besonders heilig ist. Zehntausende Muslime strömen zum Mittagsgebet bei der Al-Aksa-Moschee auf dem Plateau des Tempelbergs, der die Jerusalemer Altstadt überragt. Die israelischen Sicherheitskräfte errichteten eine große Zahl von Kontrollpunkten, um die verschiedenen Pilgerströme zu lenken. Die Hamas hatte im Vorfeld des Ramadan ihre Anhänger zu «Märschen» auf die Al-Aksa-Moschee aufgerufen – eine unverhohlene Aufforderung zu gewalttätigen Unruhen. Doch bislang ist der Ramadan in Jerusalem ohne Zwischenfälle verlaufen.

Kein Osterfrieden für die Ukraine

Anders als in Jerusalem deutet in der kriegsgeplagten Ukraine am west-kirchlichen Karfreitag nur wenig auf das nahende Osterfest hin. Das liegt vor allem daran, dass die überwiegende Mehrheit der Ukrainer orthodoxe Christen sind, die dem julianischen Kalender folgend Ostern erst am 5. Mai feiern. Orthodoxe Gläubige befinden sich aber derzeit in der 40-tägigen großen Fastenzeit vor dem Ostersonntag. In ukrainischen Restaurants wird daher gerade traditionell ein Zusatzmenü mit Speisen ohne Fleisch, Eier und Milchprodukte angeboten.

Zum katholischen oder evangelischen Glauben bekennen sich nur etwas mehr als zwei Prozent der – vor dem Krieg – mehr als 40 Millionen Ukrainer. Über 70 Prozent fühlen sich hingegen den orthodoxen Kirchen oder der dem orthodoxem Ritus folgenden griechisch-katholischen Kirche zugehörig. Für sie ist Karfreitag erst in fünf Wochen, am 3. Mai.

Vor dem russischen Einmarsch im Februar 2022 hatte es im Konflikt in der Ostukraine regelmäßig Versuche gegeben, zwischen den von Moskau unterstützten Separatisten und den ukrainischen Regierungstruppen eine Osterwaffenruhe zu vereinbaren. Wie zu den Osterfesten der beiden Vorjahre ist auch für 2024 keine derartige Feuerpause und damit auch kein zumindest kurzzeitiger Osterfrieden in der Ukraine zu erwarten.

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